Pakt mit dem Drachen

Chinas Tor nach Europa öffnet sich in Rom

Foto: epa/Focke Strangmann
Foto: epa/Focke Strangmann

ROM/PEKING (dpa) - Während der EU-Gipfel Europas Haltung zur Wirtschaftsmacht China erst noch klären soll, macht Italien schon Nägel mit Köpfen. In der Hoffnung auf Milliardeninvestitionen begibt sich Rom zwischen die Fronten eines geopolitischen Ringens.

In Rom soll für Xi Jinping auch mal ein bisschen Entspannung drin sein. China steckt mit den USA in einem Handelskrieg und gerade erst ist die anstrengende Jahrestagung des Volkskongresses vorbei. In der italienischen Hauptstadt wird der kommunistische Staatschef nicht nur den herrlichen Ausblick auf den Petersdom genießen können, sondern aller Voraussicht nach auch einen großen symbolischen Erfolg einfahren.

Denn Italien will sich als erste große Wirtschaftsnation, als erstes Mitglied der sieben Industriemächte (G7) und als erster großer EU-Staat seiner Initiative für eine «Neue Seidenstraße» anschließen. Was verheißungsvoll klingt, lässt bei den übrigen großen EU-Staaten und auch den USA die Alarmglocken schrillen.

Schon der Zeitpunkt des italienisch-chinesischen Schulterschlusses muss überraschen. Denn die heiklen Wirtschaftsbeziehungen zu China und den USA sind ein Thema des - vom Brexit überschatteten - EU-Gipfels in Brüssel. Und am 9. April steht der EU-China-Gipfel an, der für das Thema «Seidenstraße» wie geschaffen ist. Doch darauf wollte die italienische Regierung nicht warten. Sie hofft auf Milliardeninvestitionen Chinas - je schneller, desto besser.

Der nationale Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten warnte, ein Anschluss Italiens an die Initiative verleihe dem «räuberischen Ansatz» Chinas Legitimität - «und wird den italienischen Bürgern keine Vorteile bringen». Die populistische Regierung in Rom sieht das anders - und begibt sich zwischen zwei geopolitische Fronten.

Bei dem auch «Belt and Road» (BRI) genannten Vorhaben geht es der kommunistischen Führung in Peking um milliardenschwere Investitionen in Häfen, Straßen, Bahnstrecken, Telekom-Netze oder Flughäfen. Geld soll in Wirtschafts- und Handelskorridore zwischen China und Europa, Afrika, bis nach Lateinamerika, aber auch innerhalb Asiens fließen.

Rom kommt das gerade recht. Die Wirtschaft lahmt seit langem, vielerorts ist die Infrastruktur marode, Investitionen werden dringend gebraucht. So will die junge Regierung in Rom am Samstag eine von Peking geforderte Absichtserklärung (MoU) unterzeichnen, um sich formell hinter die geostrategischen Pläne Chinas zu stellen.

Es wird nicht nur gehofft, dass China mehr Waren «Made in Italy» kauft, sondern auch in schwierigen Zeiten in italienische Staatsanleihen investiert. «Nichts davon steht in dem Text der Vereinbarung und es ist, ganz klar, ein Glücksspiel», sagt Nicola Casarini, China-Experte der italienischen Denkfabrik IAI.

Berlin, Brüssel und Washington haben große Bedenken. Diplomaten sehen eine Unterordnung unter Chinas Version einer neuen Weltordnung. China wolle den Rückzug der Supermacht USA unter US-Präsident Donald Trump und seiner «Amerika-Zuerst»-Politik nutzen, in das dadurch entstehende politische Vakuum vorzustoßen.

Überhaupt fehle es den Projekten an Transparenz, internationalen Standards, Umweltschutzgarantien, fairen Wettbewerbsbedingungen und öffentlichen Ausschreibungen, die gerade in einem EU-Land wie Italien eingehalten werden müssten, heißt es. Das Geschäft machten zumeist chinesische Unternehmen, die dann noch eigene Arbeiter schickten.

Gebetsmühlenartig verteidigen Roms Regierungsvertreter ihre Linie. Italien sei als entwickelte Wirtschaftsmacht «deutlich weniger gefährdet» als andere Länder, von China vereinnahmt zu werden, sagte Regierungschef Giuseppe Conte. Italien wolle keine neuen Allianzen schmieden oder sich von historischen Partnern abwenden, versicherte Vize-Premier und Industrieminister Luigi Di Maio. Stattdessen bekäme Italien jetzt die Chance, das Import-Export-Verhältnis mit China neu auszutarieren. «Wir müssen viel mehr exportieren. Zurzeit hängt die Waage auf vernichtende Art und Weise auf Chinas Seite.»

Aber es gibt auch Skeptiker in der Regierung. Vize-Regierungschef Matteo Salvini lässt keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass Vorsicht geboten sei. Italien wolle keine chinesische «Kolonie» werden, sagte er unlängst. Die Absichtserklärung, die nun am Samstag unterschrieben werden soll, sei nur «der Rahmen». «Den Unterschied macht dann, (...) was für ein Bild du in den Rahmen packst», sagte er bei anderer Gelegenheit. «Wenn die Chinesen in Eisenbahnen und Häfen investieren wollen, okay, das wichtige ist, dass die Kontrolle in italienischen Händen bleibt.»

Mehr als 100 Länder haben die Absichtserklärung schon unterschrieben, darunter auch osteuropäische Staaten. Gerade für ärmere Länder sind die Pläne interessant, weil sonst niemand bei ihnen investieren will. Doch die großen historischen Partner Italiens - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - verweigern eine Unterschrift.

Denn hinter blumiger diplomatischer Sprache stecke so mancher «Fallstrick», warnen EU-Diplomaten. Obacht sei vor den Gefahren einer Schuldenfalle geboten, wie es sich bereits in Ländern wie Sri Lanka oder Pakistan offenbart. Auch wird vor einem «Trojanischen Pferd» gewarnt - also, dass die Pekinger Führung heimlich ihren politischen Einfluss ausbaut und die Abhängigkeiten wachsen.

Die Absichtserklärung umfasst die ganze Bandbreite der bilateralen Beziehungen und enthält typische chinesische Formeln, wie aus einem Entwurf hervorgeht, den die Deutsche Presse-Agentur eingesehen hat. So wird «Respekt vor den Kerninteressen» gefordert. Damit meint China seine Machtansprüche auf Inseln und weite Teile des Ost- und Südchinesischen Meers. Dabei hatte das internationale Schiedsgericht in Den Haag die Gebietsansprüche 2016 als unrechtmäßig abgewiesen.

Zu den «Kerninteressen» gehört auch Taiwan. Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil der Volksrepublik, obwohl sie nie dazu gehört hat. Peking droht mit einer gewaltsamen Eroberung.

Die Vereinbarung verpflichtet auch dazu, China in den Vereinten Nationen zu unterstützen. Das hieße auch im UN-Menschenrechtsrat, wo China gerade wieder wegen der Internierung muslimischer Uiguren in Umerziehungslagern am Pranger steht. Ohnehin wird «praktische Kooperation» eingefordert - noch so ein chinesisches Codewort, das für Peking auch bedeutet, Menschenrechte auszuklammern.

Derzeit sieht aber nichts nach einer Kehrtwende in Rom aus. Der Liste der Unterzeichner ein Land wie Italien hinzufügen zu können, wäre für Peking ein «unbezahlbarer PR-Erfolg», sagt Experte Casarini.

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