Neulich, am Strand: Demenz

Neulich, am Strand: Demenz

Unser Altherrenclub hat wieder einmal ein spontanes Treffen am Strand. Es hat sich schon fast ein tägliches Ritual entwickelt mit wöchentlicher Planung. Außer dem Samstag, da ist Fussballbedingt frei. Da treffen wir uns in der Kneipe.

„Wenn der Geist keine Leis­tung mehr bringt, muss man sich mit täglichen Ritualen durchmogeln“, ziehe ich meine Kollegen auf. „Ich will auch vergessen, was du uns dauernd um die Ohren haust. Ich hoffe im Alter darauf, dass du mir nicht mehr ständig daran erinnerst, wie alt ich bin“, entgegnet Erich. „Entschuldige, bitte. Ich habe vergessen, dass du mit deiner Demenz dich gar nicht mehr an deine 80 Jahre erinnerst“, schütte ich Öl ins Feuer. „Na halt mal. Ich bin erst 78“, reklamiert Erich und macht weiter: „Zudem fühle ich mich immer jünger. Seit neues­tem ist meine Inkontinenz so weit fortgeschritten, dass ich mir wieder in die Hose mache. Wie vor 78 Jahren!“ Die Männerrunde lacht. Das ist ja das Schöne. „Wir können über uns selber lachen“, meint der kürzlich zu uns Hinzugekommene aus Travemünde, der nur noch zwei Zähne im Mund hat. Ich weiß noch nicht einmal seinen Namen. Aber das ist unter uns nicht so wichtig. „Zudem tun uns das Klima und die jungen Mädchen gut. Wo wir doch zu Hause arbeitsinvalid wären, oder Rentner mit Ausblick in einen verregneten Park und festen Essenszeiten im Heim, springen wir hier aus unseren Rollstühlen auf und machen die Walking Street unsicher“, frohlockt er. Stimmung herrscht in der Runde. „Achtung, jetzt kommen wieder Träume hoch. Er erzählt ja noch so gerne von dem allem, was mal war“, sagt ein Grauhaariger zur Ruhe mahnend. „Ne, ne. Ich habe schon vieles vergessen“, beschwichtigt er. „Also gib es doch zu, dass du immer ein Heimchen warst und deine Räubergeschichten aus der Bibliothek stammen“, klopfe ich ihm auf die Schulter. „Nein, nein. Ehrlich. Früher war ich DER Macker in St. Pauli. Ich kam sogar einmal im Fernsehen. Bei einer Schlägerei, die gefilmt wurde, stand ich im Hintergrund als Zuschauer“, verteidigt er sich.

Blaue Kopfwehtabletten...

„Wisst ihr, dass die Forschungsausgaben für Sexstudien um ein mehrfaches höher sind, als alle Ausgaben für Demenzforschung?“, wechselt einer das Thema. Da sagt der Nebenstehende: „Ist ja gut investiert, die Ausgaben für Sexstudien. Aber was nützt das Ganze, wenn du nicht mehr weißt, wozu die Teile in der Hose zu gebrauchen sind?“ Unter Lachen fügt ein anderer an: „Das führt dazu, dass du am Strand blaue Pillen kaufst, um abends etwas zu erleben. Aber abends dann, wenn du nach dem Abendessen Kopfweh hast und zwei Tabletten nimmst, weil du nicht mehr weißt, dass das keine Schmerztabletten sind, hast du zwei Probleme. Kopfweh und Spannung in der Hose.“ Damit wird er wohl Recht haben. „Das hast du im Selbstversuch herausgefunden, sollte man hinzufügen“, schließe ich die Ausführung ab. „Er wird halt auf dem Rücken schlafen müssen“, tuschelt einer hinter mir mit vorgehaltener Hand. Heiteres Grinsen rundherum.

Da kommt eine Dame über die Promenade zum Strand gelaufen. Hochgewachsen, mit kurvigen Linien, stolziert sie zu einer schattenspendenden Palme und lässt sich da nieder. „Genau das, was ich bräuchte, wenn ich Kopfwehtabletten verwechselt habe“, meint ein Kollege. Doch der Herr aus Travemünde ist anderer Meinung: „Schau sie dir an. Die sieht doch Scheiße aus.“ Ich insistiere aber: „Das ist die hübsche Lady von gestern. Da hast du sie sexy gefunden!“ Worauf unser Travemündener: „Bist du sicher? Die? Nee, das war doch eine andere!“ Ich: „Nein, das war dieselbe. Schau, wenn sie das T-Shirt auszieht. Sie hat ein Muttermal an der rechten Schulter.“ Die Dame legt ihr Tuch in den Sand, zieht sich aus und legt sich im Bikini hin. Auf der Schulter ein Muttermal. Der Travemündener: „Tatsächlich. Dann nehme ich es zurück.“ Ich: „Was? Das von gestern oder das von heute?“ Er schaut mich verdutzt an. Alle: „Ha, ha, ha.“ „Ach, Alter und Demenz ist schon blöd. Man macht sich wieder in die Hose und man kann die Früchte des Lebens nur noch mit den Augen und der Fantasie genießen. Ich weiß nicht, ob ich so 100 Jahre alt werden will“, sinniert Erich. „Aber schöner als im verregneten Hamburg ist es hier allemal“, gebe ich zu bedenken. „Das Wetter und die Mädels auch“, setzt noch einer hinzu. „Nur auf deine dummen Sprüche müsste ich dort verzichten“, lacht er.

Soweit die heutige Geschichte. Doch, eigentlich wollte ich euch noch etwas anderes erzählen. Aber ich habe es vergessen… Was? Wie heißt die Krankheit? Dieser „Heimervirus?“

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