Papst Franziskus fordert «Die beste Politik»

Das Angelusgebet von Papst Franziskus am Sonntag. Foto: epa/Riccardo Antimiani
Das Angelusgebet von Papst Franziskus am Sonntag. Foto: epa/Riccardo Antimiani

ROM: Eine neue Ethik in der Weltpolitik, mehr Einfluss für Frauen in der Kirche und Nächstenliebe: Die Themen der neuen Sozial-Enzyklika von Papst Franziskus sind vielfältig. Sie ist eine Summe seines Denkens.

Papst Franziskus hat zwei sehr verschiedene Orte gewählt, um seiner Enzyklika weltweit Aufmerksamkeit zu geben: Erst unterschrieb er das Dokument im kargen Stein-Gewölbe am Grab seines Namensgebers, des Heiligen Franz von Assisi. Dabei saßen nur wenige Kirchenleute am Samstag in der Unteren Basilika in Assisi auf Holzbänken und klatschten. Am Sonntag wählte der 83-Jährige sein Angelus-Gebet am Fenster des Palastes über dem monumentalen Petersplatz in Rom für die Weltpremiere. Eine Enzyklika ist eine zentrale Botschaft an die katholischen Gläubigen und an die Kirchenoberen.

Er gab den Text mit dem Titel «Fratelli tutti» vor Gläubigen frei. Die Enzyklika liest sich wie die Summe früherer Mahnungen des Papstes, sie ist aber auch eine klare Forderung nach einer neuen Politik. Die Corona-Pandemie solle zum Wendepunkt für mehr Mitmenschlichkeit werden, verlangt er.

Das Grundsatzpapier hat rund 150 Seiten. Es trägt in der deutschen Übersetzung den Untertitel «Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft». Franziskus schreibt in klaren, gut verständlichen Worten. Was er dabei inhaltlich fordert, geht ans große Ganze: eine neue Ethik den internationalen Beziehungen ebenso wie eine Migrationspolitik, die von Nächstenliebe geprägt ist. Er nennt etwa in der Flüchtlingsfrage durchaus Konkretes: «Es müsste eine größere Zahl von Visa ausgestellt werden und die Antragsverfahren müssten vereinfacht werden», schreibt der Papst.

Im fünften Kapitel, das mit «Die beste Politik» überschrieben ist, entwirft er eine Vision einer gerechteren Welt, in der «soziale und politische Liebe» den Weg bestimmen. Viele Kirchenexperten sprachen deshalb in ersten Reaktionen von einer sehr politischen Enzyklika.

Der deutsche Jesuit und Vatikan-Kenner Bernd Hagenkord bilanzierte, dass viele Aspekte der Papst-Kritik an der modernen Wirtschaft, an einer Epoche voller Konflikte und Populismus nicht neu seien. «Aufmerksamkeit finden werden Sätze wie der, dass das Recht auf Eigentum nicht absolut sei oder der Aufruf zur Reform der Vereinten Nationen», schrieb er auf der katholischen Medienplattform «Vatikan News». Das seien aber nur Aspekte des übergreifenden Gedankens, dass es dem Papst um die Schaffung eines «Wir» gehe.

Außerdem weist Hagenkord darauf hin, dass das Papst-Schreiben ausgerechnet kurz vor der US-Präsidentenwahl erschienen ist. Darin schreibt Franziskus Sätze über unsere Zeit wie: «Verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen leben wieder auf.» Trotzdem dürfe das nach Ansicht Hagenkords nicht einfach zum «Fingerzeigen» führen. Franziskus wolle in der Enzyklika alle Menschen ansprechen: «Gläubige sollen bei sich selber anfangen.»

Auch dass der Papst aus Argentinien wiederholt den Großimam von Kairo, den islamischen Würdenträger Ahmed al-Tajib, erwähnt, hat für Vatikankenner viel Gewicht. Franziskus ruft vehement zum Dialog zwischen den Weltreligionen auf. Zudem spricht er von der «Einheit aller Christen».

«Es ist darüber hinaus dringend notwendig, weiterhin Zeugnis von einem Weg der Begegnung zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen zu geben», heißt es in der Enzyklika. Aus deutscher Sicht passt eine solche Aussage für manche nicht zum Ausbremsen des Vatikans bei dem Wunsch nach einem gemeinsamen Abendmahl von katholischen und evangelischen Christen. Doch dieser Widerspruch ist ebenfalls nicht neu. Experten erklären ihn auch mit dem Unterschied zwischen Papst-Visionen und den konkreten Vorgaben aus der Vatikan-Bürokratie für den Kirchenalltag und für die Lehre.

Die Theologie-Professorin Margit Eckholt von der Universität Osnabrück sagte, es gehe Franziskus darum zu zeigen, wie sehr der christliche Glaube in einer universalen Perspektive der Nächstenliebe verankert sei. «Der Papst bleibt sich und seiner Linie in dieser Enzyklika treu», urteilte sie.

Viele katholische Frauen im deutschen Sprachraum fühlten sich jedoch anfangs von der Ansprache der Enzyklika wegen des Titels «Fratelli tutti» ausgeschlossen. Denn in Übersetzungen aus dem Italienischen war von «Alle Brüder» die Rede. Kirchenobere argumentierten nach Protesten, dass es sich um ein Zitat des mittelalterlichen Heiligen Franz von Assisi handele. Das überzeugte die Kritikerinnen nicht. Der Vatikan gab nach. Jetzt wird in der deutschen Übersetzung des Lehrschreibens meist von «Geschwisterlichkeit» gesprochen. Im Text erwähnt Franziskus wiederholt, dass die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche gestärkt werden solle.

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