Mit Eimern gegen das Inferno

Foto: epa/Antonio Cotrim
Foto: epa/Antonio Cotrim

PEDRÓGÃO GRANDE (dpa) - Rauchwolken und grauschwarzer Ascheregen verdecken am Montag in weiten Teilen von Pedrógão Grande immer noch die Sicht. Das verheerende Ausmaß der Tragödie kommt in der bergigen und abgeschiedenen Waldregion im Zentrum von Portugal rund 48 Stunden nach Ausbruch eines verheerenden Brandes trotzdem immer deutlicher ans Licht. Mindestens vier kleine Kinder sind unter den bisher gezählten 63 Toten - von denen die meisten bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind und zunächst noch nicht identifiziert werden konnten.

Kinder wie die erst dreijährige Bianca, die im Auto auf dem Schoss ihrer Oma und neben ihrer am Steuer sitzenden Mutter starb. Sie ließen ihr Leben auf der Landstraße 326, nun «Todesstraße» genannt, weil es hier auf einer relativ kurzen Strecke mindestens 30 Todesopfer gab - darunter ganze Familien. Nach Angaben von Experten starben die meisten hier an Rauchvergiftungen, bevor sie vom Feuer erfasst wurden.

Auch der vierjährige Rodrigo kam im Waldbrand ums Leben. Er war aus Lissabon gekommen, um das Wochenende bei seinem Onkel zu verbringen. Beide starben, als ihr Wagen von einer einstürzenden Pinie gestoppt und dann von Flammen eingekesselt wurde. Der Junge, dessen Eltern im afrikanischen São Tomé und Príncipe sind, hatte als vermisst gegolten. Die Oma war deshalb aus der rund 200 Kilometer südwestlich von Pedrógão gelegenen Hauptstadt allein zum Unglücksort gereist, um bei der Suche zu helfen.

Die Frau hatte noch am Sonntag die Hoffnung, Rodrigo lebendig zu finden. Dann erfuhr sie vor laufenden Kameras vom Schicksal des Kleinen - dem ersten identifizierten Opfer. «Helft mir, helft mir», stammelte die Frau weinend vor den Journalisten.

Das portugiesische Fernsehen zeigt immer mehr solcher Szenen - schrecklich, herzzerreißend. Alte Menschen, die zusammenbrechen, weil sie ihr ganzes Hab und Gut verloren haben. Die das Erlebte, das Gesehene immer noch nicht fassen können. «Das war wie das Ende der Welt», sagte eine Rentnerin noch am ganzen Körper zitternd im TV. Die 16-jährige Jacinta Pires, die zu rund 150 Bewohnern von evakuierten Dörfern gehört, räumt gegenüber dem Nachrichtensender TVI24 ein: «Ich möchte nicht nach Hause zurück. Ich könnte nie einschlafen in der Befürchtung, dass das wieder passieren kann.»

Es sind aber auch fast surrealistisch anmutende Bilder zu sehen. Frauen und Männer, die allein oder in kleinen Gruppen mit winzigen Eimern Wasser versuchen, das Inferno - die breit und hoch lodernden Flammen - zu bekämpfen. «Wir haben hier keinen einzigen Feuerwehrmann und auch keinen Soldaten gesehen, wir sind auf uns allein gestellt, und nun ist auch das Wasser ausgegangen», sagte eine Frau im Dorf Poesia im Kreis Figueiró dos Vinhos einem Reporter.

Die Titelseiten der Montagszeitungen drücken die Verzweiflung mit Blick auf das von einem Blitzschlag auf einem Baum ausgelöste Feuer aus. «Warum?», fragt die Zeitung «Público» unter einem Bild eines verkohlten Autowracks. «Trauer» lautet die Schlagzeilen des Massenblatts «Correio da Manha». Auf einer schwarzen Titelseite stellt «I» fest: «Portugal weint». Und «Jornal de Notícias» fragt sich, wie so viele Menschen: «Wie war das nur möglich?»

Waldbrände sind in Portugal im Sommer zwar seit jeher trauriger Alltag. Zwischen 2010 und 2015 wurden dadurch im Schnitt 127.000 Hektar Land pro Jahr zerstört. Eine Katastrophe mit so vielen Toten hatte es seit Beginn der Aufzeichnungen aber nie gegeben. Das Feuer mit den meinsten Todesopfern hatte es 1966 in Sintra bei Lissabon gegeben. Damals starben keine Zivilisten, sondern 25 Militärs bei der Bekämpfung der Flammen. Also: «Wie war das nur möglich?»

Experten versuchen, eine Antwort zu geben. Sicher, diesmal seien viele Faktoren zusammengekommen. Extreme Trockenheit, Temperaturen von bis zu 40 Grad, starke, wechselnde Winde. Aber auch die Behörden werden an den Pranger gestellt. «Público» erinnert daran, dass die Waldbehörde mit ihren erfahrenen Rangern vor einigen Jahren von der konservativen Regierung abgeschafft wurde - im Rahmen der Kürzungen zur Bekämpfung der Finanzkrise und des Etatdefizits. Und dass ein Drittel ehemaligen Agrarbodens in Portugal wegen Landflucht verlassen und vernachlässigt und damit guter Nährboden für Brände sei.

Forstwissenschaftler Paulo Fernandes nimmt unterdessen auch den Zivilschutz ins Visier: «Alles deutet daraufhin, dass es Fehler gab. Zumindest hätten die Straßen (nach Bekanntgabe eines aufziehenden sogenannten Trockengewitters mit vielen Blitzen) rechtzeitig gesperrt werden müssen», klagte er. Präsident Marcelo de Sousa bat darum, mit den Spekulationen über das Ausmaß der Tragödie zu warten, bis die Flammen gelöscht sind. Er beteuert: «Man hat alles Mögliche getan.»

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