Nichts geht wie geplant

„Ja, ja, mach’ einen Plan, sei bloß ein großes Licht, dann mach’ einen zweiten Plan – gehn tun sie beide nicht.“ Wer in Thailand lebt, darf sich diesen Spruch von Brecht ganz besonders zu Herzen nehmen, es macht dann vieles leichter und erklärt alles.

Ein Kamel in der Asphaltwüste

Ich hatte auch einen Plan: Nachdem wir vor drei Jahren an Neujahr zu Verwandten meiner Frau in den Isaan gefahren waren und acht (!) Stunden im Stau zwischen Bangkok und Buriram verbracht hatten, war mir klar: Das werde ich mir nie mehr antun! Acht Stunden stop and go in der Blechkiste durch die Asphaltwüste – ein Kamel, wer sich darauf einlässt.

Ich wollte kein Asphaltkamel mehr sein, doch das Schicksal wies mir meinen Platz im Bestiarium mit hinterhältiger Häme zu: Der Onkel meiner Frau war an Weihnacht verstorben, die Beisetzung sollte in den letzten Dezembertagen stattfinden. Mir war gleich klar, was das bedeutet: Das Wochenende würde mit dem Jahresende zusammenfallen und der Montag dazwischen gleich in den Urlaub integriert werden. Also: Freie Fahrt für freie Bürger, bloß weg von Bangkok, die Megacity löst sich in Feinstaub auf und läßt sich im Isaan nieder. Und wir mittendrin.

Ohne Sprit, dafür spirituell

Dann ging alles wie geplant. Außerplanmäßig war nur die Hinfahrt von Hua Hin nach Bu­riram, sie dauerte fünfzehn Stunden, immerhin ein neuer Rekord. Die Beisetzung am nächsten Tag war in diesem kleinen, abgeschiedenen Weiler ein Ereignis, dass die Menschen sehr bewegte. Lins Onkel war hier jahrzehntelang Bürgermeister und über den Ort hinaus bekannt. Vor seinem Haus hatte sich eine große Menschenmenge um den vergoldeten Katafalk versammelt, welcher auf einen Pick-up verladen wurde. Inzwischen hatte sich auch ein gutes Dutzend Mönche in ihren orangenen Kutten eingefunden. Zu meinem Erstaunen wurden rund um den Pick-up mehrere Seile festgezurrt, und die Enden den Mönchen übergeben, die ihn bis zum Tempel in einer großen Waldlichtung zogen. Merke: Öko ist in Thailand nicht grün, sondern orange, ohne Sprit, dafür spirituell.

Rund um den Tempel herum waren Zelte aufgebaut worden, Tänzerinnen in glitzernden Kostümen eröffneten die Feier zu traditioneller Musik, Lin hielt eine sehr emotionale Rede, ältere Frauen wischten sich verstohlen ein paar Tränen weg, aber plötzlich wanderten alle Blicke zu einem Sidecar, der mitten durch die Szene fuhr: Der Eismann war angekommen und wurde sofort von einer Schar Kinder umlagert.

Am Ende der Feier wurde der Katafalk über der Treppe zum Kremarorium geöffnet und der Leichnam in die Öffnung geschoben. Die Trauergemeinde verabschiedete sich, indem jedermann eine Papierblume in die Öffnung warf. Innert kurzer Zeit zerstreute sich die Menge.

Gegen Abend versammelte sich die nähere Verwandtschaft des Verstorbenen in dessen Haus zum Leichenmahl. Die Stimmung war weder bedrückt noch heiter, man unterhielt sich aber angeregt, auch einzelne Lacher waren zu hören. Als dann doch noch die ersten Lautsprecher installiert wurden, dachte ich, es sei Zeit zu gehen. Kakophonie ist eine thailändische Spezialität, die mir nicht sehr behagt. Aber es kam anders. Plötzlich ebbten die Gespräche ab, vereinzelte Stimmen wurden laut, dann ein Schrei, die ganze Gesellschaft erhob sich wild gestikulierend und strebte dem Ausgang zu.

„Was ist los?“ fragte ich meine Frau. Sie antwortete bloß: „Er brennt nicht!“ und zog mich in den Wagen. „Was heißt das? Er brennt nicht?“ fragte ich ahnungslos. Während wir zurück zum Tempel fuhren, erklärte sie mir, dass der Leichnam im Krematorium trotz aller Bemühungen nicht verbrannt sei. Und dass dies noch nie passiert sei. Und was das wohl zu bedeuten hätte.

Wir fuhren durch den stockdunklen Dschungel auf das spärlich beleuchtete Krematorium zu, dass wie ein verwunschenes Schloss in der tiefschwarzen Nacht irrlichterte. Schattenhafte Gestalten, ein Dutzend Feuerwerker, standen vor dem Ofenloch, aus welchem die Flammen züngelten und alles in ein gespenstisches Licht tauchten. Alle Zutaten für einen Horrorfilm waren da, es fehlte nur noch, dass der Bürgermeis­ter aus dem Feuer stieg, die Glut vom Totenhemd klopfte und gutgelaunt rief: „Sawasdee krap, ein Glas Wasser bitte!“

Ein Drama in stockdunkler Nacht

Nach einer Weile trafen auch zwei Mönche ein, die einen Blick in den Ofen warfen und sich dann unterhielten. Nun wagte ich mich auch vor und schaute hinein. Die Umrisse eines menschlichen Körpers waren erkennbar, halb sitzend, halb liegend, ein Schatten, der sich mit letzter Kraft gegen Tod und Teufel zu wehren schien.

Die Ratlosigkeit war bei jedermann spürbar, auch bei den Mönchen. Dann fuhr ein weiterer Wagen vor. Die Stunde der Witwe war gekommen. Sie warf sich laut wehklagend auf die untersten Stufen und robbte sich immer lauter klagend die Treppe zum Krematorium hoch, hilfreiche Arme brüsk wegweisend, bis sie sich, umflort vom Feuerschein des Ofens, aufrichtete, die Arme flehentlich ausbreitete, als wolle sie ihren Mann beschwören, es für heute und für immer gut sein zu lassen.

Nun waren auch die Einheizer, die im wahrsten Sinne des Wortes einen ziemlich abgebrühten Eindruck machten, verlegen, zogen schweigend an ihren Zigaretten und starrten in die Dunkelheit hinaus.

Nach einer gefühlten Ewigkeit fuhr wieder ein Wagen vor. Man half einer älteren Frau heraus und reichte ihr die Krücken nach, sie war offensichtlich gehbehindert. Das war die Schwester des Untoten, sie war wegen ihrer Behinderung nicht zur Beisetzung gekommen. Ein fantasievolles Gemüt in der Gemeinde mutmaßte, dass dies der Grund dafür sei, dass ihr Bruder „den Weg allen Fleisches“ nur mit ihrem Segen gehen könne.

Sie ging trotz ihrer Krücken, die bei jedem Tritt durch ein sanftes Toc Toc den Takt angaben, ziemlich resolut die Treppe hoch - sie war sich der Bedeutung ihres Auftrags offenbar gewiss, hielt vor dem lodernden Feuer kurz inne, murmelte etwas, wiegte den Kopf sanft hin und her, verbeugte sich und machte Anstalten durch ein Spalier von herbeigeeilten Schaulustigen hinabzusteigen. Danach soll ihr Bruder gebrannt haben. Sagt man im Dorf.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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