13 Jahre Suche nach Maddie: Steht der Fall vor der Aufklärung?

LONDON/PRAIA DA LUZ: Wer hat das kleine britische Mädchen Maddie aus einer Ferienanlage geholt und dann wohl umgebracht? Deutsche Ermittler glauben, den Täter gefunden zu haben. Doch am Ziel sind sie noch lange nicht.

Es sollte ein Traumurlaub an der Algarve werden und endete in einem Alptraum: Maddie, die vor 13 Jahren spurlos aus einer Ferienanlage in Portugal verschwand, ist deutschen Ermittlern zufolge nicht mehr am Leben. Polizisten aus verschiedenen Ländern versuchten, den mysteriösen Fall um das kleine britische Mädchen jahrelang zu lösen - vergeblich. Nun könnte er vor der Aufklärung stehen: Der Täter soll ein Deutscher sein, der jahrelang in Portugal lebte und in Kiel hinter Gittern sitzt. Viele Spuren deuten darauf hin. Aber: Es gibt keine Zeugen und keine Leiche.

«Wir werden niemals die Hoffnung aufgeben, Madeleine lebend zu finden, aber was auch immer herauskommen sollte, wir müssen es wissen, weil wir Frieden finden müssen», teilten die Eltern mit. «Alles, was wir je wollten, ist sie zu finden, die Wahrheit ans Licht zu bringen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.» Kate und Gerry McCann halten ihrem Sprecher zufolge die jüngsten Ergebnisse für die womöglich «wichtigste Entwicklung in 13 Jahren».

Der 43-jährige Verdächtige ist mehrfach wegen Sexualstraftaten auch an Kindern vorbestraft. Er lebte im Zeitraum des Verschwindens an der portugiesischen Algarve. Telefonate, Bewegungsmuster, kriminelle Vergangenheit: Einiges deutet darauf hin, dass er der lange gesuchte Täter sein könnte. Die Ermittler setzen nun auf weitere Hinweisen aus der Bevölkerung. Der britischen Polizei zufolge soll er etwa 1,80 Meter groß sein und zur Tatzeit kurze, blonde Haare gehabt haben.

Wer den Verdächtigen kennt, beschreibt ihn als merkwürdigen Typen. «Er war immer ein bisschen wütend, ist die Straße schnell hoch und runter gefahren und eines Tages, so um 2006, verschwand er ohne ein Wort», berichtete eine Ex-Nachbarin aus Portugal dem britischen Sender Sky News. Sie half demnach beim Aufräumen der verlassenen Unterkunft. «Es war eklig.» Überall hätten kaputte Sachen wie Computer herumgelegen. In einem Müllbeutel seien Perücken und seltsame Kleidungsstücke - vielleicht für Kostümierungen - gewesen. Auch danach soll der Mann noch in der Region gelebt haben.

Maddie verschwand kurz vor ihrem vierten Geburtstag am 3. Mai 2007 aus der Appartementanlage im portugiesischen Praia da Luz. Zeitweise waren die Eltern sogar selbst ins Visier der Ermittler geraten. Medien berichteten damals, die Polizei gehe von einem Unglücksfall aus - die Eltern hätten die Leiche verschwinden lassen.

Mutter und Vater McCann hatten in einem Restaurant mit Bekannten gegessen, das ganz in der Nähe ihrer Unterkunft lag. Regelmäßig hatten sie nach Maddie und ihren beiden Geschwistern geschaut - bis die Mutter plötzlich entsetzt feststellte: Maddies Bett war leer. Vermutlich konnte der Täter durch die offene Terrassentür eindringen.

In Portugal wurden die Nachrichten aus Deutschland mit Hoffnung auf eine baldige Aufklärung des Falles, aber auch mit viel Skepsis aufgenommen. «Ohne die Leiche der kleinen Maddie und ohne Geständnis wird es wahrscheinlich sehr schwer sein, in einem Prozess die nötigen Beweise zu erbringen», sagte die erfahrene Anwältin Sofía Matos im portugiesischen Fernsehen. Zum Zeitpunkt des Verschwindens von Maddie hätten sich schließlich «zahlreiche andere Menschen verschiedener Nationalitäten in Nähe des Tatorts aufgehalten».

Ähnlich sieht die Lage der angesehene Justizexperte des portugiesischen Nachrichtensenders «TVI24», Henrique Machado. «Motiv und Gelegenheit reichen für eine Anklage nicht aus, es müssen andere Beweise her.» Nach Informationen von Machado, die auf Quellen der portugiesischen Kriminalpolizei basieren, wird der Verdächtige eher nicht viel verraten. «Dieser Mann wird kaum gestehen, denke ich.»

Die neuen Ermittlungsergebnisse reißen in Portugal alte Wunden wieder auf. Viele erinnern sich daran wie damals in der Region an der Algarve der lebenswichtige Tourismus nach dem Verschwinden des Mädchens vier, fünf Jahre lang praktisch völlig zum Erliegen kam.

Die Portugiesen halten den Behörden vor, dass um ihre eigenen verschwundenen Kinder nicht so viel Aufhebens gemacht wird. Erinnerungen an Rui Pedro werden wach. Der Junge wurde 1988 im Alter von elf Jahren von einem internationalen Kinderhändlerring verschleppt. 15 Jahre später identifizierte die Mutter ihn auf dem Portal eines Kinderpornografieringes. Hilfe aus dem Ausland blieb aber aus. Rui Pedro ist bis heute verschwunden. Es gebe «Opfer erster und Opfer zweiter Klasse», schrieben Medien in Portugal und Spanien.

Der Verdächtige im Fall Maddie lebte in Portugal mehrere Jahre von Gelegenheitsjobs, aber er beging auch Diebstähle in Hotelanlagen. An der Algarve soll er eine 72-jährige US-Amerikanerin vergewaltigt haben. Auch Drogendelikte sind bekannt.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist der Auffassung, dass Maddie, die eigentlich Madeleine heißt, tot ist. Woher weiß sie das eigentlich? Spekuliert wird, dass wesentliche Informationen vielleicht zurückgehalten werden. Britische Behörden gehen von einem Vermisstenfall aus.

Kaum auszudenken, welches Leiden Maddies Eltern in den vergangenen Jahren durchgemacht haben müssen. Öffentliche Stellungnahmen möchten sie vorerst nicht mehr abgeben. «Sie wollen, dass sich nun alles auf die Ermittlungen konzentriert», sagte ihr Sprecher Clarence Mitchell der Deutschen Presse-Agentur in London.


Zahlen und Fakten rund um den Fall Maddie

WIESBADEN/BRAUNSCHWEIG: Mehr als zehn Jahre nach dem Verschwinden der kleinen Maddie aus einem Ferienort in Portugal gibt es einen Verdächtigen. Viele Fragen sind noch offen - und die Ermittler auf Zeugen angewiesen.

Am 3. Mai 2007 verschwindet die dreijährige Madeleine «Maddie» McCann spurlos aus einer Ferienanlage im portugiesischen Praia da Luz. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen einen 43-jährigen Deutschen. Er steht im Verdacht, die kleine Britin ermordet zu haben.

WAS WIR WISSEN - VERDÄCHTIGER

- Der Verdächtige ist nach Angaben der Ermittler 43 Jahre alt, deutscher Staatsbürger und mehrfach vorbestraft, auch wegen Sexualstraftaten und Kindesmissbrauchs.

- Derzeit sitzt der Mann in einem Gefängnis in Kiel eine alte Haftstrafe aus dem Jahr 2011 ab, bei der es um Drogenhandel geht. Parallel ist wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn Untersuchungshaft angeordnet.

- Der Verdächtige lebte zwischen 1995 und 2007 regelmäßig an der Algarve in Portugal und für einige Jahre in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz. Vor seinem Auslandsaufenthalt hatte er in der Region Braunschweig gewohnt.

- In Portugal ging der Mann Gelegenheitsjobs unter anderem in der Gastronomie nach. Er soll seinen Lebensunterhalt zudem durch Einbruchdiebstähle in Hotels und Ferienwohnungen sowie Drogenhandel finanziert haben.

- Der 43-Jährige wurde bereits mehrmals zu Haftstrafen verurteilt. So verbüßte er unter anderem wegen sexuellen Kindesmissbrauchs eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, aus der er im August 2018 entlassen wurde. Das geht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21. April hervor.

- Im Dezember 2019 verurteilte demnach das Landgericht Braunschweig den Mann wegen Vergewaltigung unter Einbeziehung früherer Strafen zu sieben Jahren Haft. Er soll im Jahr 2005 in Praia da Luz eine 72 Jahre alte US-Amerikanerin in deren Haus überfallen und vergewaltigt haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision liegt noch beim BGH.

- Dem «Spiegel» zufolge weist das Strafregister des Mannes insgesamt 17 Einträge auf. Schon im Oktober 1993 wurde eine zweijährige Jugendstrafe gegen den damals noch Minderjährigen verhängt - auch damals ging es unter anderem um Kindesmissbrauch, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht.

WAS WIR WISSEN - ERMITTLUNGEN UND HINWEISE

- Auf die Spur des Verdächtigen sind die Ermittler nach eigenen Angaben 2013 gekommen, durch einen Hinweis nach einer Sendung von «Aktenzeichen XY... ungelöst». Einen weiteren Hinweis gab es 2017. Das habe damals aber nicht für weitere Ermittlungen oder gar eine Festnahme gereicht.

- Am 3. Mai 2007 soll der Verdächtige zu «tatrelevanter» Zeit in Praia da Luz mit dem Handy telefoniert haben.

- Der Verdächtige soll in Portugal zwei auffälligere Autos gefahren haben, einen VW-Bus sowie einen Jaguar.

WAS WIR NICHT WISSEN

- Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hält Madeleine für tot. Das Kind oder seine sterblichen Überreste sind aber bis heute nicht gefunden.

- Unklar ist, wie genau die Tat verübt worden sein soll. Das sei Gegenstand der aktuellen Ermittlungen, sagte ein Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) am Mittwoch bei «Aktenzeichen XY... ungelöst».

- Das Motiv ist demnach ebenfalls unklar. Möglich sei eine sexuelle Motivation oder dass nach einem zunächst geplanten Einbruch spontan auf ein Sexualdelikt umgeschwenkt wurde.

- Warum genau der 43-Jährige mittlerweile unter Mordverdacht steht, ist offen. Die Ermittler haben sich bislang nicht dazu geäußert, welche konkreten Hinweise und Indizien sie haben.

- Ob es in Portugal zwischen 1995 und 2007 zu weiteren Übergriffen gekommen ist, ist unklar. «Wir schließen nicht aus, dass es weitere Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen gibt», so der BKA-Ermittler.

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