Nach dem Führerschein die Reisefreiheit

Riad gibt Frauen neue Rechte

RIAD (dpa) - Das islamisch-konservative Saudi-Arabien öffnet seine Gesellschaft. Die junge Generation bejubelt deswegen Kronprinz Mohammed bin Salman. Doch über den neuen Freiheiten hängt ein dunkler Schatten.

Rund ein Jahr nach dem Ende des umstrittenen Autofahrverbots erhalten Frauen im streng islamisch-konservativen Königreich Saudi-Arabien auch mehr Reisefreiheit. Sie brauchen künftig keine Erlaubnis eines männlichen Vormunds mehr, wenn sie ins Ausland wollen. Ein von König Salman erlassenes Dekret legt fest, dass Frauen ab dem Alter von 21 Jahren das Recht auf einen Pass und Reisefreiheit bekommen, wie das staatliche Kommunikationszentrum am Freitag mitteilte. Sie seien damit den Männern gleichgestellt.

Damit fällt eine der international am heftigsten kritisierten Regelungen, die die Rechte der Frauen in Saudi-Arabien beschneiden. Die Maßnahme gehört zu einer Reihe von Schritten, mit denen Riad die Gesellschaft liberalisiert. Gleichzeitig geht die saudische Führung jedoch mit harter Hand gegen Menschenrechtler und Kritiker vor.

Nutzer sozialer Medien feierten die Reformmaßnahme. «Endlich, Glückwunsch an alle Frauen», hieß es in einem Eintrag auf Twitter. Gelobt wurde insbesondere der 33 Jahre alte Kronprinz Mohammed bin Salman, der eigentlich starke Mann des Königreichs. Er gilt als derjenige, der die gesellschaftliche Öffnung vorantreibt.

Die saudische Botschafterin in den USA, Rima Bandar Al Saud, erklärte, die neuen Regularien seien «Geschichte in der Entstehung». Auf Twitter schrieb sie: «Unsere Regierung hat ihren eindeutigen Einsatz für die Gleichberechtigung der Geschlechter bewiesen.»

Menschenrechtsorganisationen reagierten hingegen zunächst zurückhaltend. «Wir begrüßen diesen Schritt natürlich», sagte die Expertin für die Golfstaaten von Amnesty International in Deutschland, Regina Spöttl. «Aber er muss auch umgesetzt werden.» Nach Angaben der saudischen Regierung soll die neue Reisefreiheit Ende August in Kraft treten. Die Nahostdirektorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Sarah Leah Whitson, erinnerte auf Twitter daran, dass Frauen weiter die Zustimmung eines männlichen Vormunds bräuchten, wenn sie heiraten wollten.

Kronprinz Mohammed bin Salman, oft auch kurz «MbS» genannt, gilt nicht nur als künftiger König, sondern auch als eine der umstrittensten Führungsfiguren der Region. Vor allem junge Saudis gehören zu seinen Anhängern, weil er ihnen mehr Freiheiten verschafft. Seit dem vergangenen Jahr dürfen Frauen in Saudi-Arabien endlich Auto fahren, was ihnen bis dahin verboten war. Kinos und Konzerte sind ebenfalls wieder erlaubt. Mittlerweile treten internationale Stars im Königreich auf. Frauen durften im vergangenen Jahr auch erstmals ein öffentliches Fußballspiel besuchen.

Auch auf dem Arbeitsmarkt sollen sie stärker Fuß fassen. MbS will zudem die Wirtschaft reformieren, um ihre Abhängigkeit vom Öl zu verringern, das irgendwann versiegen wird. Die Reformen sind dringend notwendig, sollen die jungen Generationen eine Perspektive haben. Immerhin sind mehr als 40 Prozent der Saudis unter 25.

Im ultrakonservativen Saudi-Arabien gilt mit dem Wahhabismus eine der striktesten Lesarten des Islams. Zahlreiche Regelungen beschneiden die Rechte der Frauen. Sie unterliegen etwa strengen Kleidungsvorschriften: So ist in der Öffentlichkeit ein langes Gewand, die Abaja, generell ebenso Pflicht wie ein Kopftuch.

Die Reisebeschränkungen für Frauen waren international besonders scharf kritisiert worden. Vor einigen Monaten sorgte die Flucht der 18-jährigen Rahaf Mohammed al-Kunun für Schlagzeilen. Sie hatte sich während eines Besuchs in Kuwait heimlich von der Familie ins Ausland abgesetzt, wurde jedoch in Thailand festgehalten. Erst eine Twitter-Kampagne konnte ihre Abschiebung in die Heimat verhindern. Kanada gab ihr schließlich Asyl. Menschenrechtler kritisierten damals, der Fall zeige, dass saudische Frauen «von der Geburt bis zu ihrem Tod» von ihrem männlichen Vormund kontrolliert würden.

Die gesellschaftlichen Reformen gehen jedoch einher mit einer harten Hand der Führung in Riad gegen Menschenrechtler und Kritiker - die dunkle Seite des Wandels in Saudi-Arabien. Im Frühjahr vergangenen Jahres ließ das Königreich etwa 17 Frauenrechtler festnehmen. Gegen mehrere begann in diesem März unter dubiosen Vorwürfen ein Prozess. Amnesty-Expertin Spöttl fordert deren unverzügliche Freilassung. Sie hätten sich für die neuen Freiheiten der Frauen eingesetzt. Die Botschaft Riads ist jedoch klar: Gesellschaftliche Reformen ja - aber darüber will allein das Königshaus entschieden. Kritiker werden mundtot gemacht. Oder sogar umgebracht, wenn sie zu laut werden.

So wie der Journalist Jamal Khashoggi, den ein aus Riad angereistes Spezialkommando im vergangenen Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul brutal ermordete. Wer den Befehl dafür gab, ist unklar. Doch die Spuren führen in das direkte Umfeld des Kronprinzen. Ein Expertenbericht an den UN-Menschenrechtsrat sieht etwa «glaubhafte Hinweise» auf eine persönliche Verantwortung des Thronfolgers. Saudi-Arabien aber weist jede Schuld des Kronprinzen zurück.

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