Experte: Kampf um Aleppo könnte blutig werden
BERLIN: Aleppo war schon einmal Schauplatz erbitterter Kämpfe im syrischen Bürgerkrieg. Die neuen Auseinandersetzungen könnten vielen Menschen das Leben kosten, befürchtet ein Nahost-Experte.
Das rasche Vordringen einer Rebellenoffensive im Norden Syriens hat das Bürgerkriegsland wieder in die Schlagzeilen katapultiert. Besonders im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die Millionenstadt Aleppo, die größtenteils wieder in der Hand Aufständischer sein soll.
Aleppo war schon einmal Schauplatz erbitterter Kämpfe im syrischen Bürgerkrieg, bevor die Regierung von Präsident Baschar al-Assad 2016 wieder die Kontrolle erlangte. Der Nahost-Experte und Autor Daniel Gerlach geht davon aus, dass die syrische Regierung in der nächsten Woche mit einer Gegenoffensive beginnen wird. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er: «Das wird jetzt sehr viele Menschenleben wieder kosten.»
Gerlach hält es für möglich, dass die Regierung wieder die Oberhand gewinnt. Zwar seien die Verbündeten Assads, Iran und Russland, geschwächt, beziehungsweise hätten nicht die Kapazitäten wie zuvor. Trotzdem verfüge die syrische Regierung über Einheiten, die in der Lage seien, Häuserkämpfe zu führen. Die Strategie, sich zunächst zurückzuziehen und dann mit erfahrenen Einheiten zurückzuschlagen, sei in den vergangenen Jahren immer wieder zu beobachten gewesen, sagt er.
Russische Kampfjets im Einsatz gegen Rebellen
DAMASKUS/MOSKAU: Mit den plötzlichen Erfolgen der syrischen Rebellen tritt die russische Luftwaffe wieder in Aktion.
Russische Kampfflugzeuge sind im Tagesverlauf in Syrien zu mehreren Einsätzen gegen Einheiten der Rebellen aufgestiegen. Dabei seien rund 300 Kämpfer getötet worden, sagte Oleg Ignasjuk, stellvertretender Leiter der russischen Mission in Syrien. Es seien Befehlsstellen, Artilleriestellungen und Lager der Rebellen angegriffen worden. «Die Operation zur Abwehr der extremistischen Aggression wird fortgesetzt», zitierte ihn die Staatsagentur Tass weiter. Seine Angaben waren nicht unabhängig überprüfbar. Ignasjuk machte zudem keine Angaben über die Einsatzorte der Kampfflugzeuge.
Eine Allianz von Aufständischen unter der Führung der Islamistenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hat in dieser Woche bei einer Offensive im Nordwesten Syriens überraschend große Gebietsgewinne verzeichnet. Die Rebellen haben auch fast die gesamte Millionenstadt Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht.
Russland hat die syrische Regierung 2015 im Bürgerkrieg massiv militärisch unterstützt und trug mit seiner überlegenen Luftwaffe dazu bei, dass Präsident Baschar al-Assad seine wankende Machtstellung wieder festigen konnte. Seitdem hat Moskau eine Anzahl von Kampfbombern und Hubschraubern auf dem Flughafen Hmeimim sowie ein Truppenkontingent in unbekannter Stärke in der Hafenstadt Tartus stationiert.
Nach Angriff auf Aleppo: Frankreich fordert Schutz der Bevölkerung
PARIS: Innerhalb kurzer Zeit übernehmen Rebellen einen Großteil der syrischen Großstadt Aleppo. Syriens Regierung bereitet einen Gegenschlag vor. Frankreich hat eine Forderung an alle Kriegsparteien.
Nach dem Vorrücken oppositioneller Rebellen auf die Stadt Aleppo im Norden Syriens ruft Frankreich alle Parteien zum Schutz der Zivilbevölkerung auf. Das Außenministerium forderte die syrische Regierung und die Rebellen-Allianz unter der Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) auf, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren.
Die aktuellen Entwicklungen verdeutlichten die Notwendigkeit, dreizehn Jahre nach Beginn Bürgerkriegs endlich eine politische Lösung zu finden, hieß es in der Mitteilung weiter. Bei der überraschenden Rebellenoffensive sollen seit Mittwoch mindestens 327 Menschen getötet worden sein. Darunter seien über zwei Dutzend Zivilisten.
Bereits seit 2011 herrscht in Syrien ein verheerender Bürgerkrieg, der das Land völlig gespalten hat. Machthaber Baschar al-Assad kontrollierte zuletzt mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Der Nordwesten ist teilweise unter Kontrolle von Oppositionskräften. Eine politische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Eine halbe Million Menschen wurden seit 2011 getötet und Millionen weitere vertrieben.
Teheran verurteilt Angriff auf iranisches Generalkonsulat in Aleppo
TEHERAN: Im Zuge ihrer überraschenden Offensive haben syrische Rebellen auch das iranische Generalkonsulat in Aleppo angegriffen. Teheran verurteilt den «Terrorakt» und kündigt rechtliche Schritte an.
Im Zuge des Vorrückens oppositioneller Rebellen in der syrischen Millionenstadt Aleppo ist es iranischen Angaben zufolge auch zu einem Angriff auf das iranische Generalkonsulat gekommen, den Teheran scharf verurteilt. «Wir werden nach dem Angriff von Terrorgruppen auf unser Generalkonsulat rechtliche Schritte gegen diesen Terrorakt einleiten», sagte der iranische Außenamtssprecher Ismail Baghai in einer Presseerklärung. Der Generalkonsul und seine Mitarbeiter seien bei dem Angriff nicht verletzt worden und seien wohlauf, so der Sprecher laut Webportal des Ministeriums.
Neben Russland ist der Iran wichtigster Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Über die Jahre hat Teheran seinen militärischen Einfluss ausgebaut und eine Landachse über den Irak und Syrien bis in den Libanon errichtet. Daher spielt Syrien in der iranischen Nahostpolitik auch eine enorm wichtige und strategische Rolle.
Irans Außenminister Abbas Araghtschi wird laut Nachrichtenagentur Isna am Sonntag Damaskus besuchen, um mit seinem syrischen Amtskollegen die Lage in Aleppo zu besprechen. Danach fliegt der iranische Chefdiplomat weiter nach Ankara. Auch dort steht der syrische Bürgerkrieg auf der Agenda.
Aktivisten: Rebellen rücken weiter in Orte in Westsyrien vor
ALEPPO: Islamistische Rebellen erobern in Zuge ihrer überraschenden Offensive immer mehr Gebiete in Syrien. Ein Beobachter spricht bereits von einem «absoluten Kollaps».
Oppositionelle Rebellen in Syrien haben nach Angaben von Aktivisten mindestens elf Orte in der Provinz Hama im Westen des Landes erobert. Syrische Regierungstruppen seien gesehen worden, wie sie die Gegend verlassen hätten, sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der Deutschen Presse-Agentur. Das syrische Verteidigungsministerium wies Berichte zurück, wonach die syrische Armee die Gegend verlassen hätte.
Der Syrien-Experte Charles Lister schrieb auf X, es erscheine gut möglich, dass die Oppositionskräfte innerhalb der nächsten 24 Stunden einen Großteil der Provinzen Hama und Aleppo einnehmen könnten. Er bezeichnete die aktuellen Entwicklungen als ein «Erdbeben» in den 14 Jahren des syrischen Bürgerkriegs. Syriens Machthaber Baschar al-Assad sehe anfälliger aus als je zuvor. «Ein absoluter Kollaps», schrieb Lister.
Eine Allianz von Aufständischen unter der Führung der Islamistenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hat in dieser Woche bei einer Offensive im Nordwesten des Landes überraschend große Gebietsgewinne verzeichnet. Die Rebellen haben auch fast die gesamte Millionenstadt Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht.
Moskau erörtert Lage in Syrien mit Teheran und Ankara
MOSKAU: Der Vormarsch der Rebellen in Syrien ruft Moskau auf den Plan. Die Türkei und der Iran mischen auch mit.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat mit seinen Kollegen im Iran und der Türkei die aktuelle Lage in Syrien erörtert. Die Minister Abbas Arraghchi (Iran) und Hakan Fidan (Türkei) hätten sich in ihren Gesprächen mit Lawrow besorgt gezeigt über die Eskalation durch das Vordringen der Rebellen in den Provinzen Aleppo und Idlib, berichtete die russische Staatsagentur Tass.
Sie seien sich einig, «dass die gemeinsamen Bemühungen um eine Stabilisierung der Lage in Syrien intensiviert werden müssen». Zudem müsse die Lage im Rahmen des sogenannten Astana-Formats besprochen werden. In einer Mitteilung des russischen Außenministeriums heißt es dazu, dass die territoriale Integrität und Souveränität Syriens «entschlossen unterstützt» werde.
Nach dem militärischen Eingreifen Moskaus im syrischen Bürgerkrieg 2015 begannen trilaterale Gespräche der Schutzmächte Russland, Iran und Türkei, aus denen sich der Astana-Prozess entwickelte - benannt nach dem ersten Treffen in der Hauptstadt Kasachstans. Moskau und Teheran unterstützen Syriens Präsidenten Baschar Baschar Al-Assad, Ankara Teile der Opposition. Die Troika ist in den vergangenen Jahren von militärischen zu politischen Fragen in Syrien übergegangen.