Nato-Norderweiterung rückt rasch näher

Kämpfe in der Ostukraine

Chuck Schumer (M), Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat, begrüßt Paivi Nevala (l), Ministerberaterin der finnischen Botschaft, und Karin Olofsdotter, Schwedens Botschafterin in den USA
Chuck Schumer (M), Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat, begrüßt Paivi Nevala (l), Ministerberaterin der finnischen Botschaft, und Karin Olofsdotter, Schwedens Botschafterin in den USA

WASHINGTON/KIEW/MOSKAU: Russland stehen im Westen bald wohl mehr Nato-Soldaten gegenüber. Die Norderweiterung des Bündnisses rückt näher. Doch besonders ein Nato-Staat ziert sich noch mit seiner Zustimmung. Menschenrechtler kritisieren unterdessen die ukrainische Kriegsführung.

Gut fünf Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine rückt der Beitritt von Schweden und Finnland zum westlichen Verteidigungsbündnis Nato näher. Parlamente in den USA und Italien ratifizierten den Beitritt der nordischen Staaten. Damit gaben bis Donnerstag 23 der 30 Nato-Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Doppelbeitritt. Deutschland hatte dies bereits Anfang Juli getan. In der Ostukraine kam es unterdessen erneut zu Kämpfen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellte die globale Sicherheitsarchitektur infrage.

Ein Faktor eine den russischen Angriffskrieg und die aktuellen Konflikte in der Welt: «Die globale Sicherheitsarchitektur hat nicht funktioniert», sagte Selenskyj am Mittwoch in seiner täglichen Videoansprache. Russland verstoße gegen das Völkerrecht. Das Problem sei, dass die Welt Russland diese Verstöße - etwa die Annexion der Krim - lange habe durchgehen lassen. Der Ukraine-Krieg zeige, wie fragil die Freiheit sei, mahnte er.

UN kündigen nach Angriff auf Gefangenenlager Untersuchung an

Knapp eine Woche nach dem verheerenden Angriff auf ein Kriegsgefangenenlager in der Ostukraine kündigte UN-Generalsekretär António Guterres eine Untersuchung an. Die Vereinten Nationen hätten sowohl von Russland als auch von der Ukraine ein entsprechendes Gesuch erhalten, sagte Guterres in New York. Bei dem Angriff auf das Lager in Oleniwka wurden Dutzende ukrainische Kriegsgefangene getötet. Moskau und Kiew geben sich gegenseitig die Schuld.

Russen melden Vorstöße im Osten der Ukraine

Den russischen Streitkräften sind nach eigenen Angaben Vorstöße im schwer umkämpften Gebiet Donezk gelungen. Aufgrund hoher Verluste hätten sich mehrere ukrainische Brigaden von ihren Positionen bei den Orten Soledar, Awdijiwka und Bachmut zurückgezogen, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in Moskau. Unabhängig überprüfen ließ sich das nicht.

Der ukrainische Generalstab hingegen beschrieb die Situation um die drei Kleinstädte weiter als stabil. «Der Feind hatte an allen genannten Abschnitten keinen Erfolg und zog sich zurück», hieß es. Die Verteidigung von Orten wie Bachmut und Soledar ist strategisch wichtig: Sollten sie fallen, wäre für die russischen Truppen der Weg frei zum Ballungsraum um die Städte Slowjansk und Kramatorsk. Dort lebten vor dem Krieg mehr als eine halbe Million Menschen.

Amnesty kritisiert ukrainische Kriegsführung

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der ukrainischen Armee vor, mit ihrer Kriegsführung teils Zivilisten in Gefahr zu bringen. Sie errichte etwa Stützpunkte in Wohngebieten - darunter auch in Schulen und Krankenhäusern - oder bediene dort Waffensysteme, hieß es. Das Kriegsrecht aber verlange, militärische Objekte so weit wie möglich entfernt von zivilen Einrichtungen zu platzieren. Amnesty kritisierte Moskau jedoch auch für «die vielen wahllosen Schläge des russischen Militärs mit zivilen Opfern». Kiew zeigte sich empört und wies die Vorwürfe zurück.

Große Einigkeit im US-Senat für Nato-Erweiterung

Der US-Senat ratifizierte am Mittwoch in seltener überparteilicher Einigkeit die Norderweiterung der Nato. 95 Senatorinnen und Senatoren stimmten für die Aufnahme von Schweden und Finnland, es gab nur eine Gegenstimme. Die nordischen EU-Staaten hatten die Aufnahme nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine beantragt. Finnland hat mit rund 1340 Kilometern die längste Grenze aller EU-Länder zu Russland. Schweden und Finnland hatten unter dem Eindruck des Kriegs gegen die Ukraine am 18. Mai die Mitgliedschaft in der Nato beantragt. Bisher waren die beiden Staaten enge Partner des Bündnisses.

Türkische Vorbehalte gegen Beitritt der Nordeuropäer

Sieben der 30 Nato-Mitgliedstaaten müssen dem Beitritt noch zustimmen: Ungarn, Tschechien, Griechenland, Portugal, Slowakei, Spanien und die Türkei. Die größte Unsicherheit geht nach wie vor von der Türkei aus. Ankara hatte den Beginn des Prozesses zunächst als einziges Land blockiert und diese Haltung mit der angeblichen schwedischen und finnischen Unterstützung von «Terrororganisationen» begründet. Ende Juni unterzeichneten die drei Länder dann eine Absichtserklärung, die auf die türkischen Vorbehalte einging.

Mitte Juli hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan jedoch erneut mit einer Blockade gedroht, falls gestellte Bedingungen nicht erfüllt würden. Am Freitag will er Russlands Präsidenten Wladimir Putin im russischen Badeort Sotschi treffen.

Stoltenberg: Putin meint, er könne über die Ukraine bestimmen

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte die Bedeutung der Unterstützung für die Ukraine. Die Nato müsse das angegriffene Land unterstützen und verhindern, dass sich der Krieg zu einem größeren Konflikt ausweite, sagte Stoltenberg in Norwegen. Europa befinde sich in der gefährlichsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg. Putin führe einen Angriffskrieg gegen ein Nachbarland, weil er diese Werte nicht leiden könne. «Er meint in seinem verwirrten Kopf, er könnte bestimmen, was die Ukraine tun kann», sagte Stoltenberg.

EU will an alternativen Routen für Getreide aus Ukraine festhalten

Die EU will trotz der Wiederaufnahme von Getreideexporten über das Schwarze Meer an ihrer Initiative für alternative Frachtrouten festhalten. Da es schwierig sein werde, die Ausfuhrmenge über die Schwarzmeerhäfen sofort wieder auf Vorkriegsniveau zu bringen, blieben andere Transportwege wie Schiene oder die Binnenschifffahrt auf der Donau von entscheidender Bedeutung, erklärte ein EU-Beamter.

Die größten Hoffnungen ruhen derzeit allerdings auf einem neuen internationalen Abkommen, das regelmäßige ukrainische Agrarexporte über das Schwarze Meer ermöglichen soll. Über die ukrainischen Häfen wurden nach EU-Zahlen bis vor dem Krieg rund 90 Prozent der Ausfuhren von Getreide und Ölsaaten abgewickelt. Das erste Schiff, das Anfang der Woche unter dem Deal in Odessa ablegte, hatte rund 26.000 Tonnen Mais geladen. Es wird am Sonntag im Libanon erwartet.

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