Deutsche Grüne wählen eine neue Führung

​Nun Regierungspartei

Annalena Baerbock, deutsche Bundesministerin des Auswärtigen. Foto: epa/Kay Nietfeld
Annalena Baerbock, deutsche Bundesministerin des Auswärtigen. Foto: epa/Kay Nietfeld

BERLIN: Die Grünen-Stars sind jetzt Minister. Deshalb müssen sie den Parteivorsitz abgeben. Zwei neue Gesichter stellen sich zur Wahl. In der Regierung tut sich die Ökopartei derweil noch etwas schwer. Und eine schon halb vergessene Affäre holt sie nun wieder ein.

In den vergangenen Jahren waren sie so eine Art Dream-Team der deutschen Grünen. Seit Annalena Baerbock (41) und Robert Habeck (52) Anfang 2018 gemeinsam den Vorsitz übernahmen, ging es mit der Ökopartei in den Umfragen steil bergauf. Sie erreichten zeitweise Zustimmungswerte von über 25 Prozent und träumten schon vom Kanzleramt.

Die Kanzlerkandidatur Baerbocks bei der Bundestagswahl 2021 endete enttäuschend, denn die Grünen wurden mit 14,8 Prozent nur drittstärkste Kraft hinter Sozial- und Christdemokraten. Aber erstmals seit 2005 regieren sie wieder auf Bundesebene. In der «Ampel»-Koalition mit SPD und Liberalen unter Kanzler Olaf Scholz ist Habeck Wirtschafts- und Klimaschutzminister sowie Vizekanzler, Baerbock ist Außenministerin. Hinzu kommen die Ressorts für Umwelt, Familie und Landwirtschaft, also zusammen fünf grüne Ministerien.

Den Parteivorsitz müssen Baerbock und Habeck mit ihrem Einzug ins Kabinett nun abgeben. So verlangen es die Statuten der Grünen, die 1980 aus der westdeutschen Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangen waren. Ein Parteitag an diesem Wochenende wählt eine neue Führung.

Zur Wahl für die grünen-typische Doppelspitze stellen sich wieder ein Mann und eine Frau. Anders als beim telegenen Duo Baerbock-Habeck, die beide zum sogenannten Realo-Flügel der Partei zählen, wird dieses Mal auch der linke Flügel vertreten sein. Für diesen kandidiert Ricarda Lang. Die 28 Jahre alte Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg war von 2017 bis 2019 Sprecherin der Grünen Jugend. Danach zog sie als stellvertretende Partei-Chefin und frauenpolitische Sprecherin in den Bundesvorstand ein.

Für die «Realos» geht Omid Nouripour (46) ins Rennen. Er hat einen sogenannten Migrationshintergrund, denn er kam 1975 in Teheran zur Welt. Als 13-Jähriger zog er mit seinen Eltern nach Deutschland. Im Bundestag sitzt er seit 2006, dem Grünen-Bundesvorstand gehört er schon seit 2002 an. Er hat sich vor allem als Außenpolitiker einen Namen gemacht. Die Wahl Langs und Nouripours zur neuen Doppelspitze gilt als so gut wie sicher.

Wegen der Corona-Pandemie wird der Parteitag rein virtuell stattfinden. Das schließt Debatten nicht aus, und Stoff für Diskussionen gibt es genügend. Da ist nicht nur das eher enttäuschende Wahlergebnis, auch nach der Wahl lief für die Ökopartei vieles nicht rund.

So gelang es den Grünen in den Koalitionsverhandlungen nicht, sich das für eine «ökologische Verkehrswende» wichtige Verkehrsministerium zu sichern. Dieses ging an die FDP - die ihrerseits die grüne Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit auf den deutschen Autobahnen ausgebremst hatte.

Die Grünen schafften es auch nicht, eine grüne Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten durchzusetzen. Am Ende stellten sie sich dann doch hinter Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier, einen SPD-Politiker, der nun einer zweiten Amtszeit entgegensieht.

Zum Jahreswechsel mussten die Grünen eine weitere «Kröte schlucken», wie es in der deutschen Presse heißt, als die EU-Kommission Atomkraft als nachhaltige Übergangstechnologie einstufte. Da das Gleiche auch fürs Erdgas gilt, werden die Koalitionspartner SPD und FDP diese Entscheidung wohl akzeptieren.

Vizekanzler und Klimaminister Habeck muss nun gegen vielfache Widerstände den von der «Ampel»-Koalition geplanten Ausbau der Windenergie durchboxen. Denn bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Schon gibt es einen Konflikt mit dem wirtschaftsstarken Bundesland Bayern, von dem Habeck verlangt, seine besonders strengen Abstandsregeln für den Bau von Windkraftanlagen zu lockern. Auch die steigenden Energiepreise im Zuge der Energiewende dürften viele Menschen den Grünen ankreiden.

Außenministerin Baerbock wiederum hat es mit dem Machtanspruch des Kanzleramtes zu tun, das sich ebenfalls für die internationalen Beziehungen von Europas größter Volkswirtschaft zuständig fühlt. Baerbock hat sich, wie es dem wertegeleiteten Anspruch der Grünen entspricht, kritisch gegen China und Russland positioniert. Die Kanzlerpartei SPD, aus deren Reihen einst Friedensnobelpreisträger Willy Brandt (1913-1992) hervorging, steht stärker in der Tradition der Entspannungspolitik zwischen Ost und West.

«In der Praxis gibt es drei einzelne Regierungsparteien, und von denen wirken die Grünen bislang am schwächsten», schrieb das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» über den Zustand der «Ampel».

Neuen Ärger gibt es für die Grünen, seit vorige Woche bekannt wurde, dass die Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Untreue gegen den gesamten Bundesvorstand ermittelt. Es geht um einen Corona-Bonus von 1500 Euro pro Person, der vor gut einem Jahr nicht nur an die Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle, sondern auch an die sechs Mitglieder des Bundesvorstands gezahlt wurde. Demnach bewilligten die Mitglieder des Bundesvorstandes, dem auch Lang schon angehörte, den Bonus an sich selbst. Habeck sagte dazu, die umstrittenen Boni seien längst zurückgezahlt.

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