Mögliche Kandidaten für Wahl zu Haft verurteilt

Tunesischer Präsident Kais Saied in Peking. Foto: epa/Tingshu Wang
Tunesischer Präsident Kais Saied in Peking. Foto: epa/Tingshu Wang

TUNIS: Präsident Saied hat in Tunesien immer mehr Macht an sich gezogen. Nun kommen mehrere mögliche Konkurrenten in Haft. Die Aussichten für eine freie Wahl im Oktober werden immer düsterer.

Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl in Tunesien sind sechs mögliche Herausforderer von Staatschef Kais Saied zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Abir Moussi, eine prominente und bereits inhaftierte Kritikerin Saieds, wurde laut einem Bericht der Staatsagentur TAP zu zwei Jahren Haft verurteilt. Ihre Verteidiger hatten am Wochenende ihre Papiere für die Präsidentschaftskandidatur eingereicht. Das zuständige Gericht verurteilte sie wegen Vorwürfen, die Wahlbehörde beleidigt zu haben.

Fünf weitere mögliche Kandidaten wurden zudem zu jeweils acht Monaten Haft verurteilt. Sie erhielten ein lebenslanges Verbot, sich für öffentliche Ämter zu bewerben. Darunter sind der bekannte Politiker Abdellatif al-Mekki, zuvor Mitglied der islamistischen Ennahda-Partei, und der Radio- und Fernsehmoderator Nizar Chaari. Tunesischen Berichten zufolge wird ihnen vorgeworfen, Stimmen erkauft zu haben, während sie Unterstützer für ihre Kandidatur versammelten.

«Habt keine Angst», sagte Chaari seinen Unterstützern in einem Facebook-Video. «Das Land braucht uns alle. Staaten werden niemals durch Angst, Einschüchterung und Vorwürfe des Landesverrats aufgebaut.»

Tunesische Liga für Menschenrechte: Die Urteile sind «sehr gefährlich»

Der Vorsitzende der Tunesischen Liga für Menschenrechte, Bassam Trifi, bezeichnete die Urteile dagegen als «sehr gefährlich». Ein lebenslanges Verbot für eine Bewerbung um öffentliche Ämter sei ein Novum. «Die Behörden haben die Kontrolle der Justiz übernommen, um politische Gegner ins Visier zu nehmen.» In solch einem Klima seien keine freien und fairen Wahlen möglich.

Der frühere EU-Botschafter in Tunesien, Marc Pierini, sprach von «sehr traurigen Entwicklungen». Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit werde «durch den amtierenden Präsidenten weiterhin stetig abgebaut», schrieb Pierini auf der Plattform X.

Die Präsidentschaftswahl in Tunesien ist für den 6. Oktober angesetzt. Saied ist seit Ende 2019 im Amt und hat seine Bewerbung für eine erneute Kandidatur eingereicht. Er hat seine Macht seitdem deutlich ausgebaut, unter anderem durch eine umstrittene neue Verfassung. Prominente Kritiker, Anwälte und Journalisten wurden festgenommen. Zuvor galt Tunesien als das einzige Land, das nach den Aufständen in der arabischen Welt ab 2011 den Übergang zur Demokratie machte.

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Jörg Obermeier 07.08.24 20:30
Norbert Mayer 07.08.24 18:10
Da haben Sie völlig recht! Aber soweit in die Ferne muss man da gar nicht schauen.
Norbert Mayer 07.08.24 18:10
Der "arabische Frühling" ist erledigt
Wie krass und demokratieverachtend ist diese Entwicklung - und das ausgerechnet in dem einzigen Land, in dem es so aussah, als ob der "arabische Frühling" eine Chance zu haben schien. Damit ist es unter den jetzigen Umständen endgültig vorbei. Welch ein Trauerspiel.