Neulich, am Strand: Das Paradies der Zukunft

Neulich, am Strand: Das Paradies der Zukunft

„Psst, Leute. Heute möchte ich Ihnen ein Geheimnis verraten. Aber es sollte unter uns bleiben. Und laut sprechen darüber kann ich auch nicht. Sonst werde ich wieder festgemacht.“ Ich rappele mich auf und mache es mir bequem. Es gefällt mir, meine Zuhörer auf die Folter zu spannen. Diese hocken im Halbkreis um mich herum, wie um ein Lagerfeuer, und erwarten voller Freude, was da kommt.

Ich habe selten so viele Besucher. „Kommt etwas näher“, winke ich meine Schar näher heran. Alle rücken dichter zusammen. „Also, was ist denn nun?“, will einer wissen. „Nicht so hastig“, beschwichtige ich ihn. Ich beuge mich zu den Gesichtern vor und beginne: „Ich kann beweisen, dass die Erde eine Scheibe ist. Doch keiner glaubt mir. Dabei habe ich Fakten, die alle Zweifel beseitigen. Und noch viel mehr. Ich kann auch in die Zukunft schauen. Ich sehe glasklar, wie es in Thailand in zwei, drei Jahren sein wird!“ Ein Raunen geht durch Zuhörer. „Na, das mit der Scheibe kennen wir schon. Was ist mit Thailand?“, will derjenige von vorhin drängeln. „He, ich muss vorsichtig sein. Selbst Galileo Galilei musste vor die Inquisition antraben und seinen Thesen abschwören. Das soll mir nicht auch passieren“, erkläre ich. „Ich sehe also, dass in zwei Jahren in Thailand kein einziger vermüllter Strand mehr zu finden sein wird. Das Wasser im Meer wird sauber und klar sein. Du wirst deine Füße im Wasser sehen können. Sogar der Grund und die Fische, wenn du am Strand von Pattaya schwimmen gehst.“ Einige im Kreis machen lange Gesichter. „Und der Müll? Die Plastiktüten, die Flaschen, die immer wieder im Wasser treiben? Was ist damit?“, wird gefragt. „Nix Müll, nix Plastik. Weg! Alles weg“, erkläre ich. „Klares, sauberes Wasser. Die Strandbesucher werden ihren Müll in selbst mitgebrachten Abfalltüten in die bereitgestellten Container getrennt entsorgen. Thailändische Müllberater werden ihnen bei der Trennung behilflich sein. Die hergekommenen „Teutonen“ werden mülltrennungsmäßig noch was von Thailand lernen können!“ Die Zuhörer sind geschockt. Ich setze noch einen drauf: „Der Strand wird am Abend sauberer sein als am Morgen, wenn die Leute kommen. Das deshalb, weil mit den Strandtüchern und Bastmatten die vielen Vogel- und Hundeschisse weggewischt werden. Nachts geht keiner mehr an den Strand zum Pissen.“

Puff-Besuch mit Couponheft

Ungläubiges Staunen beherrscht die Szene. „Doch das ist noch längst nicht alles. Die Polizei ist hilfsbereit, rechtschaffen und liebevoll. Die haben fast gar nichts mehr zu tun, weil alle thailändischen Motorrad- und Autofahrer ihre verschärften Führerscheinprüfungen gemacht haben und alle Weiterbildungskurse besucht haben. Es wird keine hirnlosen Raser mehr geben, nur noch zuvorkommende und vorausschauende Verkehrsteilnehmer. Niemand wird mehr betrunken im Verkehr erwischt werden können, weil alle nüchtern sind. Du wirst über die Straße gehen können wie in der Schweiz. Da halten die Autofahrer schon heute und helfen dir hinüber.“ Ich rede mich in Schwung, ich spüre meinen Blutdruck steigen. „Sag mal. Bist du besoffen?“, zweifelt einer. „NEIIIN. In zwei Jahren werden in Thailand sowieso alle nicht mehr saufen und nicht mehr rauchen. Thailand wird ein Paradies sein. Keine Idioten mehr, nur gebildete Leute. Bad Boys out! Palmen, Sonne, Fische Korallen. Südseefeeling pur.“ Ich fühle meine Augen anschwellen. Eine junge Dame in der Gruppe, die mit offenem Mund zugehört hat, ist fasziniert. „Wahnsinn!“ „Genau! Wahnsinn. Sag ich doch“, nehme ich den Faden auf. „Deshalb kann man das nicht laut herausplärren.“ Ich versteigere mich immer weiter in meinen Zukunftsausblick. „Auch die Touristenabzocke wird es nicht mehr geben. Im Gegenteil. Touristen bekommen bei der Einreise ein Couponheft mit allerlei Rabatten. Im Puff kannst du wählen: 3 für 2, oder 10 Prozent auf das gesamte Sortiment. Sonderwünsche und Spezialbehandlungen bekommst du zum Standarttarif. Das Bier wird mit jeder gesoffenen Flasche 10 Baht günstiger bis zum Freibier schlechthin. Doch das gilt nur für die Farangs. Die Thais trinken nur noch Lindenblütentee!“ Einer der Zuhörer steht auf und geht weg. „Wahnsinn“, wiederholt die Lady.

„Nicht schlecht deine Ideen, Khun Ten“, stimmen die anderen zu. „He, das sind keine Ideen. Ich kann das glasklar sehen. Das ist Fakt. Aber erst in zwei Jahren“, protestiere ich. „Ja, ja. Reg dich nicht auf“, versuchen mich die Leute zu beruhigen. Der weggegangene Zuhörer kommt zurück. Im Gefolge vier Pfleger in ihren weißen Kitteln und eine Krankenschwester mit einer riesigen Spritze in der Hand. Nach kurzem Handgemenge habe ich die volle Ladung der Spritze in meinen Allerwertes­ten verpasst bekommen. „Ist ja gut“, streicht mir die Schwes­ter beruhigend über meine Glatze. „Danke, Schwester. Ich gehe jetzt zum Rand der Welt und lasse meine Beine ein bisschen baumeln“, lächle ich sie an. „Ich setze mich auf das Mäuerchen an der Promenade.“ Und zu meinen Besuchern gewandt: „Und ihr wisst jetzt, was Sache ist. Geht mal in die City Hall und überbringt die freudige Botschaft!“

Lieber Leser, wenn sie einen Träumer an der Promenade herumlungern sehen: Lassen sie ihn. Er ist harmlos. Er spinnt nur hin und wieder.

Aus dem Sanatorium, Khun Ten

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