Noch immer Suche nach Opfern in Beirut

​Schwierige Regierungsbildung

John Barsa, Assistant Administrator für das Büro für Lateinamerika und die Karibik der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) in Beirut. Foto: epa/Wael Hamzeh
John Barsa, Assistant Administrator für das Büro für Lateinamerika und die Karibik der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) in Beirut. Foto: epa/Wael Hamzeh

BEIRUT: Explosion in Beirut, gewaltsame Proteste, Rücktritt des Kabinetts: Der Libanon befindet sich in einer verheerenden Lage. Wegen der Krise drängt die Zeit, schnell eine neue Regierung zu bilden.

Eine Woche nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut suchen Rettungsteams noch immer nach Opfern der Katastrophe. Das libanesische Gesundheitsministerium meldete am Dienstag, es würden weiterhin rund 20 Menschen vermisst. Die Zahl der Toten stieg demnach auf 165. Rund 6000 Menschen wurden verletzt. Das Land am Mittelmeer befindet sich nach der Detonation und dem Rücktritt der Regierung in einer schweren inneren Krise.

«Wir suchen noch immer, aber wir verlieren die Hoffnung», sagte einer der Rettungshelfer am Ort der Explosion im Zentrum von Beirut. Familienmitglieder fragten nach sterblichen Überresten ihrer Angehörigen. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass sich die Vermissten in unmittelbarer Nähe der Lagerhalle aufhielten, wo es vor einer Woche zu der gewaltigen Explosion gekommen war.

Präsident Michel Aoun muss nach dem Aus der Regierung mit den wichtigsten politischen Blöcken über einen Nachfolger verhandeln. Wegen starker Interessengegensätze hat es im Libanon oft lange gedauert, politische Spitzenämter zu besetzen. Wegen der schweren Wirtschaftskrise, der Corona-Pandemie und den Folgen der Detonation ist der Druck jedoch groß, schnell eine Einigung zu finden.

Als Reaktion auf die Explosion und gewaltsame Proteste gegen die Regierung hatte Premier Hassan Diab am Montagabend den Rücktritt seines Kabinetts erklärt. Viele Libanesen geben seiner Regierung die Schuld an der Explosion. Diab erklärte, verantwortlich für die gewaltige Detonation sei die «chronische Korruption» im Libanon. Ausgelöst worden sein soll sie durch große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die im Hafen gelagert worden war.

Zur Diskussion stehen jetzt libanesischen Medien zufolge unter anderem eine «Regierung der nationalen» Einheit und eine «neutrale Regierung» unabhängig von den Parteien. Als Ministerpräsident wird unter anderem der Jurist und Diplomat Nawaf Salman gehandelt. Der 66-Jährige ist Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Eine zentrale Rolle wird die Iran-treue Hisbollah spielen, gegen die im Libanon kaum regiert werden kann. Sie besitzt eine eigene Miliz und bildet so etwas wie einen Staat im Staate. Die Hisbollah ist mit Präsident Aoun verbündet und unterstützt auch Diabs Regierung.

Das Land kann sich wegen der großen Not kein langes Machtvakuum leisten. Schon vor der Explosion haben die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise und die Corona-Pandemie viele Libanesen in die Armut getrieben. Weil ein Staatsbankrott droht, laufen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds IWF über ein Rettungsprogramm.

Viele Libanesen verlangen weitgehende politische Reformen. Sie kritisieren, dass sich im Land nichts ändern wird, solange im Hintergrund die alte politische Elite an der Macht bleibt. Auch aus dem Ausland kommen Rufe nach Veränderung. Am Mittwoch reist Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nach Beirut, um dem Land Hilfe zuzusichern und für politische Reformen zu werben.

Das Welternährungsprogramm WFP erklärte, die derzeitigen Mehrvorräte könnten den Marktbedarf im Libanon noch rund sechs Wochen decken. Die Organisation kündigte an, 50.000 Tonnen Weizenmehl in das Krisenland zu schicken, damit es dort nicht zu Versorgungsengpässen kommt. Bei der Explosion waren auch wichtige Getreidesilos zerstört worden.


Tausende bei Trauermarsch in Beirut

BEIRUT: Eine Woche nach der verheerenden Explosion in Beirut haben am Dienstag mehrere Tausend Menschen an einem Trauermarsch zum Gedenken an die Opfer teilgenommen. Sie zogen in der libanesischen Hauptstadt schweigend in Richtung Hafen, wie Augenzeugen berichteten. Einige trugen weiße Rosen. Andere hatten Tränen in den Augen. Viele hüllten sich in rot-weiße Landesflaggen und riefen «Lang lebe der Libanon». Durch die Explosion wurden mindestens 165 Menschen getötet und 6000 weitere verletzt. Bis zu 300.000 Menschen verloren ihr Zuhause.

Bei einer Gedenkveranstaltung wurden die Namen der Todesopfer verlesen. In der Umgebung läuteten Kirchenglocken. Von einer Moschee wurden Koranverse übertragen. Eine Frau namens Randa, die durch die Katastrophe obdachlos wurde, sagte: «Ich bin sprachlos. Wir haben unser wunderschönes Beirut verloren.» Andere Teilnehmer riefen: «Wir sind Überlebende und werden aus den Trümmern wieder auferstehen.»

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