Neue US-Sanktionsdrohung trifft Merkels Wahlkreis

Foto: epa/Clemens Bilan
Foto: epa/Clemens Bilan

BERLIN: Stück für Stück haben die USA die Sanktionsschraube gegen Nord Stream 2 angezogen. Jetzt geht es direkt gegen deutsche Unternehmen. Damit wird endgültig eine rote Linie überschritten, meinen viele. Der Druck auf die Bundesregierung wächst, dagegen zu halten.

Nach der Sanktionsdrohung aus den USA gegen den deutschen Ostseehafen Sassnitz-Mukran wegen der Gaspipeline Nord Stream 2 wird der Ruf nach Gegenmaßnahmen immer lauter. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) forderte von der Bundesregierung, «dass sie diesen Erpressungsversuchen entschieden entgegentritt». SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider sagte, Deutschland dürfe sich nicht «wie ein Vasallenstaat» behandeln lassen. Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin nannte die Drohung eine «wirtschaftliche Kriegserklärung». Die deutsche Wirtschaft spricht von einem «beispiellosen» Vorgang und pocht auf Gegenmaßnahmen.

Ein Regierungssprecher erklärte auf dpa-Anfrage aber lediglich, man habe das Schreiben der US-Senatoren an den Hafen zur Kenntnis genommen. «Die Bundesregierung hat immer wieder deutlich gemacht, dass sie unilaterale, gegen deutsche und europäische Unternehmen gerichtete extraterritoriale Sanktionen, wie sie von den Vereinigten Staaten verhängt wurden, ablehnt».

Deutlicher wurde der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth: «So etwas geht natürlich überhaupt nicht, wir dürfen uns nicht erpressbar machen lassen», sagte der SPD-Politiker dem Deutschlandfunk. Am Ende helfe kein Jammern und Wehklagen, sondern mehr europäisches Selbstbewusstsein. «Wir sollten uns von solchen Drohungen nicht beeindrucken lassen.»

Drei US-Senatoren hatten am Mittwoch in einem Schreiben an den Hafen schwere Strafmaßnahmen angedroht: «Den Vorstandsmitgliedern, leitenden Angestellten und Aktionären der Fährhafen Sassnitz GmbH wird die Einreise in die Vereinigten Staaten untersagt, und jegliches Eigentum oder jegliche Eigentumsbeteiligung, die sie in unserem Zuständigkeitsbereich haben, wird eingefroren.»

Damit wird erstmals ein Fall öffentlich bekannt, in dem sich Sanktionen direkt gegen ein deutsches Unternehmen richten. Besonders brisant: Der Fährhafen gehört zu 90 Prozent der Stadt Sassnitz und zu 10 Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern. Damit richtet sich die Drohung indirekt auch gegen eine Landesregierung. Zusätzliche Brisanz erhält sie dadurch, dass der Hafen Sassnitz-Mukran auf Rügen im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) liegt.

Der Hafen spielt eine zentrale Rolle beim Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die aus Russland kommend in Lubmin am Greifswalder Bodden anlanden soll. In Sassnitz lagern die für die Fertigstellung benötigten Stahlrohre, die in einer Fabrik in Mukran mit Beton ummantelt wurden. Zudem liegt dort das Verlegeschiff der russischen Firma Gazprom, die «Akademik Tscherski», das zusammen mit dem russischen Schiff «Fortuna» den Pipeline-Bau vollenden soll. Im Stadthafen Sassnitz hat außerdem ein Wohnschiff für rund 140 Arbeiter festgemacht. Es wird vermutet, dass sie mit dem Weiterbau der Gastrasse zu tun haben.

Es fehlen noch gut 150 Kilometer der insgesamt 2360 Kilometer langen beiden Stränge der Pipeline. Das Projekt ist also zu 94 Prozent vollendet. Im Dezember 2019 waren die Bauarbeiten vor der dänischen Insel Bornholm abrupt gestoppt worden, weil die beiden Schweizer Verlegeschiffe wegen der ersten Sanktionswelle der USA ihre Arbeit einstellten. Jetzt sollen die zwei russischen Schiffe übernehmen. Eine Genehmigung der dänischen Behörden dafür ist seit Anfang der Woche in Kraft. Noch haben sich die Schiffe aber nicht auf den Weg nach Bornholm gemacht. Der Brief der Senatoren könnte aber mit der dänischen Genehmigung in Zusammenhang stehen.

US-Präsident Donald Trump kritisiert Nord Stream 2 seit Jahren und wirft Deutschland vor, es lasse sich militärisch vor Russland schützen, verschaffe Moskau aber gleichzeitig hohe Einnahmen aus Gasexporten. Kritiker werfen ihm vor, die Pipeline nur verhindern zu wollen, um mehr amerikanisches Flüssiggas in Europa verkaufen zu können.

Trump hatte Ende 2019 erste Strafmaßnahmen gegen bestimmte Unternehmen ermöglicht, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind. Die betrafen aber vor allem die Verlegeschiffe. Mitte Juli drohte US-Außenminister Mike Pompeo mit einer Ausweitung der Sanktionen unter dem CAATSA-Gesetz («Countering America's Adversaries through Sanctions»), die auch deutsche Unternehmen treffen könnten. Seitdem wird von US-Seite massiver Druck auf die Unternehmen ausgeübt, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, das eigentlich Anfang 2021 vollendet werden soll.

Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft fordert, jetzt «über gezielte Gegenmaßnahmen nachzudenken». Der Ausschussvorsitzende Oliver Hermes betonte: «Der jüngste Drohbrief der drei US-Senatoren gegen ein deutsches Infrastrukturunternehmen, an dem Stadt und Land beteiligt sind, ist ein beispielloser Vorgang.» Es sei in keiner Weise akzeptabel, dass amerikanische Abgeordnete einem deutschen Unternehmen «mit dem finanziellen und wirtschaftlichen Ruin drohen, wenn es nicht den Forderungen der USA nachgibt. Dies gleicht einer Erpressung». Deutsche und europäische Unternehmen müssten wirksam vor solchen Übergriffen durch Drittstaaten geschützt werden.

Unterstützung kommt aus der Politik. «Diese Drohungen sind absolut inakzeptabel. Deutschland kann selbst entscheiden, woher und auf welchem Weg es seine Energie bezieht», sagte Schwesig dem Berliner «Tagesspiegel». Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Schneider, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): «Die ultimative Drohung einer befreundeten Nation gegenüber einem Hafen auf Rügen mit der wirtschaftlichen Zerstörung hat eine ganz neue, nicht akzeptable politische Qualität.» Der Brief der Senatoren trage eine «neo-imperialistische Handschrift».

Einige mögliche Gegenmaßnahmen sind schon im Gespräch. Schneider regt Klagen vor US-Gerichten an und forderte weitere «intelligente Gegenmaßnahmen» ohne konkreter zu werden. Trittin ist für Sanktionen gegen den Import von Fracking-Gas aus den USA. Die AfD regt die Streichung von Russland-Sanktionen an. Der Vize-Fraktionschef im Bundestag und Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm, forderte zudem eine verbindliche Garantie aus Berlin, «dass die Pipeline fertig gebaut wird, egal was die USA machen». Die USA führten sich auf «wie eine Besatzungsmacht».

Der Hafen selbst äußerte sich zu dem Brief der Senatoren nicht. Ein Sprecher sagte, es werde erwartet, dass Bundesregierung und Landesregierung aktiv werden.

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