Nur nicht das Gesicht verlieren

„Chai Yen“ zählt bei den Thais zu den wichtigsten Tugenden

Ein Lächeln in jeder Lebenslage . . . Thais wollen auch in kritischen Situationen ihr Gesicht wahren.
Ein Lächeln in jeder Lebenslage . . . Thais wollen auch in kritischen Situationen ihr Gesicht wahren.

Von Günther Ruffert

Ein Thai denkt bei seinem Handeln weniger an die kurz- und schon gar nicht an die längerfristigen Folgen, sondern vor allem an den Augenblick - und an sein „Gesicht“. Er wird seine Handlungenweniger danach ausrichten, was nach unserem Verständnis vernünftig oder logisch ist, sondern zunächst danach, was ihm „Gesicht“ verleiht.

Das Gesicht bewahren bedeutet für den Thai vor allem Konfrontationen zu umgehen und sich darum zu bemühen, sich oder andere Leute nicht in Verlegenheit zu bringen. Die ideale Art und Weise, dasGesicht zu wahren, ist, Diskussionen über unangenehme Themen möglichst zu vermeiden und sich lieber lächelnd aus einer unangenehmen Situation davon zu stehlen, als Konsequenzen auf sich zunehmen. Das Lachen bei kleineren Unfällen - wenn z. B. jemand stolpert und stürzt - mag dem Farang gefühllos erscheinen, aber es ist auch ein Versuch, das Gesicht der gefallenen Person zubewahren.

Da der Thai es gewohnt ist, mit lächelnden und ruhig sprechenden Menschen zu tun zu haben, reagiert er leicht irritiert, wenn ihm jemand mit ernstem oder verkniffenem Gesicht begegnet. Er fühltsich bedroht, wenn ihn jemand anschreit. Der Farang, der über eines der vielen Dinge ausrastet, die ein Europäer als Faulheit, Desinteresse oder als unverschämte Abzockerei ansieht, verliertschnell sein Gesicht, wenn er anfängt zu schreien. „Chai Yen“ bedeutet, in jeder Situation ein kühles Herz zu behalten. Es ist eine der wichtigsten Tugenden in Thailand.

Die Thais packen ihren Ärger wie in eine Flasche, die aber dann auch mit einem grossen Knall explodieren kann, wenn der Innendruck zu gewaltig wird. Wenn ein Thai die Kontrolle verliert undanfängt zu schreien, ist es für den Farang klüger, sich zu verziehen, egal ob es sich um die eigene Frau oder um einen mit seinem Fahrgeld nicht einverstandenen Taxi-Fahrer handelt.

Da es bedeutsam ist, in jeder Situation sein Gesicht zu wahren, sind die Thais auch empfindlich gegen persönliche Kritik. Sie sind es gewohnt, dass man Kritik jemanden gegenüber nicht direktäussert. Wenn man einen Thai, womöglich in Gegenwart anderer Leute, kritisiert, dann könnte er sein „Gesicht verlieren“, eine ganz böse Sache für einen Thai. Dann kann es vorkommen, dass erausrastet und völlig überzogen reagiert. Deutsche wollen grundsätzlich immer Recht haben; Thais hingegen wollen nie zugeben, dass sie etwas falsch gemacht haben, weil sie Angst haben, dann ihrGesicht zu verlieren.

In Thailand kann das Gesicht eine sehr ernste, aber auch eine absurde Angelegenheit sein. Gesetzeshüter sind beleidigt, wenn man sie kritisiert, und sie beschützen ihre Kollegen, die inzweifelhafte Aktivitäten verwickelt sind. Wenn ein Thai sein Gesicht verliert, ist das Risiko des frühzeitigen Ablebens für den Verursacher um einige Prozent gestiegen. Bei der grossen Zahl vonMorden in Thailand (etwa 10.000 im Jahr) sind viele Rache für einen erlittenen Gesichtsverlust.

Wenig verständlich ist den Farang hingegen, wie leicht sich die Thais über den mit der Prostitution ihrer Töchter verbundenen Gesichtsverlust hinwegsetzen. Hier kommt der für Thais typischePragmatismus voll zum Zuge, wenn abgewägt werden muss zwischen allgemein akzeptierten Moralvorstellungen und der Verpflichtung, für den Lebensunterhalt der Kinder und der alten Eltern zusorgen, die ja durch keinerlei Sozialversicherung abgesichert sind. Für Thais ist an der Prostitution solange nichts schlecht, solange sie Geld und damit finanzielle Kompensation für eineneventuellen Gesichtsverlust bringt.

Spannendes Buch über den Isaan

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau undTochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau undErnte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf inseinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten ausunterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und imCentral Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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Leserkommentare

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