Moskauer Schauspieler Ustinow frei

Putins Machtapparat blamiert

Nach massivem Protest in Russland kommt der eben noch zu Straflager verurteilte Schauspieler Ustinow wieder frei. Es ist schon der zweite Fall binnen kurzer Zeit, bei dem Putins Machtapparat unter dem öffentlichen Druck einknickt. Gibt es Anzeichen einer Wende?

Moskau (dpa) – Der erst vor wenigen Tagen zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilte Moskauer Schauspieler Pawel Ustinow kommt nach beispiellosem Protest wieder auf freien Fuß. Freigesprochen ist der 23-jährige Serien- und Filmheld nach sieben Wochen in Untersuchungshaft damit zwar noch nicht. Aber für die russische Zivilgesellschaft, die dem Kreml zuletzt mit Protesten und offenen Briefen einheizte, ist das ein weiterer großer Sieg. Erst im Sommer musste der Machtapparat von Kremlchef Wladimir Putin den Enthüllungsjournalisten Iwan Golunow laufen lassen – ihm hatte die Polizei Drogen untergeschoben, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen.

Wie im Fall Golunow ist der immer wieder wegen Willkür kritisierte Polizei- und Justizapparat in Russland auch diesmal in Erklärungsnot. Immerhin ist es in Russland äußerst selten, dass jemand, der einmal in die Mühlen der Justiz gerät, so rasch wieder auf freien Fuß kommt. Doch Kremlsprecher Dmitri Peskow will darin nichts Ungewöhnliches sehen – und schon gar nicht eine Vertrauenskrise in das System an sich, wie er in den vergangenen Tagen mehrfach sagte.

Eine Erklärung hatte er aber auch nicht auf die Frage, wie die Staatsanwaltschaft für Ustinow eben noch sechs Jahre Straflager fordern konnte und am Freitag auf einmal keinen Grund mehr sah, ihn überhaupt noch zu inhaftieren. Für den Kreml gilt es als undenkbar, dass er einräumt, dass der öffentliche Druck zu groß geworden ist.

Ansonsten eisern systemtreue Kräfte wie Priester und Showstars und sogar Teile der Kremlpartei Geeintes Russland hatten sich entsetzt gezeigt angesichts des Vorgehens gegen Ustinow. Ein Video zeigt, wie der Mann am 3. August am Tag von nicht erlaubten Oppositionsprotesten auf der Straße telefoniert - plötzlich packen ihn Polizisten und werfen ihn zu Boden. Ein Polizist prügelt dann mit dem Schlagstock auf den wehrlosen Mann ein. Die im Internet verbreiteten Aufnahmen lösten breites Entsetzen aus.

Dagegen hatte ein Polizist vor Gericht ausgesagt, Ustinow habe ihm die Schulter ausgekugelt. Der Uniformierte erhielt eine Beförderung, Ustinow am Montag dreieinhalb Jahre Straflager. Er beteuerte, er sei kein Teilnehmer von Protesten gewesen.

Polizei und Justiz stehen seit Wochen in der Kritik, mit überzogener Härte gegen Teilnehmer der Demonstrationen vorzugehen. Bei den Protesten gegen den Ausschluss Dutzender prominenter Oppositioneller von der Stadtratswahl am 8. September hatte es Tausende Festnahmen gegeben. Mehrere Teilnehmer wurden zu Haft im Straflager verurteilt.

«Das Gerichtssystem hat einmal mehr seine völlige Inkompetenz und berufliche Untauglichkeit demonstriert», sagte der Vize-Chef des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten, Jewgeni Bobrow, der Agentur Interfax zufolge. Erst die gesellschaftliche Resonanz habe zu einer Korrektur des Urteils geführt.

Die russische Opposition hatte zuletzt immer wieder erklärt, dass die inszenierten Gerichtsverfahren mit harten Urteilen in Moskau als Schauprozesse fungieren sollten, um die Menschen einzuschüchtern. Doch die Denkfabrik Carnegie in Moskau etwa stellte fest, dass sich vor allem junge Menschen inzwischen nicht mehr abschrecken ließen von der Kreml-Politik.

Seit Tagen machen sich prominente Moskauer lustig über die Frage, ob in der Nationalgarde Putins vielleicht keine echten Männer mehr, sondern Memmen dienten. Im Fall Ustinow beklagte sich ein Uniformierter über Schulterschmerzen. Ein Demonstrant soll einen Polizisten mit einer leeren Plastikflasche beworfen haben. Auch ihm droht Straflager. Auf der anderen Seite steht die sichtbare und international kritisierte Polizeigewalt der Uniformierten gegen friedliche Demonstranten: ein Mann erlitt einen Beinbruch; eine Frau einen Fausthieb in die Magengrube.

Ob sich nun etwas ändern könnte in Russland, es in Putins Machtapparat gar bröckelt, wird seit Tagen diskutiert – vor allem, weil sich ansonsten loyale Gruppen massiv zu Wort melden. An die 20 offenen Briefe hat die Zeitung «Wedomosti» gezählt – eine nie dagewesene Solidarität für die «Opfer des Sicherheitsapparats». Das Blatt meinte aber auch, dass der «Salto» erst bei dem Reporter Golunow und nun der zweite bei Ustinow wohl nur ein «konjunktureller Humanismus» sei.

Dass die Schuldigen für diese Justizpannen bestraft würden, fordere bisher noch keine einflussreiche Kraft, meinte die Zeitung. Zumindest aber die Opposition hat angekündigt, ihren Kampf für die Freilassung weiterer Inhaftierter fortzusetzen. Ustinow will bei einer Berufungsverhandlung am 26. September um einen Freispruch kämpfen. Und am 29. September ist die nächste große Massendemonstration in Moskau angesetzt: für die Freilassung politischer Gefangener.

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