Neues Gesetz schützt Netanjahu vor Amtsenthebung

​Erneut Proteste

Die Polizei drängt Demonstranten zurück, die die Ayalon-Autobahn während einer Kundgebung gegen die von der israelischen Regierung geplante Justizreform in Tel Aviv blockieren. Foto: epa/Abir Sultan
Die Polizei drängt Demonstranten zurück, die die Ayalon-Autobahn während einer Kundgebung gegen die von der israelischen Regierung geplante Justizreform in Tel Aviv blockieren. Foto: epa/Abir Sultan

TEL AVIV: Seit Wochen demonstrieren in Israel Tausende gegen eine geplante Schwächung der Justiz. Nun verabschiedet das Parlament ein Gesetz, das einen Regierungschef vor einer Amtsenthebung schützt. Es gilt als zugeschnitten auf Amtsinhaber Netanjahu - der zu Einheit aufruft.

Trotz anhaltender Proteste schreitet die israelische Regierung mit ihrem Plan voran, die Justiz weiter zu schwächen. Das Parlament in Jerusalem verabschiedete am Donnerstag ein Gesetz, das es künftig deutlich schwerer macht, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Dies ist die erste Gesetzesänderung im Rahmen einer höchst umstrittenen Justizreform der neuen rechts-religiösen Regierung um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Seit mehr als zwei Monaten gibt es regelmäßig massive Proteste gegen die Pläne der Regierung. Dem Parlament soll es künftig auch möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Zudem sollen Regierungspolitiker deutlich mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erlangen. Die Koalition um Netanjahu wirft dem Höchsten Gericht eine übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen vor einer gefährlichen Staatskrise.

Das Netanjahu-Gesetz

Die am Donnerstag verabschiedete Gesetzesänderung ist besonders umstritten, weil sie als persönlich auf Regierungschef Netanjahu und dessen Bedürfnisse zugeschnitten gilt. Gegen den 73-Jährigen läuft seit längerer Zeit ein Korruptionsprozess. Künftig wäre die Amtsenthebung eines Ministerpräsidenten nur wegen psychischer oder anderer Gesundheitsgründe möglich. Damit soll eine Einflussnahme des Höchsten Gerichts oder der Generalstaatsanwaltschaft verhindert werden.

In letzter Lesung stimmten 61 der 120 Abgeordneten dafür. 47 Abgeordnete waren dagegen, die anderen fehlten oder enthielten sich. Damit wäre, wenn das Gesetz nicht noch von der Justiz gestoppt wird, für die Amtsenthebung künftig eine Drei-Viertel-Mehrheit erforderlich.

Erneut landesweite Massenproteste

Unterdessen gingen erneut landesweit Tausende Menschen auf die Straßen, um gegen die Pläne zu demonstrieren. Dabei kam es vereinzelt zu Konfrontationen mit der Polizei. Unter anderem in den Küstenstädten Tel Aviv und Haifa setzten die Einsatzkräfte Wasserwerfer ein, um gegen Demonstranten vorzugehen. Dutzende Menschen wurden Medienberichten zufolge landesweit festgenommen. Auch in Jerusalem und weiteren Städten kam es zu Kundgebungen.

Netanjahu rief am Abend in einer Ansprache an die Nation zu Versöhnung auf, machte jedoch gleichwohl deutlich, dass er das Gesetzesvorhaben weiter vorantreiben will. Am Montag werde demnach das Parlament in letzter Lesung über ein Kernelement der Reform abstimmen. Der Regierungschef wollte ursprünglich am Abend nach London aufbrechen. Er verschob sein Abflug jedoch auf den frühen Freitagmorgen. In London will er mit Großbritanniens Premier Rishi Sunak zusammenkommen.

Internationale Kritik an Rückkehr-Erlaubnis in Siedlungen

Das Auswärtige Amt in Berlin kritisierte derweil die Entscheidung des israelischen Parlaments, Siedlern die Rückkehr in vier Siedlungen im Westjordanland zu erlauben. Sie stelle «einen gefährlichen Schritt hin zu möglichen erneuten Siedlungsaktivitäten dar», sagte eine Sprecherin. Dies drohe die ohnehin angespannte Sicherheitslage im Westjordanland weiter zu verschärfen.

Netanjahu versuchte am Mittwoch zu beschwichtigen. Er versicherte, die Regierung habe nicht die Absicht, dort neue Siedlungen zu bauen. Ob diese Zusage auch für die zuvor evakuierten Siedlungen gilt, blieb offen.

Palästinenser bei Militäreinsatz getötet

Die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten hatte sich zuletzt erneut deutlich verschärft. Während des Ramadans wird eine weitere Eskalation der Gewalt befürchtet. Erfahrungen aus den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass die Spannungen während dieser Zeit zunehmen.

Am Donnerstag - dem ersten Tag des muslimischen Fastenmonats - wurde bei einem israelischen Militäreinsatz erneut ein militanter Palästinenser erschossen. Nach israelischen Angaben soll der 25-Jährige an Angriffen gegen israelische Siedlungen und Sicherheitskräfte beteiligt gewesen sein.

Damit kamen in diesem Jahr 86 Palästinenser ums Leben - etwa bei Konfrontationen mit der israelischen Armee oder bei eigenen Anschlägen. Im gleichen Zeitraum wurden 14 Israelis und eine Ukrainerin bei Anschlägen von Palästinensern getötet.

Das Auswärtige Amt twitterte, man rate aktuell von Reisen in das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem ab, «da dort derzeit mit verstärkten Auseinandersetzungen zu rechnen ist».

Israel eroberte während des Sechstagekrieges 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem. Knapp 600.000 Israelis leben dort heute in mehr als 200 Siedlungen. Der UN-Sicherheitsrat bezeichnete 2016 diese Siedlungen als Verletzung des internationalen Rechts. Die Palästinenser wollen im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem einen eigenen Staat einrichten.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 24.03.23 19:20
Auch wenn es uns nicht gefällt,
aber so funktioniert Demokratie in Israel
Beat Sigrist 24.03.23 13:40
Ich habe kein
negatives Gedankengut gegen die Bevölkerung oder das Land Israel - im Gegenteil. Was ich aber hasse, sind alle Diktatoren auf diesem Planeten. Leider ist Israel von einer Musterdemokratie im Jahr 2023 zu einer klassischen Diktatur degradiert worden. Wir brauchen jetzt bedauerlicherweise etwas Geduld, aber wir wissen ja alle, was mit den Diktatoren die letzten 70 Jahre passiert ist. Und dies wird folglich auch in Israel eines Tages passieren und es wird wieder Frieden einkehren in Israel.
Ingo Kerp 24.03.23 12:20
Das ist das Praktische, wenn man PM wird und die Justiz aushebelt. Dann kann man Gesetze verabschieden, die einem Narrenfreiheit garantieren. Israel galt mal als eine Demokratie im Nahen Osten, jetzt schafft die neue Regierung diesen Status ab.