Nur Fliegen ist schöner

Flug TR X120 von Zürich nach Bangkok startete mit zwanzig Minuten Verspätung. Ich hätte das kaum bemerkt, wenn der Kapitän sich nicht entschuldigt hätte. Ich rechnete: Bei zehntausend Flugkilometern hatten wir also zwei Minuten Verspätung pro tausend und ich überlegte, ob es ratsam wäre, zu reklamieren und eine Entschädigung von den Schlampern zu verlangen. Immerhin gibt es für einen Rentner nichts Kostbareres als Zeit im Hinblick auf die, die ihm noch bleibt. Corona lässt grüßen.

Meine Aufmerksamkeit war aber anderswo gefordert: Die Sitznachbarin, eine Thai um die Fünfzig, suchte das Gespräch. Sie sprach gebrochen Deutsch, dafür aber sehr fließend, es flossen etwa zehntausend Worte pro Flugkilometer. Auf der Höhe von Wien war ich bestens über ihre Verhältnisse informiert, was ich einigermaßen unbeschadet verkraftete, da mein Kurzzeitgedächtnis mich intuitiv im Stich lässt, wenn es ihm angemessen erscheint. Es scheint allerdings seinen Spielraum immer weiter auszuweiten. Wo bin ich stehen geblieben?

Herr Ober, das Gegengift bitte!

Als die Maschine hoch über dem Schwarzen Meer schwebte, bahnte sich eine neue Drohung an: Das Dosenfutter der Holzklasse wurde serviert! Ich stellte mit Entsetzen fest, dass ich vergessen hatte, ein Gegengift einzunehmen. Für so einen Fall ist nur der Chef-Steward zuständig, welchem ich diskret meine Sorge ins Ohr flüsterte. Er zauberte so routiniert eine Flasche Cognac aus dem Wägelchen, dass sich mein Verdacht erhärtete, dass er ziemlich genau wissen würde, was sich in den Aluschalen befand und er mir aus unerfindlichen Gründen das Leben retten wollte. Ich erkläre ihn hiermit zum unbekannten Ritter der Lüfte und setze ihm mit diesen Zeilen ein Denkmal!

Es kommt bei einem Langstreckenflug irgendwann der Augenblick, wo es sich die Reisenden bequem machen. Nachdem das Essen serviert und das Geschirr wieder abgetragen wurde, verlagert man den Sitz nach hinten, ein Unterfangen, bei dem es ratsam ist, einen Blick über die Schultern zu werfen und sich zu vergewissern, dass der Nachbar auf dem Rücksitz nicht bedrängt wird.

Das ist aber noch nicht bei allen Reisenden angekommen.

Taufe aus dem Hinterhalt

Ein Bekannter erzählte mir, dass auf einem Flug von Zürich nach Bangkok eine vollschlanke Dame mittleren Alters den Hebel für den Relax-Modus aktiviert hatte, ohne sich vorher umzusehen. Der Sessel kippte folglich nach hinten, wo ein Herr, ebenfalls mittleren Alters, gerade mit seinem Laptop beschäftigt war und ein Glas Wein in der Halterung stehen hatte. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was passierte: Der Wein fand seinen Weg über und in die Tastatur des Laptops, was die Frustrationstoleranz des Besitzers arg strapazierte und schließlich überforderte! Er füllte kurzerhand ein Glas Wasser und goss es der Dame über den Kopf.

Es war eine spontane Aktion aus dem Hinterhalt, die erheblichen Unmut auslöste. Auf das Gezeter der Frau hin eilte eine Stewardess heran und sah mit geübtem Blick, was vorgefallen war – viel nasser konnten die Haare ja nicht werden. Sie alarmierte ihrerseits die männlichen Kollegen, welche sich vor dem Mann aufbauten und ihm gehörig die Leviten lasen. Vorsorglich hatten sie auch Kabelbinder dabei, deren Zweck ihm nicht lange erklärt werden musste. Er zog es vor, bis zur Landung das Unschuldslamm zu spielen.

Zu seiner Verteidigung kann man anführen, dass in 10.000 Meter Flughöhe Sauerstoffmangel herrscht und die Maschine vielleicht nicht ganz dicht war, was sich auf sein Gemüt auswirkte. Oder war er ein Wiedertäufer, der die Gelegenheit wahrnahm, sich in religiöser Praxis zu üben?

Und die Dame? Sie war auf der Toilette verschwunden und als sie nach kurzer Zeit wieder zurückkehrte, sollen die Haare schon wieder trocken gewesen sein. Wie hat sie das bloß geschafft? Hat sie den Kopf aus der Luke gehalten und sich mit Stratosphärenluft geföhnt?

Jetlook – a new style!

Mit etwas Fantasie lässt sich aus dem Vorfall noch ein Happy End fabulieren: Die Lady fiel mit ihrer bemerkenswerten Frisur einem Hairstylisten am Airport auf, der – neugierig geworden – nachfragte, wie dieses Kunstwerk entstanden sei? Er nannte es „Jetlook“, fotografierte es von allen Seiten, setzte es in den Medien ab und machte die „Dame mit dem Jetlook“ zu einer weltberühmten Influencerin.

Und der Monsieur? Bei der Reinigung seines platschnassen Laptops hackte er sich irrtümlich in die Bank von England ein und zockte ein paar Millionen ab. Er wird erst wiederauftauchen, wenn er in Pattaya in der Gosse sitzt.

Wie war das nochmal mit der Chaostheorie? Ein kleiner Hebel, sorglos betätigt, kann die Welt verändern!

Anmerkung: Leser haben mir mitgeteilt, dass sie es zu schätzen wissen, dass ich das Thema Coronavirus außen vor lasse. Dieser Bitte komme ich gerne nach, ich bin kein Epidemiologe, nur so viel: Wieso führt man nicht weltweit den keimfreien thailändischen Wai als Begrüßungsformel anstelle des Händeschüttelns ein? Kein Scherz, der Wai drückt Respekt sowie auch Würde aus und hält gleichzeitig auf freundliche Weise Distanz. Der ideale Propagandist dafür wäre der chinesische Künstler und Superstar Ai Weiwei. Wieso komme ich wohl auf ihn?


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Thomas Knauer 15.04.20 19:27
und wieder eine schöne Geschichte die unterhaltsam zu lesen ist und für gute Laune sorgt.
Meine Familie hat mir ausdrücklich untersagt den Wai anzuwenden. Er ist innerhalb der Familie unüblich und nach außen unnötig. Da es mir leider nicht möglich ist festzustellen wem ich diesen Wai in welcher Höhe angedeihen lassen kann und wer aus Gründen der Hierarchie nicht mit einem Wai bedacht werden soll.
Markus Flury 13.04.20 16:39
Immer gern gelesen
Wieder wie so oft den Nagel auf den Kopf getroffen, die Thais und Thailand werden so beschrieben wie wir Sie selbst erleben. Aber immer mit Achtung und dem Respekt eines Gastes in diesem schönen Land.
Gruss Markus
nopar king 13.04.20 11:08
Und wieder....
.... eine nette Geschichte die uns ein Lächeln ins Gesicht zaubert.