Nach Erdstoß nähert sich ein Sturm

​Mehr als 1200 Toten

Foto: epa/Ralph Tedy Erol
Foto: epa/Ralph Tedy Erol

SAINT-LOUIS-DU-SUD: Das schwere Beben in Haiti hat Hunderte Menschen das Leben gekostet. Helfer versuchen nun im Wettlauf gegen die Zeit, Verschüttete aus den Trümmern zu bergen. Durch ein aufziehendes Unwetter droht sich die Situation in dem Karibikstaat zu verschlimmern.

Inmitten der Rettungseinsätze in Haiti nach dem verheerenden Erdbeben vom Samstag hat sich ein Tropensturm dem Karibikstaat genähert. Das Tiefdruckgebiet «Grace» zog am Montag laut US-Hurrikanzentrum mit anhaltenden Windgeschwindigkeiten von bis zu 55 Kilometern pro Stunde südlich an der Insel Hispaniola entlang - die sich Haiti mit der Dominikanischen Republik teilt. Ab Montagabend (Ortszeit) wurde das Zentrum des Sturms mit schweren Regenfällen an Haitis Südküste erwartet. Dort kamen nach den jüngsten Angaben des haitianischen Zivilschutzes bei dem Beben mindestens 1297 Menschen ums Leben. Es wurde erwartet, dass die Zahl noch steigt.

Der Regen könnte nicht nur die Rettungsarbeiten behindern, sondern noch mehr Leid bei den Überlebenden verursachen. Viele von ihnen verbrachten die Nächte seit dem Beben im Freien vor ihren beschädigten Häusern, mit Decken und den wenigen Möbeln, die sie retten konnten. Das betroffene Gebiet im Süden und Südwesten Haitis um die Städte Les Cayes und Jérémie war mit Trümmern übersäht; überall waren auf Bildern Häuser zu sehen, deren Dächer wie Pappe eingestürzt waren. Bewohner warteten auf Hilfe oder wanderten unter Schock ziellos umher.

Das Beben hatte sich am Samstagmorgen (Ortszeit) rund zwölf Kilometer von der Gemeinde Saint-Louis-du-Sud entfernt in einer Tiefe von rund zehn Kilometern ereignet. Mindestens 13.700 Häuser wurden nach Angaben der Zivilschutzbehörde zerstört und ebenso viele beschädigt. Mehr als 30.000 Familien seien betroffen. «Grace» drohe, die Situation in Gebieten zu verschlimmern, die bereits in großen Schwierigkeiten seien, hieß es von der Behörde. Sie rief die Bevölkerung auf, sich vorzubereiten. Für die vielen Menschen, die alles verloren hatten, gab es allerdings wenig, was sie machen konnten, um sich zu wappnen. Das US-Hurrikanzentrum warnte vor Überschwemmungen und Erdrutschen.

Hilfe aus dem Ausland lief inzwischen an, auch deutsche Organisationen machten Zusagen. Ein Such- und Rettungsteam der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID) mit 65 Menschen, 4 Hunden und rund 24.000 Kilogramm Ausrüstung erreichte den Karibikstaat in der Nacht zum Montag. Es wurde nach Menschen in den Trümmern gesucht, die medizinische Versorgung der verletzten Überlebenden wurde organisiert, Straßen nach Erdrutschen mit Baggern wieder passierbar gemacht.

Nach Angaben von Caritas International werden vor allem Nahrung, Trinkwasser, Zelte und medizinische Erstversorgung benötigt. Die Lage vor Ort sei weiterhin chaotisch, das Ausmaß der Katastrophe noch nicht absehbar, teilte die Organisation am Montag mit.

Das neue Desaster erwischte ein Land, das auch nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 mit mehr als 220.000 Toten denkbar schlecht auf ein solches Ereignis vorbereitet war. Es gebe kaum Möglichkeiten zur medizinischen Versorgung der Verletzten, teilte Barbara Küpper mit, Länderreferentin für Haiti bei der Organisation Misereor. Die Situation in den Krankenhäusern und Gesundheitsstationen sei «aufgrund der katastrophalen sozialen und politischen Lage bereits vor dem Erdbeben völlig unzureichend» gewesen.

Von dem vielen Geld, das nach dem Beben von 2010 für den Wiederaufbau aus dem Ausland zugesagt worden war, sahen durchschnittliche Haitianer nur wenig. Ein großer Teil ging durch Verschwendung und Korruption drauf. Wegen fehlender Mittel und Korruption wurden neue Häuser nicht unbedingt erdbebensicher gebaut.

Das ohnehin schwer unterfinanzierte Gesundheitssystem ist durch die Pandemie - bei der die Infektions- und Totenzahlen zuletzt stark anstiegen - überstrapaziert. Hinzu kommt eine tiefe politische Krise nach der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse durch eine Kommandotruppe in seiner Residenz am 7. Juli. Gewalt durch brutale Banden, die um Kontrolle über Gebiete kämpfen, hat laut UN Tausende Menschen - vor allem in der Hauptstadt Port-au-Prince - in die Flucht getrieben und wegen Straßenblockaden zu Versorgungsengpässen geführt. Letzteres könnte auch Hilfseinsätze nach dem Beben erschweren.

Krankenhäuser waren völlig überlastet. Im Innenhof eines Krankenhauses in Jérémie warteten Verletzte in Zelten auf ihre Behandlung, wie in einem Video in sozialen Netzwerken zu sehen war. Nach dem Erdstoß von 2010 - der mit 7,0 leicht schwächer ausfiel als das neue Beben, dessen Zentrum allerdings näher an der dicht besiedelten Hauptstadt lag - waren aus manchen zunächst temporären Zeltstädten angesichts fehlender Mittel für den Wiederaufbau permanente Siedlungen geworden.

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