Neustart mit Ansage im ewigen EU-Asylstreit?

Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, gibt am Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel eine Presseerklärung ab. Foto: Stephanie Lecocq/epa Pool/ap/dpa
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, gibt am Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel eine Presseerklärung ab. Foto: Stephanie Lecocq/epa Pool/ap/dpa

BRÜSSEL: Kaum ein Thema entzweit die EU-Staaten so sehr wie die Asylpolitik. Jetzt nimmt die Kommission einen neuen Anlauf. Ob es damit gelingen wird, Bewegung in die festgefahrene Debatte zu bringen, ist offen.

Mit einem neuen Kompromiss-Vorschlag will die EU-Kommission die seit Jahren andauernde Blockade in der Asyl- und Migrationspolitik beenden. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson machte sich bei der Veröffentlichung des Konzepts am Mittwoch jedoch keine Illusionen: «Niemand wird glücklich mit allem sein.» Kann der Neustart dennoch gelingen?

Worum geht es bei dem Streit?

Weit auseinander liegen die EU-Staaten vor allem in der Asylpolitik. Kern der Debatte ist die Frage, ob Schutzsuchende in Krisensituationen per Quotenregelung über die EU-Staaten verteilt werden sollten oder nicht. Vor allem Länder an den Außengrenzen wie Griechenland und Italien fühlen sich durch das aktuelle System überlastet, das meist dem ersten Ankunftsland die Verantwortung für das Asylverfahren zuweist. Deshalb fordern sie eine solche Verteilung. Staaten wie Tschechien, Ungarn und Polen lehnen eine verpflichtende Umverteilung von Migranten auf alle EU-Länder jedoch kategorisch ab.

Wie sind die tiefen Gräben zwischen den EU-Staaten entstanden?

Zu Beginn der Flüchtlingsbewegung 2015 herrschte noch weitgehende Einsicht, dass den Ländern an den EU-Außengrenzen geholfen werden muss. Mit zwei Mehrheitsentscheidungen wurde damals entschieden, bis zu 160.000 Schutzsuchende aus Italien und Griechenland umzuverteilen. Ungarn, Polen und Tschechien stemmten sich jedoch beharrlich dagegen. Die Risse wurden immer tiefer. Und die Reformvorschläge der damaligen EU-Kommission scheiterten krachend.

Was schlägt die jetzige EU-Kommission vor?

Der Fokus der neuen Vorschläge liegt auf der rigorosen und schnellen Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Bei Menschen mit geringer Bleibeperspektive soll etwa das Asylgesuch innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden. Herkunftsländer, die ihre eigenen Staatsbürger nicht zurücknehmen, könnten sanktioniert werden - zum Beispiel durch eine Einschränkung der Visa-Vergabe für normale Reisen oder den Stopp von Verhandlungen über Handelserleichterungen. Jene Menschen, die kein Recht hätten zu bleiben, müssten zurück in ihre Heimat, sagt Johansson. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will auch auf EU-Staaten Druck machen, die sich beim Thema Asyl gar nicht in der Verantwortung sehen. Er deutet an, dass mangelnde Solidarität für diese Länder auch finanzielle Nachteile zur Folge haben sollten.

Hat der Vorschlag Erfolgsaussichten?

Die EU-Kommission versucht, allen entgegenzukommen - und dürfte zugleich alle enttäuschen. So dürften Länder wie Ungarn, Polen und Österreich sich freuen, dass sie die Aufnahme von Migranten künftig umgehen könnten, indem sie die Verantwortung für abgelehnte Asylbewerber in anderen Ländern übernehmen. Zugleich soll die Zahl der länger in der EU bleibenden Asylbewerber gesenkt werden - etwa durch die schnellen Verfahren direkt an den Grenzen.

An den derzeit gültigen Dublin-Regeln hält die EU-Kommission grundsätzlich fest - passt sie aber an. Heute ist meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass andere Kriterien ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Wer in einem anderen Staat etwa Geschwister hat, dort früher schon mal studiert oder gearbeitet hat, soll dorthin kommen. Gleiches gilt, wenn ein Asylbewerber zuvor legal mit einem Visum in ein EU-Land gereist ist. Und auch gegen das Weiterziehen in andere EU-Staaten, soll etwas unternommen werden. Dafür hatte sich Deutschland eingesetzt, das hier zu den Hauptzielländern gehört.

Würden durch den Vorschlag mehr oder weniger Asylbewerber nach Deutschland kommen?

«Das kann heute niemand seriös einstufen», sagt Seehofer. Tatsächlich lässt es sich schwer schätzen. Denn auf der einen Seite würden mehr Schutzsuchende direkt aus dem Ankunftsland zurückgeschickt, weil sie offensichtlich keinen Anspruch auf Asyl oder Flüchtlingsschutz haben. Auf der anderen Seite leben schon viele Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten in Deutschland. Daraus würde sich eine Zuständigkeit für die Übernahme der Asylverfahren durch Deutschland ergeben. Denn die neuen Regeln sehen vor, dass etwa auch ein Bruder oder eine Schwester, die bereits in einem anderen EU-Land lebt, ein Anknüpfungspunkt sein kann, der bei der Verteilung der Asylsuchenden eine Rolle spielen soll.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Zumindest aus den EU-Staaten kam keine prompte Ablehnung. Seehofer sprach von einer «guten Grundlage» für die weiteren Verhandlungen. Sein österreichischer Amtskollege Karl Nehammer sagte, der Vorschlag bewege sich auf den ersten Blick «in ganz wichtigen Themenfeldern in die richtige Richtung». Ähnliche äußerte sich Italiens Regierungschef Giuseppe Conte auf Twitter: Der Vorschlag sein ein «wichtiger Schritt in Richtung einer wirklich europäischen Migrationspolitik». Zugleich mahnte er an, dass die betroffenen Länder sich auf Rückführungen und Umverteilung verlassen können müssten. Ungarns Regierungssprecher betonte bekannte Positionen: Es brauche die Zusammenarbeit mit Herkunftsstaaten; die Grenzen müssten dicht sein; es dürfe keine verpflichtende Verteilung von Migranten geben. Ob er diese Anforderungen mit dem neuen Vorschlag erfüllt sieht, ließ er offen.

Heftige Kritik kam hingegen aus dem Europaparlament, das auch über die neuen Vorschläge verhandeln muss. Cornelia Ernst (Linke) beklagt etwa, es gehe «nur um Abwehr, Abschreckung und vor allem um Abschiebungen». AfD-Chef und EU-Abgeordneter Jörg Meuthen sieht hingegen eine «Kampfansage an unsere Lebensweise, an unseren Sozialstaat, unsere innere Sicherheit, unsere freiheitliche Gesellschaft und unsere christlich-abendländisch geprägte Kultur». Erik Marquardt (Grüne) sagte, der Vorschlag würde «ein weiteres Moria nicht verhindern». Jan-Christoph Oetjen (FDP) sah zumindest etwas Positives: «Der vorgelegte Entwurf ist sicherlich nicht der erhoffte Leuchtturm - aber immerhin auch keine Nebelkerze.»

Welche Rolle spielt Deutschland bei den Verhandlungen?

Als derzeitige EU-Ratspräsidentschaft wird Deutschland bei den Verhandlungen der EU-Staaten vermitteln. Seehofer hat das Ziel, bis Ende des Jahres eine politische Einigung zwischen den 27 Ländern zu erzielen. Nach dem jahrelangen Stillstand wäre das eine kleine Sensation. Anschließend müssten die EU-Staaten sich dann allerdings noch mit dem Europaparlament auf eine gemeinsame Linie einigen. Seehofer ist gedämpft optimistisch. Er sagt, wenn am Ende trotz aller Anstrengungen nicht alle mitziehen sollte, müsse man versuchen, wenigstens möglichst viele EU-Staaten zu versammeln.

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Francis Light 24.09.20 15:52
@Wolfgang Mischel
Europa dreht sich 2015 im Kreis. Statt wo anders Forschritte zu machen, wird hier dauernd herumgedoktert und sonstige unnötige Vorschriften und Regulierungen erlassen.

Anstatt klipp und klar zu sagen, dass die Grenzen grundsätzlich zu sind, um mehr als 90%, fast nur junge Männer als Wirtschaftsflüchtlinge abzuhalten, wird über Umverteilung gesprochen. Wie kann man schnell unterscheiden, ob wirklich Schutzbedürftig oder ein Scheinflüchtling? Lügendetektortest?

Da sagen aber auch die "Flüchtlinge" "njet" zu Tschechien oder Polen, sie wollen sich schon die Länder aussuchen, wo sie mehr bekommen.
Ingo Kerp 24.09.20 12:52
Nachdem einige Staaten erklärt haben, das sie keine Migranten mehr aufnehmen, darf man gespannt sein, wie man zu einem Ergebnis kommen moechte, das man mehr als 5 Jahre nicht geschafft hat. Da dürfte wahrscheinlich auch kein Millionen-Euro-Geld-Segen bei helfen