Neulich, am Strand: Der ausgebüxte Esel

Neulich, am Strand: Der ausgebüxte Esel

Schon von weitem sind mir die knalligen Farben der Mäntel der zwei Gestalten aufgefallen, die da hocken. Der eine in Purpurrot, der andere in royalem Blau, weißgerändert. Die zwei stechen aus der Masse der Leute hervor. Die Passanten, die sonst noch die Strandpromenade bevölkern, sind fast* alle leicht, für tropisch heiße Abende angemessen, gekleidet. (*= einige Bierbäuche und unterentwickelte `Möchtegern Muckis`, meist Germanischen Ursprungs, müssen halt immer unverhüllt zur Schau getragen werden). Beim Näherkommen fällt mir auf, dass sie sich auch stimmungsmäßig vom übrigen Publikum unterscheiden. Während allgemein eine lockere Stimmung herrscht, wirken die beiden eher angespannt.

„Hallo, ihr zwei. Alles ok?“, begrüße ich sie und komme gleich ins Gespräch mit ihnen. „Ich bin Khun Ten“, stelle ich mich vor. „Nick, einfach Nick“, antwortet der eine im roten Gewand. „Ded Moros“, stellt sich der andere im Blaumantel vor. „Aha. Kommt mir bekannt vor. Das habe ich doch schon irgendwo gehört“, versuche ich mich zu erinnern. „Ja, das kann schon sein. Ich bin nämlich DER Nikolaus. Und der da“, er deutet auf seinen Kumpel in Blau, „ist der Väterchen Frost aus dem Osten“. „Ja, jetzt, wo du das sagst, fällt es mir auch auf“, ich bemerke, dass ich mich soeben blamiert habe. Nicht einmal den Nikolaus habe ich spontan erkannt. Ich überspiele mein Unbehagen. „Ihr seht aber nicht gerade glücklich aus. Jetzt in der Vorweihnachtszeit. Ist was los?“, erkundige ich mich. „Dieses Jahr ist voll in die Hose gegangen“, beginnt Nick. „Als ich am 5. dieses Monats mit Geschenkeverteilen beginnen wollte, ist mir der Esel durchgebrannt, dieser Esel. Da habe ich meinen Ersatz-Ruprecht aus der Schweiz, den `Schmutzli`, zum Suchen geschickt. Doch der ist auch nicht mehr aufgetaucht. Der Ruprecht hat sich schon vorher krankgemeldet. Jetzt hocke ich allein da und kann nix in die zerlöcherten Socken oder stinkenden Stiefel der Kinder liefern“, berichtet er mit Empörung. „Schön blöd“, pflichte ich ihm bei. „Aber mit Herrn Moros hast du doch eine Hilfe hier. Ist das dein Brüderchen? Weißt du, ich bin als Zwilling geboren worden. Und weil meine Eltern nicht wussten, Bube oder Mädchen, haben sie auch blaue und rote …“, weiter komme ich nicht. „Mensch, bist du blöd. Das ist mein Stellvertreter für die Ostgebiete!“, herrscht mich Nick mit strengem Blick an. „Da, da. Mir ist auch meine Enkelin abgehauen. Snjegurotschka, mein Schneeflöckchen, hat von hier aus angerufen. Deswegen sind wir hier. Ich glaube, die treibt sich mit dem `Schmutzli` rum“, jammert er mit russischem Akzent. Da werden die Kinder auf der ganzen Welt aber auf ihre Geschenke warten müssen, denke ich mir. „Und, wie geht es denn jetzt weiter?“, will ich wissen. „Wir warten jetzt auf den Weihnachtsmann. Der hat seinen Turbo-Schlitten mit den fliegenden Rentieren. Der wird uns aus der Patsche helfen. Sobald der hier ist, könnten wir mit der Auslieferung beginnen. Ich schmeiße dann halt die Pakete, als Express, nur noch durch den Kamin. Für lange Reden habe ich dann keine Zeit mehr“, erklärt Nick. Ded Moros nickt zustimmend. „Ich bin ja noch nicht hinterher im Zeitplan, wie der Nikolaus. Ich habe Lieferfrist bis Weihnachten“, versucht er sich selbst zu beruhigen. „Also kommt, ihr beiden. Ich gebe einen aus. Bis der Weihnachtsmann eintrudelt, könnt ihr eh nichts machen“, lade ich sie in die nächste Bar ein.

Alle am Feiern, alle im Elend

So kommen wir drei um die Ecke zu unserer Bar, als wir gleich den beleuchteten Schlitten, über der Bar parkiert, schweben sehen. Die Renntiere sind ausgespannt und treiben sich auf der Straße rum. Mit dabei der Esel von Nick. Die feiern eine Party mit etlichen Girls aus den Etablissements der Straße. Laute Musik. Der beleuchtete Weihnachtsbaum, der jemand an einen Ventilator montiert hat, schwingt im Kreis mit. Ein Riesengaudi mitten auf der Straße. Der Esel hat sich einen Bastrock umgebunden und tanzt Sirtaki und die Rentiere klappern mit den Hufen im Takt. Rentier Rudolf hat schon so viel gesoffen, dass seine Nase wieder leuchtet. „Ich glaube, da wird der `Schmutzli` auch nicht weit sein“, grollt Nick. „Sei froh, dass der Weihnachtsmann da ist. Komm, wir gehen rein“, klopfe ich Nick auf die Schulter und führe beiden hinein. Am Eingang steht ein Eimer mit Wasser. Drin schwimmt eine Karotte und ein Besen steht daneben. „Das könnte eine Rute vom `Schmutzli` sein“, vermute ich zu Ded. „Nein. Das ist ein Schneemann, der mit nach Thailand kommen wollte“, ruft der Weihnachtsmann von drinnen und grölt: „Kommt rein, Kollegen.“ Eine gigantische Fete steigt gerade. Die Thailadys machen sich über die vom Schlitten heruntergefallenen Pakete her. Auf einem Tisch schwenkt der angeblich kranke Ruprecht seinen Fußballschal über dem Kopf und singt seine Vereinshymne. In der Ecke knutscht Schneeflöckchen seinen `Schmutzli` ab. UUUNGLAUBLICH! Alle da. Der Nikolaus, der Weihnachtsmann, Väterchen Frost, alle mit Gefolge und tierischer Ausstattung. Alle am Feiern, alle im Elend. „Und wer bringt jetzt die Geschenke zu den Kindern?“, ermahne ich den Weihnachtsmann. „Du siehst doch. Selbstbedienung! Wir sind in Thailand. Da nehmen sich die Mädels, was sie haben wollen“, ruft Ruprecht vom Tisch herunter. „Im Geschenkeauspa­cken sind sie hier Experten“, rufe ich durch das Getümmel zurück. Und schon gehen die Ladys meinen Begleitern und mir an die Wäsche.

Schöne Weihnachten wünscht Euch Khun Ten

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