Mikroplastik hat viele Verursacher

Foto: epa/Stephanie Lecocq
Foto: epa/Stephanie Lecocq

OBERHAUSEN (dpa) - Wie kommt Mikroplastik in die Umwelt? Und welche Mengen sind es? Das Fraunhofer-Institut für Umwelttechnik hat sich an das komplexe Thema gewagt. Das Fazit der Forscher: Es gibt mehr Quellen, als man denkt.

Mit jedem Schritt geben Fußgänger Mikroplastik in die Umwelt ab. Rund 100 Gramm Abrieb von den Schuhsohlen sollen es pro Kopf und Jahr in Deutschland sein, wie Forscher des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen errechnet haben. Damit liegt das Schuhwerk auf Platz sieben der Liste der größten Mikroplastik-Quellen, die sich in der neuen Studie der Umweltwissenschaftler findet.

Bislang stehen vor allem Körperpflegeprodukte und Kosmetika im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte um Mikropartikel aus Plastik, die laut Definition maximal fünf Millimeter messen. Doch es gibt viel mehr Verursacher: Für zunächst 51 Quellen von sogenanntem primärem Mikroplastik haben die Autoren der Studie «Kunststoffe in der Umwelt» die Emissionen ermittelt. Auftraggeber waren Chemiekonzerne, Kosmetikhersteller, Wasserverbände, Abfallentsorger und Hochschulen.

Insgesamt 330.000 Tonnen Mikroplastik kommen demnach pro Jahr in Deutschland zusammen - gut vier Kilogramm pro Kopf. Mit 19 Gramm liegen Duschbäder und Co. nur auf Platz 17 der Negativliste. An der Spitze der Mikroplastik-Verursacher steht der Abrieb von Autoreifen. Rund ein Drittel der Mikroplastik-Emissionen entfallen laut Studie darauf.

Und noch etwas an den Zahlen aus Oberhausen ist bemerkenswert. Makroplastik - also Plastiktüten und andere achtlos weggeworfene Kunststoff-Produkte - sorgen in Deutschland nur für ein gutes Viertel der gesamten 446.000 Tonnen Kunststoff-Emissionen pro Jahr. Mikroplastik stellt davon 74 Prozent. «Dem, was jedem offensichtlich ist, steht also eine etwa dreifach größere Menge gegenüber, die zum Teil nur unter dem Mikroskop sichtbar wird», heißt es in der Studie.

Beim Mikroplastik unterscheiden die Forscher zwei Kategorien: Zum einen Partikel, die einem Produkt bereits bei der Herstellung zugesetzt werden, etwa Reibekörper in Kosmetik. Beim zweiten Typ entstehen die Mikropartikel erst bei der Nutzung, etwa beim Waschen freigesetzte synthetische Fasern. «Die Unterscheidung ist für die Verantwortung für die Vermeidung von Mikroplastik wichtig», sagt Studienautor Jürgen Bertling.

Wie kommen die Forscher zu ihren Zahlen? Daten aus Experimenten oder Messungen gibt es nur wenige. Am Beispiel Schuhsohlenabrieb erläutert Ko-Autorin Leandra Hamann das Verfahren: «Wir sind von der Gesamtzahl der pro Jahr in Deutschland verkauften Schuhe ausgegangen.» Die durchschnittliche Schuhgröße, die Sohlenfläche und rund fünf ausgesonderte Paar Schuhe pro Kopf und Jahr gingen weiter in die Berechnungen ein.

Die Zahlen der Wissenschaftler liegen, wie sie selbst einräumen, im Vergleich zu anderen Studien «eher im oberen Bereich», da man mehr Quellen berücksichtigt habe. Die Wissenschaftler haben frühere Studien ausgewertet und Produktions- und Verbrauchsdaten auf die Emissionen von Mikroplastik heruntergerechnet.

Dass Mikroplastik in Kosmetik mengenmäßig eine eher untergeordnete Rolle spielt, überrascht das Umweltbundesamt nicht. Die eigenen Fachleute seien zu der gleichen Erkenntnis gekommen, sagt Sprecher Felix Poetschke. «Es ist aber auch am einfachsten zu vermeiden.» Auch die Reifenabriebmenge bewege sich im bisher berechneten Rahmen.

Daten zum gezielten Einsatz von Mikropartikeln zu erhalten, ist für die Forschung ausgesprochen schwierig. In einer 2015 vom Umweltbundesamt veröffentlichten Untersuchung zu den Quellen für Mikroplastik heißt es etwa, aufseiten der Industrie habe es nur eine geringe Bereitschaft gegeben, konkrete Angaben zu den gezielt eingesetzten Mengen und Materialarten zur Verfügung zu stellen. Auch für diese Studie wurden deshalb die Zahlen anhand «plausibler Rechenwege abgeschätzt».

Das Wissen über Herkunft, Verbreitung und Folgen von Plastik in der Umwelt ist noch sehr lückenhaft. Deshalb hat das Bundesforschungsministerium ein großes Forschungsprogramm aufgelegt: 18 Projekte mit rund 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden und Kommunen sollen ein Gesamtbild zeichnen, wie Kunststoffe produziert, eingesetzt, gehandelt und entsorgt werden.

Mit dem Reifenabrieb befasst sich auch ein von der Technischen Universität Berlin koordiniertes Projekt. Es soll den Eintrag von Mikroplastik aus Reifenabrieb im Abflusswasser der Straßen ermitteln, wie Daniel Venghaus vom Fachbereich Siedlungswasserwirtschaft der TU Berlin sagt.

Einen Vorschlag, wie die Menge des Reifenabriebs verringert werden kann, hat Fraunhofer-Forscher Bertling bereits. Autofahrer sollten beim Reifenkauf auf Langlebigkeit achten. «Deshalb müsste das EU-Reifenlabel ergänzt werden», fordert er. Bisher gebe es nur Angaben zu Kraftstoffverbrauch, Bremsweg auf nasser Straße und Rollgeräusch. Über Haltbarkeit und Abrieb eines Reifens sage das Label nichts.

Und Bertling warnt vor einem allgemeinen Kunststoff-Bashing. Wer die sehr geringen Recyclingquoten erhöhen wolle, müsse das schlechte Image von Kunststoffen verbessern: «Nur wenn Kunststoff für Produzenten und Verbraucher eine wirklichen Wert hat, wird die Wiederverwertung zunehmen.»

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