Neulich, am Strand: Vom Winde verweht

Neulich, am Strand: Vom Winde verweht

Um die heutige Kolumne zu schreiben liegt mir einfach nichts vor. Es passiert die letzte Zeit nicht viel am Strand. Wenigstens nichts, was Sie als Leser interessieren würde. Da wäre höchs­tens die alte Jungfer, die mit ihrem Hund an der Leine daherkam. Ihr entgegen kommt ein rüstiger Rentner, der seinen Dackel ausführt. Sie treffen genau bei mir aufeinander. „He, Sie da!“, ruft die Dame zum Herrn. „Ihr Dackel hat letzte Woche meine Dogge vergewaltigt. Ich verklage Sie!“ Dem Herrn ist es erheiternd bis unangenehm. „Und nun soll ich Alimente für die Welpen zahlen?“, fragt er zurück, tippt sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe und geht weiter. „Gut gemacht, Lumpi“, lobt er seinen Kläffer ein paar Meter weiter, und streichelt ihm über den Rücken. „Lumpi“ blickt treuherzig zurück. Na, ich glaube, das ist nicht genug.

Oder die Episode vom hilfreichen Oleg. Oleg, mir eigentlich unbekannt, trifft mit seiner hübschen, gut gebauten Ludmilla am Strand ein. Es windet stark, aber sonst perfektes Strandwetter. Sie beginnen sich unter der Palme, einige Meter von unserer Altherrengruppe weg, einzurichten. Die Bastmatte wird von der Dame ausgebreitet, unter spritzigen Bemerkungen der beobachtenden alten Herren. Oleg hat schon die Badehose an, zieht die Straßenklamotten aus und verstaut sie in der Tasche. Nicht so seine Ludmilla, die in einen „One-zip-Kleid“ gekommen ist („One-zip“-Kleid nennt mein Kumpel ein Kleid, wo man nur am Schnürchen im Nacken ziehen muss, um an den Inhalt zu gelangen). Sie klaubt sich ihr Bikinioberteil aus der Tasche und beginnt den Träger um den Hals zu binden. Doch der Wind lässt ihre Haare fliegen und immer wieder mit den Bändeln zu verquicken. Aber es gelingt ihr, die Träger um den Hals zu binden. Die Körbchen des BHs flattern im Wind wild hin und her und mit ihnen die unteren Bändel. Schon kommen die ersten Kommentare: „Geh mal hin zu helfen“, oder „Soll ich halten? Und wenn ja, was? Den BH oder die Dame?“ Den alten Säcken wird heute eine gute Show geboten. Denen brennt bald die Fantasie durch. Währenddessen sich Ludmilla mit ihren ständig im Wind flatternden Haaren abmüht, um sie hochzustecken, ihr der Bikini-BH immer noch vor ihrer Brust im Wind tanzt, haben mittlerweile fast alle herumstehenden Herren die Aktion mitbekommen und begaffen die Szene. Doch nun passiert der Dame das Missgeschick, worauf ja alle gewartet haben. Aus Versehen zieht Ludmilla den Bändel des Kleides. Flutsch, das Kleid rutscht herunter. Ludmilla, mit ihrem Haarknoten auf dem Kopf beschäftigt, steht oben ohne da. Der BH tanzt wild im Wind. „Oooleg! Hilf mir“, ruft sie verzweifelt. Und Oleg hilft. Er rennt zu ihr hin und fängt die widerspenstig flatternden Körbchen ein. Und Oleg hält sie genau dahin, wo sie hingehören. Mit beiden Händen. Welch ein Anblick! „Na, DAS hätte ich auch gekonnt“, lacht einer aus der Runde. Applaus von den Nebenstehenden und Lachen der beiden Hauptakteure folgt.

Der große Roman kommt später

Also, ich bin mir nicht so sicher, ob sie sich wirklich für so etwas interessieren. Ich muss mir halt was anderes einfallen lassen. So sitze ich nun alleine unter einem Baum und schreibe diese Geschichte. Und, wie ich so Zeile um Zeile hinbekomme, wird mein Ehrgeiz geweckt. Es soll ein Meis­terwerk werden, wie „Vom Winde verweht“. Mindestens. Diesen Ansatz habe ich ja.

Da rennt eine kleine Ameise über meinen Schreibblock. „Du frecher Kerl“, fluche ich und wische das Vieh weg. Das hat mir gerade gefehlt. Wegen eines solchen egoistischen, alles ignorierenden Ameisenkriechers könnte ich noch meine Konzentration verlieren. Doch, wie ich weiterschreiben will, läuft schon das nächste Exemplar über die Schreibfläche. Auch die fliegt. So schnell und weit, wie noch nie in ihrem Leben. „Wo kommen die alle her?“ Ich schaue mich suchend um. Da sehe ich, wie ich mit beiden Füßen gleich beim Ausgang ihres Nestes hocke. „Na gut. Ihr habt gewonnen. Dann setze ich mich da drüben auf die Mauer“, beruhige ich die Tiere, als ob sie mich verstehen würden. Doch da hockt auch schon ein Spatz. Und der will mir seinen schönen Schattenplatz auch nicht freiwillig abtreten. „Du könntest ruhig mal ein paar Ameisen picken“, scheuche ich den Vogel weg. So kann ich nun die Geschichte weiterschreiben. Denke ich wenigstens. Denn fertig wird die wohl nie werden. Mittendrin im Schreiben klatscht ein Spatzenschiss mitten auf meinen Schreibblock. Ich fluche in Richtung des Astes über mir. Stinksauer packe ich meine Sachen zusammen und gehe wieder nach Hause. Also, Leute, der große Roman kommt später. Zu Hause starte ich nun diesen Versuch. Wenigs­tens kann ich meine Notizen vom Strand verwerten. Und bis hierher ist mir das heutige doch ziemlich gelungen, stelle ich befriedigt fest. Da kraxelt eine kleine Spinne die Wand hinter dem Bildschirm hoch. „JA, SPINNST DU DENN, DU BLÖDE SPINNE! JETZT BIN ICH WIEDER AUS DEM TRITT GESCHMISSEN, WEGEN SO EINEM SCHEISS­VIEH!“, brülle ich den Kraxler an. Meine Frau lässt vor Schreck fast das Geschirr fallen. Sie klopft mir beruhigend auf die Schulter. „Lass doch. Schreib doch einfach Kommentare, das ist einfacher“, rät sie mir. Da hätte sie Recht. Aber ich kann ihr doch nicht immer Recht geben! Ich glaube, ich lege mir einen Dackel zu und gehe mit ihm im Park auf die Suche nach einer Dogge. Das macht mehr Spaß. Für mich und den Dackel.

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