Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm

Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm

Da sitzen wir in Thailand vorm Fernseher, sehen und hören die Berichte über Flüchtlinge, trinken noch ein Glas Wein und legen uns mit gutem Gewissen ins Bett, hoffend auf angenehme Träume.

Ja, es geht uns gut hier. Aber was wissen wir über das Elend der Flüchtlinge, die heute in ihrem Land keine Chance mehr haben zu überleben, die bei Nacht Haus und Hof verlassen mit etwas Lebensmittel und Wasser in Richtung Westen, nicht wissend, wo sie landen werden? Noch hoffen sie auf ein gutes Ende, auf ein demokratisches Land, wo sie leben und arbeiten können. Aber dann kommen die Gebirge. Sie werden eingeschneit, kommen kaum noch voran. Der älteste Sohn stürzt in einen Abgrund. Keine Rettung möglich. Weiter! Sie müssen trotzdem weitergehen. Die jüngste Tochter kann nicht mehr. Ihre Füße sind abgestorben. Der Vater wirft seinen Koffer fort und trägt sie, Tag für Tag. Schon längst haben sie nichts mehr zu essen. Sie trinken den Schnee. Dann tauchen die ersten Häuser auf. Fenster und Türen sind versperrt. Kein Mensch zu sehen. Weiter! Vielleicht gibt es irgendwo Menschen, die Mitleid mit ihnen haben, die helfen werden. Die Grenze zur Türkei ist überschritten, illegal. Ein Dorf. Was will der Mann von ihnen, der sich ihnen freundlich lächelnd nähert? Er fragt, woher sie kommen, er will helfen. Er hat einen Freund, in dessen Keller sie übernachten können. Er bringt etwas zu essen und heißen Tee. Ein Engel, ein Lebensretter. Er bringt sie zu einer Behörde, wo ihre Personalien aufgenommen werden. Hilfe gibt es hier auch nicht. Sie sind geduldet- vorübergehend. Die Türkei ist auch keine Demokratie. Freundliche Blicke erleben sie selten. Sie sind wieder im Keller gelandet. Ihr Helfer hat alte Matratzen aufgetrieben und Decken. In all ihrem Elend geht es ihnen gut. Nur der älteste Sohn fehlt so sehr. Ihr Helfer kommt alle Tage vorbei, bringt ihnen etwas zu essen, obwohl er selbst nichts hat. Er bettelt bei seinen Freunden und Bekannten um Nahrung für sie. Sie träumen vor sich her. Deutschland oder Frankreich wären wunderbar, auch wenn sie deren Sprachen nicht verstehen. Sie sprechen nur ihre eigene Sprache, die in keinem anderen Land gesprochen wird. Man hat sie nach Istanbul gebracht, in ein Lager, wo sie mit dem Nötigsten versorgt werden. Wie geht es weiter? Ich weiß es nicht.

Deshalb wende ich mich wieder meinen Freunden in Thailand zu. Sie haben gut geschlafen, gefrühstückt und machen sich auf zum Strand. Die Sonne scheint, und die Palmen spenden Schatten. Die Welt ist in Ordnung für sie. Der gestrige Bericht über die Flüchtlingsfamilie ist längst vergessen. Eine junge Masseurin bietet sich an für eine Massage auf dem warmen Sand. Heute Abend vielleicht noch eine mit Happy End. Dafür kommen schließlich viele Touris­ten in dieses Land. In jeder Straße findet man diese Salons, manchmal sogar vier oder fünf in einer Soi. Man kann ihnen nicht ausweichen und nimmt sie wahrscheinlich gerne in Anspruch. Hier sind die Urlauber alle kleine Könige, zuhause vielleicht kleine Angestellte, Hausmeister oder schon Rentner. Hier bietet sich ein Paradies an, um alle Träume zu erfüllen. Brecht hat es uns gesagt: „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“.

Wollen wir uns noch einmal an die Flüchtlingsfamilie in einem Lager in Istanbul erinnern? Es gelang ihr wirklich, nach Deutschland zu kommen. Sie fand Aufnahme in Rüsselsheim und der Vater hat nach einiger Zeit sogar eine Anstellung bei Opel gefunden. Ein seltener Glücksfall. Aber wir alle wissen, dass in Deutschland Fachkräfte fehlen, ebenso wie ein Asylantengesetz, das die Eingliederung dieser Flüchtlinge erleichtert.

Ach, die Probleme in Europa! Zum Glück sind sie weit fort von uns hier in Thailand. Hier ist das Leben lebenswert, und wir genießen es. Der Mensch ist nun mal so gepolt, dass er in erster Linie an sich und seine nächsten Angehörigen denkt. Warum soll er sich das Leben schwer machen mit Sorgen, die ihn im Grunde gar nicht berühren? Wir geben hier unser Geld mit offenen Händen aus und sind deshalb beliebt. Die meisten Thais halten uns doch für stinkreich, und viele von ihnen haben nichts anderes im Sinn, als einen der Stinkreichen zu erobern. Auch sie wollen im Wohlstand leben. Das ist doch verständlich.

Als ich Nut kennenlernte, war sie gerade zwei Tage vorher in Pattaya angekommen. Sie saß vor einer 7Eleven-Filiale und schaute mich nicht an. Ich blieb stehen und wartete, bis sie ihren traurigen Blick zu mir erhob. „Hallo, woher kommst du?“ Sie verstand mich nicht. Mit Gesten fragte ich sie, ob sie hungrig sei. Sie nickte. In der nächsten Garküche kaufte ich für sie eine Suppe und im Laden eine Flasche Wasser. „Wo wohnst du?“ Sie schüttelte die Schultern. Wie alt mag sie gewesen sein? Ich schätzte sie auf 18. Später erfuhr ich, dass sie erst 16 Jahre alt war. Ich lebte allein in einer großen Wohnung mit einem Gästezimmer und war zu faul, diese allein sauber zu halten. Ich fragte sie, ob sie bei mir als Maid arbeiten wollte. Sie verstand nichts aber kam mit mir. Zuhause im Isaan hatte sie schon gelernt, das Elternhaus sauber zu halten. Ich engagierte sie. Sie bekam ein eigenes Zimmer mit Bad und ein angemessenes Gehalt. Das ist jetzt fast 10 Jahre her. Sie ist immer noch bei mir und wird auch bei mir bleiben, wenn ich einmal eine Nurse brauche. Überall auf der Welt gibt es Armut, Hunger und Heimatlosigkeit. Auch in Thailand. Nut konnte ich aus diesem Elend befreien.

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Thomas Knauer 23.03.20 21:37
Ja ein sehr gut geschriebener Artikel.
Not gibt es überall und Hilfe kann überall geleistet werden.
selbstverständlich kann das auch jeder der das möchte unterlassen und sein Leben nach eigenen Maßstäben leben.
Was mich immer wieder erstaunt, dass sich Menschen die weit weg von Deutschland ein gutes Leben genießen, mit Deutschland auch abgeschlossen haben und nicht zurück wollen, immer noch für die deutsche Politik interessieren.
Hans-Dieter Volkmann 17.03.20 07:11
Thailand hat alles zu bieten
Wenn ich bisher noch nicht wusste wie man Egoismus treffend darstellt, Herr Homer aus Pattaya hat es geschafft
Walo Haller 15.03.20 18:12
Haeuptling Spitze Feder / alias Ce-eff Krueger.
Danke fuer Ihre stets fundierten Kommentare. Im Jahre 2003 habe ich meine Frau in BK kennen gelernt. Sie stammt ebenfalls aus ganz einfachen Verhältnissen aus dem Isaan. Ihrem Onkel sei Dank, dass sie eine höhere Schule besuchen konnte. Sie wurde durch unsere Heirat vor 15 Jahren nicht Stinkreich aber wir konnten den nächsten Verwandten eine gute Schulbildung (Uni) ermöglichen, oder die Sanierung der maroden Unterkunft. Ich hatte das Glück in einem reichen Land aufzuwachsen und meine Eltern haben mir den Besuch guter Schulen ermöglicht. Wie jedermann weiss, ist die Ausbildung der Schlüssel zum Erfolg. Meine Mutter hat mir schon als Kind beigebracht, dass Geben seliger ist als nehmen und die daraus erwachsenen Früchte sind erkennbar. Ce=eff nochmals danke für Ihren Weckruf!