Pakistan wirft Indien Beschuss in Kaschmir vor

mehrere Tote

ISLAMABAD/NEU DELHI (dpa) - In Kaschmir werden mehrere Soldaten und Zivilisten nach Beschuss über die De-facto-Grenze hinweg getötet. Es ist der erste gewaltsame Zwischenfall, seit Neu Delhi den Sonderstatus des von ihr kontrollierten Teils von Kaschmir abgeschafft hat.

In der Konfliktregion Kaschmir sind nach pakistanischen Angaben am Donnerstag mehrere Soldaten und Zivilisten getötet worden. Die Armee teilte mit, es seien drei pakistanische Soldaten durch Gewehrschüsse und Artilleriebeschuss von Indien aus über die sogenannte Kontrolllinie hinweg ums Leben gekommen. Als pakistanische Soldaten das Feuer erwidert hätten, seien mindestens fünf indische Soldaten getötet worden. Die indische Armee wies die Meldungen über getötete indische Soldaten zurück, wie die indische Presseagentur ANI berichtete.

Die Kontrolllinie ist die De-facto-Grenze zwischen den beiden Ländern in der umstrittenen Region Kaschmir. Gleichzeitig warf die indische Armee Pakistan laut ANI vor, während der vergangenen Tage immer wieder versucht zu haben, Eindringlinge nach Indien zu schicken. Die indische Armee sei darauf vorbereitet. Generell sei die Lage aber unter Kontrolle.

Einem Vertreter der Polizei in Kaschmir zufolge seien bei einem anderen Vorfall am Donnerstag im pakistanisch-kontrollierten Teil Kaschmirs zudem mindestens zwei Zivilisten durch Beschuss von indischer Seite getötet worden. Scharmützel kommen entlang der Kontrolllinie zwischen den von Indien und Pakistan beherrschten Teilen Kaschmirs immer wieder vor. Sie häufen sich, wenn sich die Spannungen zwischen den verfeindeten Nachbarstaaten zuspitzen.

Die jetzigen Zusammenstöße sind die ersten gewaltsamen Vorfälle, seit die indische Regierung vergangene Woche überraschend der von ihr kontrollierten Kaschmir-Region den Sonderstatus entzogen hatte und damit die jüngste Eskalation zwischen den beiden Erzfeinden ausgelöst hatte.

Mit der Neuregelung will Neu Delhi das hauptsächlich von Muslimen bewohnte Gebiet stärker in das mehrheitlich hinduistische Indien integrieren. Pakistan beansprucht das Gebiet auch und bezeichnete die Abschaffung des Status als «illegal». Seit der Unabhängigkeit des früheren Britisch-Indiens und der Trennung in Indien und Pakistan im Jahr 1947 streiten die beiden Länder um die Herrschaft über Kaschmir. Sie haben bereits zwei Kriege um das Himalaya-Tal geführt.

Wenige Stunden zuvor hatte der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan die internationale Gemeinschaft erneut zum Handeln aufgerufen. Sollte sie im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs ein Massaker an Muslimen wie in Srebrenica zulassen, würde das Radikalisierung und eine Spirale der Gewalt in der muslimischen Welt auslösen, warnte der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan auf Twitter.

Viele Menschen in Kaschmir lehnen die Änderung ab. Die indische Regierung hatte Soldaten in die Region geschickt, um Proteste zu verhindern und eine Ausgangssperre verhängt. Laut einem pakistanischen Behördenvertreter ist die größte Sorge Islamabads, was passiere, sobald die Ausgangssperre aufgehoben wird. «Wenn es hier zu Gewalt kommt, dann werden wir reagieren müssen», sagte der Behördenvertreter.

Die indische Polizei hatte am Mittwoch bestätigt, dass es Verletzte durch Schrotkugeln bei Demonstrationen gegen die Neuregelung gegeben hatte. Berichte über größere Proteste weist die Regierung weiter zurück. Dies können Journalisten wegen der eingeschränkten Bewegungsfreiheit vor Ort kaum überprüfen.

In Pakistan wurden am Donnerstag weitere Zeichen des Protests gegen Indiens Vorgehen gesetzt. An dem Tag, der auch Unabhängigkeitstag Indiens ist, wurde landesweit ein «Schwarzer Tag» abgehalten. Khan und viele weitere hochrangige pakistanische Politiker und Militärs schwärzten ihr Profilbild auf Twitter. In allen größeren Städten des Landes gab es Kundgebungen.

Indiens Premier Narendra Modi hingegen verteidigte die Aberkennung des Sonderstatus. Sie sei ein wichtiger Schritt, um Indien zu einen. «Der Geist von einer Nation, einer Verfassung, ist jetzt Realität geworden. Und Indien ist stolz darauf», erklärte Modi bei einer Rede zum indischen Unabhängigkeitstag in Neu Delhi. Ihm sei in weniger als 70 Tagen seiner zweiten Amtszeit gelungen, was Regierungen vor ihm in den mehr als 70 Jahren seit der Unabhängigkeit von Großbritannien nicht geschafft hätten.

Am Mittwoch hatte Khan in einer Rede im pakistanisch-kontrollierten Teil Kaschmirs gesagt, Modi habe einen strategischen Fehler begangen. Ihn werde die Entscheidung teuer zu stehen kommen.

Aus Islamabad hieß es in den vergangenen Tagen, man wolle diplomatisch, nicht militärisch, gegen die Abschaffung des Sonderstatus vorgehen. Am Freitagvormittag um zehn Uhr (Ortszeit) soll sich auch der UN-Sicherheitsrat in New York hinter verschlossenen Türen mit der Lage in Kaschmir beschäftigen, verlautete aus Diplomatenkreisen. China hatte die Sitzung am Mittwoch beantragt. Vorangegangen war ein Brief des pakistanischen Außenministers Shah Mehmood Qureshi, der um eine Dringlichkeitssitzung gebeten und geschrieben hatte, der Weltfrieden sei in Gefahr.

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