Neue Spur nach Anschlag: Mutmaßlicher Täter sollte abgeschoben werden

Die Berliner Polizei nimmt einen Demonstranten vor der CDU-Bundeszentrale fest. Foto: epa/BERND VON JUTRCZENKA
Die Berliner Polizei nimmt einen Demonstranten vor der CDU-Bundeszentrale fest. Foto: epa/BERND VON JUTRCZENKA

BERLIN/DÜSSELDORF (dpa) - Zwei Tage nach dem Terroranschlag von Berlin haben die Fahnder eine neue heiße Spur: Sie suchen nach einem abgelehnten Asylbewerber aus Tunesien, der schon einmal im Visier der Ermittler war und abgeschoben werden sollte. Gegen den 24-jährigen Anis Amri wurde bereits früher in Berlin wegen Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Laut Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat sich dieser Verdacht trotz monatelanger Observation damals jedoch nicht bestätigt.

Die Bundesanwaltschaft rief die Bevölkerung zur Mithilfe auf und setzte 100 000 Euro Belohnung aus. Zugleich mahnte sie zur Vorsicht: «Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!» Auch europaweit wird nach Amri gefahndet.

Seine Duldungspapiere waren in dem Laster gefunden worden, der am Montagabend auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren war. Bei der Tat kamen zwölf Menschen ums Leben, rund 50 wurden teils lebensbedrohlich verletzt. Ein zunächst festgenommener Pakistaner wurde wieder freigelassen.

Gemeldet war der gesuchte Tunesier in einer Asylbewerberunterkunft in Nordrhein-Westfalen, laut «Spiegel Online» in Emmerich bei Kleve. Wie NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Mittwoch in Düsseldorf mitteilte, war er 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist und verwendete mehrere Indentitäten. Seit Februar hielt er sich demnach vor allem in Berlin auf.

Dort wurde Amri nach Hinweisen von Bundesbehörden überwacht, und zwar von März bis September dieses Jahres, wie die Generalstaatsanwaltschaft mitteilte. Es habe Informationen gegeben, wonach der in Nordrhein-Westfalen als islamistischer Gefährder geführte Verdächtige einen Einbruch plane, um Geld für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen - «möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen», hieß es.

Die Observierung und Überwachung der Kommunikation sei sogar verlängert worden, habe aber keine Hinweise auf ein staatsschutzrelevantes Delikt erbracht, erklärte die oberste Berliner Ermittlungsbehörde. Hinweise habe es lediglich gegeben, dass Amri als Drogendealer tätig und an einer körperlichen Auseinandersetzung, vermutlich in der Dealerszene, beteiligt gewesen sein könnte. Deshalb habe die Überwachung im September beendet werden müssen. Die Sicherheitsbehörden tauschten Jäger zufolge ihre Erkenntnisse über Amri im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum aus, zuletzt im November 2016.

Laut «Süddeutscher Zeitung» («SZ»), NDR und WDR tauchte er im Dezember unter. Nach Informationen dieser Medien hatte er Kontakte zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Hildesheimer Predigers Abu Walaa, den Jäger früher einmal als «Chefideologen» der Salafisten in Deutschland eingestuft hatte.

Amri wurde bereits im Juni als Asylbewerber abgelehnt, wie NRW-Innenminister Jäger berichtete. «Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte.» Tunesien habe lange Zeit bestritten, dass es sich um seinen Staatsbürger handele. Die für die Abschiebung wichtigen tunesischen Ersatzpapiere seien erst an diesem Mittwoch bei den deutschen Behörden eingetroffen, sagte der Minister.

In Tunesien verhörten Ermittler nach einem Bericht der Zeitung Al-Chourouk die Familie des mutmaßlichen Attentäters in der nordöstlichen Provinz Kairouan, einer Salafisten-Hochburg. Die Familie habe ausgesagt, dass sie keinen steten Kontakt mit Amri gehabt habe, seitdem er das Haus Ende 2010 verlassen habe.

2011 kam er als Flüchtling nach Italien, wie die dortige Nachrichtenagentur Ansa berichtete, und wurde in einem Auffanglager auf Sizilien untergebracht. Weil er Sachbeschädigungen und «diverse Straftaten» beging, kam er demnach in Palermo vier Jahre ins Gefängnis. Im Frühjahr 2015 wurde er laut Ansa entlassen, konnte wegen Problemen mit den tunesischen Behörden aber nicht ausgewiesen werden. Er sei dann nach Deutschland weitergereist, hieß es.

Zum Tathergang gibt es nach wie vor viele offene Fragen. Der polnische Lkw-Fahrer, der tot auf dem Beifahrersitz gefunden wurde, hat laut «Bild»-Zeitung bis zum Attentat noch gelebt. Das habe die Obduktion ergeben, berichtete die Zeitung. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, von der bislang jede Spur fehlt.

Unklar war zudem, ob die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hinter dem Anschlag steht. Sie hatte den Angriff für sich reklamiert. Der IS hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über sein Sprachrohr Amak zu Anschlägen in unterschiedlichen Ländern bekannt. Täterwissen gab der IS - wie schon in früheren Fällen - nicht bekannt.

Die politische Debatte über Konsequenzen lief derweil auf Hochtouren. CSU-Chef Horst Seehofer, der eine Neujustierung der Sicherheits- und Zuwanderungspolitik gefordert hatte, stand stark in der Kritik, auch aus der Schwesterpartei CDU. Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner argumentierte, dass auch die von Seehofer geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr die Sicherheitslage nicht grundlegend verbessern würde. Ein weiterer CDU-Vize, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl, kritisierte im SWR mit Blick auf den später freigelassenen ersten Verdächtigen: «Das war gestern nicht sehr klug, über eine Person zu spekulieren, von der sich dann herausstellt, dass sie mit der Tat gar nichts zu tun hat.»

Seehofer widersprach am Mittwoch aber dem Eindruck, er habe mit seiner Äußerung Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert. Dennoch ist es ein offenes Geheimnis, dass sich viele CDU-Politiker eine härtere Gangart von Merkel wünschen - allerdings meldete sich am Mittwoch kein Unterstützer der CSU-Linie zu Wort. Pflichtgemäß verteidigte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im «Morgenmagazin» von ARD und ZDF seinen Parteichef: «Wir brauchen jetzt, und das erwartet das Staatsvolk, eine starke Staatsgewalt.»

Auf das Hinweisportal des Bundeskriminalamts zum Anschlag (www.bka-hinweisportal.de) gab es einen Hackerangriff. Am Dienstagabend sei die Seite daher zweieinhalb Stunden nicht erreichbar gewesen, teilte das BKA mit, nachdem zuerst die Funke-Zeitungen berichtet hatten.

Die am Tag nach dem Anschlag geschlossenen Weihnachtsmärkte in Berlin öffneten wieder ihre Tore. Auch der angegriffene Markt am Breitscheidplatz zu Füßen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sollte am Donnerstag wieder in Betrieb genommen werden. Die Polizeipräsenz sei an «entsprechenden Punkten» deutlich erhöht worden, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Jürgen Franke 22.12.16 22:42
Herr Platzer, sicherlich ist diese Frage nicht
ernst gemeint von Ihnen, denn wer für die Rettung von Banken Geld aufbringen kann, wird auch dieses Geld haben, um diese Menschen unterzubringen. Wir drucken soeben neues Geld, um die italienischen Banken zu retten.
aurel aurelis 22.12.16 18:19
Guantanamo....
bei uns wäre auch wie ein 4. Klasse Hotel. Wenn schon sollte man von den Russen ein Stück Sibirien zum Kontaminieren mieten, samt dortigem Lagersicherheitspersonal. Programm: 12 Stunden Arbeit, Bewegungen im Laufschritt, gutes Essen auf weißen Tischdecken. Waschen derselben mit der eigenen Kleidung in der Freizeit.
aurel aurelis 22.12.16 18:17
laber, laber statt handeln
Laufend werden Parallelen zu Nizza angestellt! Aber, hätten die dafür bezahlten Leute vorher Betonhindernisse aufgestellt, wie dies in ein paar Städten geschah, wäre weniger passiert. Es ist ja ein Glück, dass der Lkw nach einer relativ kurzen Wegstrecke ausscherte. Vielleicht weil der schwer verletzte polnische Trucker kurz zu sich kam und eingriff. Der Laster hätte unbehindert geradeaus fahren und unsäglich mehr Schaden anrichten können. Nicht nur die Flüchtlingspolitik ist wie Seehofer meint zu ändern, sondern unser marodes Funktionärsfeudalsystem, samt Seehofer selbst. Mangelnde Vernetzung der Polizei und weich gespülte Justiz lässt einen hoch kriminellen Tunesier frei herumlaufen.
Gehandelt werden muß immer bei uns selber. Es hilft nix auf Fehler irgendwo im Ausland zu verweisen.
Ingo Kerp 22.12.16 18:13
Terror
In Berlin zeigte sich die totale Unfähigkeit und das Versagen der Behörden. Weihnachtsmarkt ohne Betonpoller abgesichert, was man von Nizza her gelernt hatte. Polizei bekommt jetzt eine Aufrüstung mit schweren Waffen. Wozu? Soll dann damit in die Menge gehalten werden, in der Hoffnung der/die Täter auch zu erwischen? Ein pakist. Passant wird festgenommen und alles konzentriert sich auf ihn. Dann stellt man fest, der war es nicht. In der Zwischenzeit spaziert der Täter von dannen. Jetzt stellt man seine identität fest und siehe da, er ist ein alter Bekannter. Der wurde mal observiert, dann wieder nicht, sollte abgeschoben werden, ging aber nicht. Deutschland hat über 100 Inseln, man könnte auf einer davon auch ein Abschiebelager einrichten. Ist nur so eine Idee.
Peter Platzer 22.12.16 18:10
@J.Franke: Wieviel Steuergeld wäre
ihnen das Wert, wenn man dafür das Geld bei Ihren Enkeln und deren Ausbildungskosten abziehen würde?
Peter Platzer 22.12.16 18:10
@J.Franke So richtig mit
Water-Boarding und so?
Jürgen Franke 22.12.16 10:53
Ein weiters Problem, das gelöst werden
muß, wenn die Herkunftsländer ihre Verbrecher nicht mehr zurück haben wollen. Ich bin gespannt, wann die Regierung endlich darauf kommt, in Deutschland auch ein Guantanamo einzurichten. Ein Lager, in denen kriminelle Personen, zum Schutz der Bevölkerung, weggeschlossen werden können.