Nach Anschlag auf iranischen Atomphysiker Sorge um Frieden

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TEHERAN/WASHINGTON: Der Mordanschlag auf einen iranischen Atomwissenschaftler weckt Erinnerungen an die Tötung eines iranischen Generals durch die USA im Januar. Damals drohte eine militärische Konfrontation am Golf. Spekulationen über die Hintergründe schießen ins Kraut.

Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat den USA und Israel vorgeworfen, hinter der Ermordung des Kernphysikers Mohsen Fachrisadeh zu stehen. In Teheran wie in US-Medien wird spekuliert, US-Präsident Donald Trump und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wollten mit dem Anschlag eine Entspannung im amerikanisch-iranischen Verhältnis nach einem Machtwechsel im Weißen Haus erschweren. Beide reagierten darauf zunächst nicht. Einen klaren Beleg für die Täterschaft gibt es nicht.

Fachrisadeh war am Freitag in Ab-Sard bei Teheran in seinem Auto angeschossen und tödlich verletzt worden. Der Kernphysiker war Mitglied der Revolutionsgarden und Experte für die Herstellung von Raketen gewesen. Zuletzt leitete er die Forschungsabteilung im Verteidigungsministerium.

«Erneut sorgten der Imperialismus und sein zionistischer Söldner für ein Blutvergießen und den Tod eines iranischen Wissenschaftlers», sagte Ruhani am Samstag im Fernsehen. Der «Terroranschlag» auf Fachrisadeh zeige die Angst der Feinde Teherans vor dem technologischen Fortschritt der Islamischen Republik. Das Land werde sich jedoch auf seinem Weg nicht aufhalten lassen.

Die «New York Times» (Samstag) berichtete, ein US-Vertreter und zwei Geheimdienstmitarbeiter hätten erklärt, dass Israel hinter dem Attentat stehe. Es sei unklar, ob die US-Regierung vorher informiert gewesen sei, doch beide Staaten seien engste Verbündete. In US-Medien gab es Berichte, wonach ein US-Marineverband um den Flugzeugträger «Nimitz» in den Persischen Golf verlegt worden sei, was mit dem Truppenteilabzug aus Afghanistan begründet wurde.

International war die Reaktion auf den Mordanschlag verhalten. Namentlich die Türkei kam der Aufforderung des Irans auf, die Bluttat zu verurteilen. Das Außenministerium in Ankara sprach von einem «abscheulichen Mord»; man hoffe, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen würden, und appelliere an alle, jede Eskalation zu vermeiden. UN-Generalsekretär António Guterres und das Bundesaußenministerium beließen es bei einer Mahnung zur Zurückhaltung.

Irans UN-Botschafter Madschid Tacht erinnerte in einem Schreiben an Guterres daran, dass in den vergangenen Jahren mehrfach iranische Wissenschaftler bei Anschlägen getötet worden seien. Im Sommer hatte zudem eine Brand- und Explosionsserie Infrastruktur- und Atomanlagen im Iran beschädigt. In der Nacht zum 3. Januar 2020 war der Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden, General Ghassem Soleimani, während eines Irakbesuchs bei einem US-Raketenangriff getötet worden. Dies hatte beide Staaten an den Rand eines Krieges geführt.

Für die iranische Führung ist klar, dass Israel hinter dem neuen Anschlag steckt, weil Fachrisadeh schon seit Jahren auf der schwarzen Liste Israels gestanden habe. Außerdem profitiere nur der Erzfeind Israel vom Tod des Atomphysikers.

Netanjahu hatte im April 2018 bei einer Pressekonferenz Bilder aus einem «geheimen Atomarchiv» in Teheran gezeigt, die beweisen sollten, dass der Iran am Bau einer Atombombe festhalte. Netanjahu hatte dabei Fachrisadeh als Chef eines früheren geheimen Atomwaffenprogramms Amad genannt. «Merken Sie sich den Namen, Fachrisadeh», sagte Netanjahu damals. Der Iran habe Amad zwar unter internationalem Druck beenden müssen, aber «seine nuklearen Ambitionen nicht aufgegeben». Die Arbeit werde unter Fachrisadehs Führung heimlich fortgesetzt. Dies bedroht nach Netanjahus Lesart Israels Existenz.

Der iranische Atomchef Ali-Akbar Salehi versicherte am Samstag, Fachrisadehs Ermordung werde den Fortschritt des iranischen zivilen Atomprogramms weder aufhalten noch beeinträchtigen. Fachrisadehs Weg werde nur noch intensiver fortgesetzt.

Der Zeitpunkt des Attentats in der Endphase der Regierung Trumps nährt Spekulationen, der Vorfall solle auch Trumps Nachfolger Biden politisch binden. «Das war nicht nur ein Anschlag auf den Professor, sondern auf die bevorstehenden diplomatischen Bemühungen beider Länder nach der Amtsübernahme von Joe Biden», twitterte der Teheraner Politologe Mohsen Milani. Ähnlich sieht es die prominente iranische Journalistin Sahra Asghari. «Der Anschlag war der Preis, den der Iran für Trumps Wahlniederlage bezahlen musste.»

Der iranische Regierungssprecher Ali Rabiei deutete am Sonntag an, das Teheran keine Eskalation in dem Konflikt will. Der Iran dürfe diplomatische Bestrebungen nicht wegen des Anschlags opfern. «In diese Falle sollten wir definitiv nicht tappen», sagte Rabiei. Auch während der Atomverhandlungen mit Deutschland und den UN-Vetomächten zwischen 2005 und 2015 habe es Anschläge auf iranische Kernphysiker gegeben. Dennoch seien die Verhandlungen fortgesetzt worden, sagte Rabiei dem Nachrichtenportal Alef.

Trump hatte das damals vereinbarte Abkommen, das den Iran am Bau einer Atombombe hindern soll, 2018 einseitig aufgekündigt. Er versucht seitdem, den Iran mit harten Sanktionen gegen Schlüsselindustrien wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Seit Ablauf einer Frist von einem Jahr, in der Teheran die europäischen Vertragspartner vergeblich zur Einhaltung des Atomdeals drängte, steigt der Iran ebenfalls progressiv aus dem Abkommen aus.

Der Iran hofft, dass die USA unter Biden zur Vereinbarung zurückkehren. Die sunnitisch-arabischen Monarchien am Persischen Golf drängen Biden jedoch, sich davor mit ihnen abzustimmen und auch die iranische konventionelle Rüstung und Militärpolitik in eine Vereinbarung einzubeziehen.

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