ÖVP und Grüne einig über erste schwarz-grüne Regierung in Österreich

Foto: epa/ Florian Wieser
Foto: epa/ Florian Wieser

WIEN (dpa) - Seit dem Wahlabend im September standen in Österreich die Zeichen auf schwarz-grün. Drei Monate später haben ÖVP und Grüne eine Einigung erzielt. Nun fehlt nur noch der Segen des Grünen-Bundeskongresses.

Die konservative ÖVP und die Grünen haben sich in Österreich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Das wurde der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch aus Verhandlerkreisen bestätigt. Das Übereinkommen muss am Samstag noch vom Bundeskongress der Grünen mit fast 300 Delegierten abgesegnet werden. Eine schwarz-grüne Regierung wäre in Österreich auf Bundesebene eine Premiere. Dem Bündnis wird bereits jetzt Symbol-Charakter für Deutschland und andere europäische Länder zugesprochen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz wagt nach eineinhalb Jahren in einer aus dem Ausland stets kritisch beäugten Regierung mit der rechten FPÖ nun einen Richtungswechsel.

Dass die Verhandlungen erfolgreich enden würden, hatte sich schon in den vergangenen Tagen abgezeichnet. Seit Montag teilten die beiden Parteien trotz fehlender endgültiger Einigung mit, welche Minister dem künftigen Kabinett angehören sollen. Auch der Versand der Einladungen für den grünen Bundeskongress wurde als Zeichen gewertet, dass eine Einigung kurz bevorsteht.

Zu den Überraschungen bei den Ministerplänen gehört die Neueinrichtung eines Integrationsministeriums, dessen Leitung Susanne Raab übernehmen soll. Die Kurz-Vertraute war bisher Leiterin der Integrationssektion im Außenministerium. Kurz lobte sie als «junge und sehr erfahrene Integrationsexpertin».

Die Grünen erhalten derweil ein Superministerium, in dem die Themen Umwelt, Verkehr und Infrastruktur, Energie, Technologie und Innovation zusammengeführt werden. Als Ministerin ist Leonore Gewessler vorgesehen. Die 43-Jährige leitete die Umwelt-NGO Global 2000, bis Grünen-Chef Werner Kogler sie zu einer Kandidatur für die Grünen bei der Nationalratswahl im September überzeugen konnte.

Im Verteidigungsministerium wird in Klaudia Tanner, derzeit Bauernbunddirektorin im Bundesland Niederösterreich, erstmals eine Frau Chefin. Innenminister wird der bisherige Generalsekretär Karl Nehammer. Mit Außenminister Alexander Schallenberg darf auch ein Mitglied der Expertenregierung, die seit dem Misstrauensvotum gegen die Regierung Kurz I die Geschäfte führt, im Kabinett bleiben. Während die Parteien schon zahlreiche Personalien vor der Einigung bekannt machten, hielten sie sich zu politischen Inhalten bedeckt.

Die Neuwahl und die Koalitionsverhandlungen waren nötig geworden, nachdem die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Regierung nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos zerbrochen war. Der ehemalige FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache wirkte in den Aufnahmen anfällig für Korruption und trat zurück. Kurz rief Neuwahlen aus und wurde wenige Tage später per Misstrauensvotum aus dem Kanzleramt getrieben. Bis zur Ibiza-Affäre hatte die rechtskonservative Regierung recht reibungslos gearbeitet, wurde aber immer wieder gestört, weil die FPÖ die Abgrenzung zum rechtsextremen Rand nicht in den Griff bekam.

Bei der Wahl im September konnten ÖVP und Grüne dann deutliche Gewinne verbuchen, während die sozialdemokratische SPÖ und die FPÖ viele Wählerstimmen verloren. Damit standen bereits am Wahlabend die Zeichen auf schwarz-grün in der Alpenrepublik.

Beide Parteien betonten während den Verhandlungen, dass es zwischen ihnen große Unterschiede gebe und entsprechend große Hürden auf dem Weg zu einem Bündnis überwunden werden müssten. Während Kurz neue Steuern ablehnt, auf einen Anti-Migrationskurs Wert legt und wirtschaftsnah regieren will, benannten die Grünen den Klimaschutz, den Kampf gegen die Kinderarmut und mehr Transparenz als ihre wichtigsten Punkte.

Sebastian Kurz: Künftiger Kanzler mit neuem grünen Anstrich.

Seitdem er die ÖVP übernommen und modernisiert hat, geht es spektakulär aufwärts mit den Konservativen. Mit dem Bündnis mit den Grünen öffnet er die Partei für sämtliche Koalitions- und Machtoptionen.

Eineinhalb Jahre musste Sebastian Kurz mit einem kleinen Makel leben. Seine Regierung mit der rechten FPÖ arbeitete reibungslos, viele Großprojekte wurden bereits in den ersten Monaten angeschoben. Doch immer wieder sorgte der Koalitionspartner für Negativschlagzeilen, die Rechtspopulisten scheiterten bei der Abgrenzung zum rechtsextremen Rand, die sogenannten «Einzelfälle» störten. Aus dem Ausland wurde das rechtskonservative Bündnis stets kritisch gesehen - einem Perfektionisten wie Kurz kann das nicht egal gewesen sein. Doch nun könnte sich das Blatt wenden.

Denn Kurz ist es gelungen, einen Kompromiss mit den Grünen zu erarbeiten. Der 33-Jährige steht aller Voraussicht nach künftig als Kanzler an der Spitze der ersten schwarz-grünen Bundesregierung in der Alpenrepublik - an der Spitze eines zukunftsweisenden Projekts. Auf europäischer Ebene dürfte diese Regierungskonstellation deutlich mehr Applaus bekommen als die Koalition mit der FPÖ. «Die Aussicht, dass er in Europa und vielleicht gerade in Deutschland, einen Trend setzt, wäre schon verlockend», sagte der Politikberater Thomas Hofer zuletzt der Deutschen Presse-Agentur.

Seine Partei hat Kurz in den vergangenen zweieinhalb Jahren bereits modernisiert und in den Spitzenpositionen auch deutlich verjüngt. Viele seiner Vertrauten sind nicht älter als 40, auch das neue Kabinett wird im Durchschnitt recht jung sein. Seine akribische Vorbereitung auf Termine und eine stets ausgefeilte Kommunikationsstrategie gehören zu den weiteren wichtigen Zutaten für den Erfolg des jungen Kanzlers. Fehler macht er dabei kaum. Und wenn doch, dann werden sie ihm meist schnell verziehen.

Dass er für seine Selbstdarstellung die Wahlkampfkostenobergrenze mit Karacho übertroffen hat - geschenkt. Dass das Bündnis mit den Grünen nach eineinhalb Jahren an der Seite von Rechtspopulisten einer 180-Grad-Wende gleichkommt - egal. Kurz kommuniziert solche Probleme mit prägnanten Medienauftritten locker weg, macht sich im Notfall auch mal rar - die politischen Affären der vergangenen Monate in Österreich blieben so nicht an ihm haften.

Begonnen hat sein steiler Aufstieg mit der strikten Anti-Migrations-Haltung, die er schon 2015 vertrat. Als viele Menschen in Österreich und Deutschland noch die Willkommenskultur befürworteten, warnte Kurz vor unkontrollierter Zuwanderung. Zusammen mit den Balkanstaaten zimmerte er im Amt des Außenministers ein Bündnis, mit dem die von den Flüchtlingen bis dahin gern genutzte Balkanroute Anfang 2016 weitgehend geschlossen wurde. 2017 gewann er dann mit der strikten Migrationspolitik die Wahlen in der Alpenrepublik - und wurde mit gerade einmal 31 Jahren Kanzler.

Es folgten 18 Monate, in denen Kurz und der Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache regelmäßig die gute Zusammenarbeit ihrer Parteien betonten. Dass Strache auf Ibiza in eine Videofalle tappte und dabei anfällig für Korruption wirkte, bedeutete aber das plötzliche Ende dieser Liaison.

Noch während der Affäre zeigte Kurz, was eine clevere Kommunikationsstrategie ausmacht. Als er die Neuwahlen ausrief, hielt er bereits die erste, wohlüberlegte Wahlkampfrede. Wenige Tage später wurde er als erster Kanzler überhaupt in Österreich per Misstrauensvotum abgewählt - und heizte nur zwei Stunden später seinen Anhängern für den Wahlkampf ein. Schon da deutete sich an: Der gestürzte Kanzler kommt gestärkt zurück.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.