Skandale überschatten Olympia-Eröffnungsfeier in Tokio

Foto: epa/Tamas Kovacs
Foto: epa/Tamas Kovacs

TOKIO: Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Tokio wird wie keine andere sein. Dafür sorgt nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch eine ganze Serie an Skandalen. Führenden Mitgliedern des Kreativteams werden in Japan plötzlich jahrzehntealte Verfehlungen zum Verhängnis.

Nächster Rauswurf, leere Ränge und das Corona-Risiko - überschattet von beispiellosen Problemen findet die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Tokio an diesem Freitag vor spärlich besetzter Kulisse statt. Nur einen Tag vor der Zeremonie im Olympia-Stadion der Hauptstadt entließen die Organisatoren den Kreativdirektor der Feier, Kentaro Kobayashi (48). Anlass war ein plötzlich im Internet aufgetauchter Videoclip von einem Sketch von 1998, in dem er als junger Komiker einen Witz über den Holocaust riss. Nur Tage zuvor musste auch der Komponist der Eröffnungsfeier, Keigo Oyamada (52), zurücktreten. Ihm wurden im Internet aufgetauchte alte Interviews zum Verhängnis, in denen er erzählte, wie er in der Schulzeit behinderte Kinder gemobbt hatte.

Das gesamte Programm der Eröffnung solle nun noch einmal genau überprüft werden, sagte OK-Geschäftsführer Toshiro Muto am Donnerstag - kaum mehr als 24 Stunden vor Beginn der Zeremonie. Man werde jetzt schnell beraten, wie die Eröffnungsfeier abgehalten werden solle und «so bald wie möglich» zu einem Ergebnis kommen, ergänzte Japans Organisationschefin Seiko Hashimoto. Japans Regierungschef Yoshihide Suga sagte laut der Nachrichtenagentur Kyodo, die Eröffnungsfeier solle wie geplant über die Bühne gehen. Japanische Medienberichten zufolge wird die Show dem Motto «vereint durch Emotionen» folgen und «fantastische Tänze» sowie Elemente der japanischen traditionellen Kultur wie den «Matsuri», ausgelassene Volksfeste, enthalten. Die Show wolle das «wa» vermitteln, das für Harmonie und Japan steht. Es wird zugleich erwartet, dass es eine den besonderen Umständen durch die Corona-Pandemie entsprechende schlichte Darbietung werden wird.

Es wird in Japan davon ausgegangen, dass Kaiser Naruhito die Spiele vor lediglich rund 950 VIPs für eröffnet erklären wird. Am Vortag der Eröffnung empfing er IOC-Chef Thomas Bach in seinem Palast. Es sei «nicht einfach», die Spiele mit strikten Corona-Maßnahmen zu veranstalten, sagte der Monarch und drückte gegenüber Bach seinen «tiefen Respekt» für die Arbeit aus. Das Konzept der wegen Corona um ein Jahr verschobenen Spiele lautet «Einheit in Vielfalt». Es soll die Wichtigkeit betont werden, die Unterschiede der Menschen wie Geschlecht, Religion und jeweiligen Fähigkeiten zu akzeptieren. «Sehr emotional» werde die Eröffnungsfeier für ihn werden, beteuerte Bach vor dem Einmarsch der 205 Teams ins Olympiastadion. Das erste Mal seit Beginn der Pandemie sei dann «die ganze Welt an einem Ort».

Nach den Herausforderungen sagte der deutsche Chef des Internationalen Olympischen Komitees mit Blick auf die Eröffnungsfeier: «Wenn man am 23. Juli einige Steine fallen hört, dann kommen sie vielleicht von meinem Herzen.» In der Bevölkerung herrscht zu Beginn der Spiele keine große Begeisterung. Zuschauer sind wegen Corona von fast allen Wettkämpfen ausgeschlossen. Am Donnerstag meldete Tokio, das erneut im Notstand ist, 1979 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden.

Japans Organisationschefin Hashimoto entschuldigte sich für den jüngsten Skandal. Sie trage die volle Verantwortung, dass man bei der Vergabe der Posten nicht gründlich hinterfragt habe. Der in Japan populäre Entertainer Kobayashi entschuldigte sich. Seine Wortwahl damals als junger Komiker sei falsch gewesen. Es tue ihm sehr leid.

In dem Sketch von 1998, einer Parodie auf ein TV-Erziehungsprogramm, witzelt er über ein Rollenspiel mit Papierfiguren, das er «lass uns Juden ermorden spielen» nennt. Nach dem Auftauchen des Clips im Internet warf Rabbi Abraham Cooper vom Simon Wiesenthal Center Kobayashi «bösartige und antisemitische Witze» vor. «Jede Verbindung dieser Person mit den Olympischen Spielen in Tokio würde das Andenken von sechs Millionen Juden beleidigen und die Paralympics grausam verspotten». Auch in sozialen Medien hagelte es Kritik an Kobayashi.

Der bekannte japanische Wissenschaftler Ken Mogi nahm Kobayashi dagegen in Schutz. Er verdiene es nicht, für eine kurze Bemerkung, die vor mehr als zwei Jahrzehnten gemacht hatte, so verunglimpft zu werden. Kobayashi habe in seinen Shows stets das Gute und Liebevolle im Menschen betont und nie Diskriminierung betrieben, sagte Mogi in einer Stellungnahme auf YouTube. Das plötzlich aufgetauchte Video sei zwar unangemessen und er hätte es besser nicht tun sollen. «Aber jeder kann für einen kurzen Moment nachlässig sein». Kobayashi sei ein «wirklich wunderbarer, liebevoller und rücksichtsvoller Mensch»

Kobayashi ist der dritte mit der Eröffnungsfeier befasste prominente Künstler, der abtreten musste. Im März war der damalige Kreativdirektor Hiroshi Sasaki wegen erniedrigender Äußerungen über eine bekannte japanische Entertainerin von seinem Amt zurückgetreten. Er hatte zugegeben, gegenüber Mitarbeitern die Idee vorgebracht zu haben, dass die Komikerin Naomi Watanabe bei der Eröffnungszeremonie der Spiele als Schwein verkleidet auftreten könnte. In einem rosafarbenen Kostüm erschiene sie dann als ein «Olympig», witzelte der Japaner - pig bedeutet auf Englisch Schwein.

Vor ihm war bereits der damalige Olympia-Organisationschef Yoshiro Mori ebenfalls wegen sexistischer Kommentare zurückgetreten. Seine Nachfolgerin Hashimoto übernahm am Donnerstag die Verantwortung für die jüngsten Skandale, will jedoch nicht zurücktreten. Es sei ihre Aufgabe, die Spiele zu einem «großen Erfolg» zu machen. Dafür werde sie sich bis zum Schluss einsetzen. Unterdessen haben mehrere führende japanische Wirtschaftsvertreter, darunter der Chef des Automobilriesen und Top-Olympia-Sponsors Toyota bereits mitgeteilt, an der Eröffnungsfeier für die Olympischen Spiele nicht teilzunehmen.

Der japanische Fernsehsender NHK berichtete am Donnerstag, auch der frühere Ministerpräsident Shinzo Abe wolle ihr fernbleiben. Abe hatte maßgeblich dafür gesorgt, dass Tokio 2013 trotz der verschärften Probleme in der Atomruine Fukushima die Spiele zugesprochen bekam, indem er dem IOC versicherte, dass dort «alles unter Kontrolle» sei.


Notizen von den Olympischen Spielen in Tokio

SPINNEN UND SCHLANGEN: Das deutsche Mountainbike-Team ist teilweise schon seit zwei Wochen in Japan und hat bereits umfassende Erfahrungen mit der heimischen Tierwelt gesammelt. Fahrer Maximilian Brandl mit diversen Spinnen und Schlangen, «aber Lebensgefahr bestand da keine». Bundestrainer Peter Schaupp beobachtete eine handflächengroße Spinne, die sich in das Zimmer eines Physiotherapeuten schleichen wollte. «Ich habe sie dann wieder hinauskomplimentiert», sagte Schaupp. Die Mountainbiker sind an der Strecke in Izu gut zwei Stunden von Tokio entfernt untergebracht.

TURNER TRIFFT TURBO: An ein ganz bestimmtes Ereignis aus seiner olympischen Vergangenheit hat Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen besondere Erinnerungen. Bei seiner Premiere in Athen 2004 erkannte der damals 16-jährige Turner das Idol seiner Kindheit nicht. Er habe an einer Bushaltestelle auf einmal neben Carl Lewis gestanden, ohne darauf zu kommen, dass es der neunmalige Olympiasieger ist, erzählte der 33-Jährige im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. «Als ich das meiner Mutter erzählt habe, dass da ein Mann neben mir stand und ich ihn beschrieben habe, wie er aussah und gedacht habe, ich kenne den doch irgendwo her, hat sie gesagt: Du bist doch völlig Banane! Du wolltest immer laufen wie Carl Lewis, als Kind wolltest Du den Laufstil annehmen und so weiter und so fort», sagte Hambüchen.

SPIELE FÜR SENIOREN: Australien startet in der Vielseitigkeit mit einer Art Seniorenmannschaft. Zusammen bringen es die drei Reiter auf 166 Jahre und bilden nach Angaben der Internationalen Reiterlichen Vereinigung das älteste Team der Spiele. Neben Andrew Hoy (62) und Stuart Tinney (56) ist Shane Rose (48) der Junior der Equipe.

STIMMUNG TROTZ SCHUTZMASKEN: Florettfechterin Leonie Ebert ist angesichts der coronabedingten Einschränkungen von der Stimmung im olympischen Dorf positiv überrascht. «Es ist krass. Ich hätte eigentlich gedacht, dass die Stimmung ein bisschen angespannter ist», sagte Ebert. «Aber man sieht zum Beispiel viele Leute, die mit Musik durchs Dorf laufen. Ich habe das Gefühl, dass alle respektvoll Abstand halten, aber Olympia trotzdem total feiern.» Ihr Nationalteamkollege André Sanita sagte: «Es kommt auf jeden Fall olympische Stimmung auf, einfach nur, weil so viele Nationen und Sportarten in einem Dorf zusammen sind.» Doch auch hier gilt: Die Sportlerinnen und Sportler müssen im gesamten olympischen Dorf Schutzmasken tragen.

AUSTAUSCH MIT ABSTAND: Auch den Beachvolleyball-Vizeweltmeistern Clemens Wickler und Julius Thole gefällt die Atmosphäre in Tokio trotz der ganzen Corona-Auflagen. «Langsam merken wir, wie echt Vorfreude aufkommt. Auch wegen Corona waren wir ja schon sehr unsicher, wie das hier aussehen wird. Es ist durchaus ein olympisches Flair aufgekommen durch die Riesen-Mensa und das Zusammenkommen der vielen Sportler», sagte Thole. «Klar geht man nicht so in den Austausch mit den anderen, weil wir das Risiko so gering wie möglich halten wollen. Aber das olympische Flair ist zumindest bei uns beiden trotzdem angekommen», sagte Wickler. Hände desinfizieren und Abstand halten, dazu viele Schutzwände - anders geht es halt im Moment nicht.

MULMIGES GEFÜHL BEI TREFFPUNKTEN: Schwimm-Hoffnungsträger Florian Wellbrock fühlt sich im olympischen Dorf sehr wohl. «Es ist im Vergleich zu den letzten Olympischen Spielen viel organisierter und auch schöner», sagte der Weltmeister über 1500 Meter Freistil im Becken und 10 Kilometer im Freiwasser mit Blick auf die Sommerspiele in Rio de Janeiro 2016. «Ein bisschen mulmiges Gefühl habe ich bei den Treffpunkten, wo viele zusammenkommen und die Abstände nicht immer gewahrt werden können.»

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Ingo Kerp 23.07.21 13:10
Die Steine, die beim dicklichen Bach vom Herzen fallen, sind die Erleichterung, das er die Millionen von Dollar einnehmen kann, um die er bei Absage gefürchtet hatte. Es sind die bedrückensten und unwillkommensten olymp. Spiele, die gegen den Widerstand der Bevoelkerung Japans und deren Gesunheit durchgedrückt wurden. Skandale und Infizierung gab es bereits mehr als genug in dem zusammenhang im Notstandsgebiet Tokio.