Patriot-Knirschen zwischen Berlin und Warschau - Selenskyj geehrt

Das US-Boden-Luft-Raketensystem MIM-104 Patriot wird im Feldausbildungszentrum des Artillerie- und Rüstungsausbildungszentrums in Torun vorgestellt. Foto: epa/Tytus Zmijewski
Das US-Boden-Luft-Raketensystem MIM-104 Patriot wird im Feldausbildungszentrum des Artillerie- und Rüstungsausbildungszentrums in Torun vorgestellt. Foto: epa/Tytus Zmijewski

WARSCHAU/KIEW: Deutschland stellt Polen das Patriot-Luftabwehrsystem zur Verfügung - bei der Umsetzung der Aktion aber knirscht es heftig zwischen Berlin und Warschau. Ukraines Präsident Selenskyj wird unterdessen vom renommierten «Time»-Magazin zur Person des Jahres gewählt.

Wegen der deutschen Offerte von Patriot-Luftabwehrsystemen an Polen knirscht es weiter zwischen Berlin und Warschau. Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak gab bekannt, das Equipment nun doch anzunehmen und auf eigenem Staatsgebiet statt - wie von Polen eigentlich gewollt - in der Ukraine aufzustellen. Dann ergab sich schon der nächste Streitpunkt, nämlich die Frage, unter wessen Kommando das Raketenabwehrsystem stehen würde - Polens oder der Nato. Vize-Außenminister Marcin Przydacz warf den Deutschen unterdessen Vertrauensbruch vor.

«Der grundlegende Fehler der deutschen Seite bestand darin, dass sie mit dem Angebot der Patriot-Systeme an die Medien gegangen ist, bevor die Verhandlungen beendet waren», sagte Przydacz am Mittwoch dem öffentlich-rechtlichen Sender TVP.

In Berlin reagierte zunächst kein ranghoher Regierungsvertreter öffentlich auf den Kommentar. Blaszczak hatte am Dienstagabend bei Twitter mitgeteilt, die Patriots auf polnischem Gebiet unter eigenem Kommando aufstellen zu wollen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) pocht aber darauf, dass die deutschen Flugabwehrsysteme Teil der integrierten Nato-Luftverteidigung sind.

Zur Missstimmung war es schon vor zwei Wochen gekommen, als Polen das deutsche Angebot zwar annahm, die Raketen aber nicht bei sich daheim, sondern in der Westukraine aufstellen wollte. Dies ist problematisch, da die Ukraine im Gegensatz zu Polen nicht Mitglied der Nato ist.

«Time»: Ukrainischer Präsident Selenskyj ist Person des Jahres

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist wegen des Widerstandes gegen den russischen Einmarsch in sein Land vom US-Magazin «Time» zur Person des Jahres gewählt worden. «Die diesjährige Wahl war die eindeutigste in unserer Erinnerung», schrieb «Time»-Chefredakteur Edward Felsenthal. «Ob der Kampf um die Ukraine einen mit Hoffnung oder mit Angst erfüllt, Wolodymyr Selenskyj hat die Welt auf eine Weise elektrisiert, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben.» Der 44-Jährige habe eine «schicksalhafte» Entscheidung getroffen, nach dem Einmarsch der Russen Ende Februar sein Land nicht zu verlassen, sondern in Kiew zu bleiben.

«Seine Informationsoffensive veränderte die geopolitische Wetterlage und löste eine Welle weltweiter Handlungen aus», schrieb das Magazin weiter. «Time» kürt seit knapp einem Jahrhundert jedes Jahr traditionell die «Person of the Year» - jene Person, die die Welt in den vorherigen zwölf Monaten am meisten verändert hat. Selenskyj setzte sich unter anderem gegen Star-Unternehmer Elon Musk durch.

Ukraine-Krieg erinnert Papst Franziskus an Verbrechen im Holocaust

Der Krieg in der Ukraine erinnert Papst Franziskus an die Verbrechen im Holocaust. Bei der Generalaudienz im Vatikan grüßte der Pontifex die Pilger aus Polen und erwähnte dabei eine Initiative der Katholischen Universität Lublin zur «Aktion Reinhardt». Dies war der Tarnname der Nationalsozialisten für die systematische Ermordung von Juden und Roma in Polen während des Zweiten Weltkrieges - fast zwei Millionen Menschen wurden dabei von den Nazis getötet. «Möge die Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis uns alle zu Entschlüssen und Aktionen für den Frieden inspirieren», sagte Franziskus und ergänzte dann: «Und Geschichte wiederholt sich, sie wiederholt sich. Schauen wir jetzt, was in der Ukraine passiert.»

London: Russland baut Verteidigungsstellen an Grenze zu Ukraine

Unterdessen baut Russland nach Einschätzung britischer Geheimdienste zunehmend Verteidigungsstellungen an der Grenze zur Ukraine auf. In der Grenzregion Belgorod seien ausgefeilte Systeme zur Abwehr von Angriffen errichtet worden, hieß es in einem Bericht des Verteidigungsministeriums in London. Dort seien auch Gräben ausgehoben worden. London wertete dies als Sorgen vor einem ukrainischen Einmarsch. Zudem sei denkbar, dass der Kreml den Patriotismus im eigenen Land stärken wolle.

Putin: Krieg gegen die Ukraine kann «ein langer Prozess» werden

Russlands Präsident Wladimir Putin schließt eine lange Dauer des Krieges nicht aus. «Natürlich, es kann ein langer Prozess werden», sagte er bei einem Treffen mit Vertretern eines von ihm selbst eingesetzten Menschenrechtsrats. Er machte außerdem Angaben zum Einsatz der Reservisten in der Ukraine. Von insgesamt 300.000 Reservisten, deren Mobilmachung Putin im September angeordnet hatte, ist seinen Angaben zufolge bereits die Hälfte im Kampfgebiet im Einsatz. Die restlichen rund 150.000 Männer seien als «Kampfreserve» auf Stützpunkten des Militärs untergebracht.

Putin betont Funktion russischer Atomwaffen als «Schutz»

Befürchtungen, Russland könne seine Atomwaffen für einen Erstschlag einsetzen, wies Putin zurück. Russlands Militärstrategie sehe den Einsatz von Massenvernichtungswaffen als Reaktion auf einen Angriff vor. «Das bedeutet, wenn gegen uns ein Schlag verübt wird, dann schlagen wir als Antwort zurück», sagte Putin. Russland sehe die Waffen als «Schutz». Im Zuge seines Angriffskrieges gegen die Ukraine hatte Putin Russlands Atomwaffen in erhöhte Bereitschaft versetzen lassen. Das galt als Drohung gegen die USA und die Nato-Staaten, sich aus dem Krieg in der Ukraine herauszuhalten. Zeitweise wurde in Russland auch der Einsatz einer taktischen Nuklearwaffe in der Ukraine diskutiert, um schneller Ergebnisse zu erzielen.

16 Tote bei Unfall mit Militärlaster im Osten der Ukraine

Im russisch kontrollierten Teil des Gebiets Donezk im Osten der Ukraine sind bei einem Unfall mit einem Militärlaster mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen. Vier weitere seien verletzt worden, teilten die von Russland eingesetzten Behörden in Donezk mit. Der Lkw stieß demnach mit einem Kleinbus zwischen den Städten Schachtarsk und Tschystjakowe zusammen. Unter den Toten sind auch russische Soldaten.

Russland ist Ende Februar in die Ukraine einmarschiert. Teile des Donezker Gebiets, darunter auch die Gebietshauptstadt, stehen seit 2014 unter der Kontrolle der von Moskau unterstützten Separatisten.

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