Ministertreffen ohne Erfolg

​Ukraine-Krieg geht unvermindert weiter

Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Ukraine, Dmytro Kuleba, spricht in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Foto: epa/Jason Szenes
Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Ukraine, Dmytro Kuleba, spricht in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Foto: epa/Jason Szenes

KIEW/ANTALYA: Keine Waffenruhe, keine Annäherung, kein Ende des Schreckens absehbar: Erstmals seit Kriegsausbruch sprechen die Außenminister Russlands und der Ukraine direkt miteinander - und haben wenig zu berichten. In Deutschland werden die Folgen immer deutlicher spürbar.

Im Ukraine-Krieg ist auch nach einem Schlichtungsversuch auf hochrangiger Ebene kein Weg zum Frieden in Sicht. Ein Treffen des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in der Türkei brachte am Donnerstag keine wesentlichen Fortschritte. Zwei Wochen nach Beginn des russischen Angriffs auf das Nachbarland gelang es nicht, eine zumindest zeitweilige Waffenruhe oder auch nur weitere Fluchtkorridore zu vereinbaren. Das betrifft auch die seit Tagen von russischen Truppen eingeschlossene Hafenstadt Mariupol, wo die Lage nach Angaben der Stadtverwaltung immer dramatischer wird.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron forderten in einem etwa einstündigen Telefonat den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut zu einer sofortigen Waffenruhe auf. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte es wichtig, den Sanktionsdruck auf Moskau zu verstärken. Von einem angeblichen Treffen Putins mit Altkanzler Gerhard Schröder in Moskau habe die Bundesregierung keine Kenntnis, hieß es in Regierungskreisen. Das Portal «Politico» berichtete, für einen Vermittlungsversuch sei Schröder in Moskau. Eine offizielle Bestätigung gab es vorerst nicht. Kanzler Olaf Scholz sagte, «ich möchte das nicht kommentieren». Die Staats- und Regierungschefs der EU kamen am Donnerstag in Versailles bei Paris zu einem zweitägigen informellen Gipfel zusammen.

Putin hatte am 24. Februar den Angriff auf die Ukraine gestartet. Nach UN-Angaben wurden bereits mehr als 500 Zivilisten getötet. Die Ukraine geht von viel höheren Opferzahlen aus, Millionen Menschen sind auf der Flucht. Seit Kriegsbeginn gab es zwar Gespräche von Unterhändlern. Das Außenministertreffen in der Türkei war aber der erste hochrangige Verhandlungsversuch. Die Türkei war Vermittler.

Die Ukraine hatte bei dem Treffen in Antalya klar gemacht, dass sie grundsätzlich über Möglichkeiten für ein Ende des Konflikts reden wolle. Lawrow erklärte anschließend aber, das richtige Forum dafür seien die bereits begonnenen Gespräche in Belarus, dem eng mit Russland verbündeten gemeinsamen Nachbarland. Lawrow warf dem Westen vor, mit Waffenlieferungen an Kiew den Konflikt zu verschärfen.

Kuleba beklagte, Lawrow sei nicht in der Lage gewesen, selbst Fluchtkorridore zu vereinbaren, auch nicht für die besonders schwer leidende Hafenstadt Mariupol. Es sei auch über eine 24 Stunden lange Waffenruhe gesprochen worden, aber: «Wir haben keinen Fortschritt in dieser Frage erzielt. Denn wie es scheint, werden diese Entscheidungen von anderen in Russland getroffen.» Sowohl Lawrow als auch Kuleba zeigten sich grundsätzlich bereit für weitere Gespräche.

Als Bedingung für eine Einstellung der Gefechte fordert Russland, dass sich die Ukraine in ihrer Verfassung für neutral erklärt. Zudem müsse Kiew die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch sowie die Separatistengebiete Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anerkennen. Beide Seiten hatten zuletzt eine gewisse Kompromissbereitschaft angedeutet. Doch betonte Kuleba: «Die Ukraine hat sich nicht ergeben, ergibt sich nicht und wird sich nicht ergeben!» Kiew sei bereit für diplomatische Lösungen.

Auf Mariupol gab es am Donnerstag nach Angaben der Stadt neue Luftangriffe. In der Nähe eines Wohnhauses seien Bomben abgeworfen worden, die Technische Universität nahe dem Zentrum sei getroffen worden. Moskau weist stets zurück, zivile Ziele anzugreifen. Bei einem Angriff auf das Gebäude einer Geburtsklinik in Mariupol am Mittwoch sind nach Angaben der Stadt drei Menschen getötet worden.

Die Ukraine macht Russland dafür verantwortlich. Moskau wies das zurück und sprach von «Falschnachrichten». Selenskyj nannte russische Angaben eine Lüge, wonach dort ultraradikale Kämpfer stationiert gewesen seien. Angaben beider Seiten ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen wiesen Vorwürfe Moskaus zu angeblichen Falschnachrichten zurück: «Das dortige Menschenrechtsteam hat bestätigt und dokumentiert, was sie als wahllosen Luftangriff auf das Krankenhaus bezeichneten, und dass das Krankenhaus zu dieser Zeit Frauen und Kinder versorgte», sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric.

Seit Kriegsbeginn sind nach UN-Angaben 2,3 Millionen Menschen in Nachbarländer geflüchtet, darunter eine Million Kinder. Davon kamen mehr als 1,43 Millionen Menschen allein in Polen an, wie die dortigen Behörden zählten. In Deutschland haben die Behörden fast 100.000 Flüchtlinge registriert. Da keine festen Grenzkontrollen an EU-Binnengrenzen stattfänden, könne die Zahl weit höher sein.

Mit dem Andauern des Krieges wachsen die Spannungen zwischen den EU-Staaten über den weiteren Kurs. Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Versailles bei Paris machten Länder wie Lettland deutlich, dass sie die deutsche Ablehnung eines Stopps von Energieimporten aus Russland für nicht mehr tragbar halten. Zudem lagen die Meinungen darüber auseinander, wie mit dem Antrag der Ukraine auf einen EU-Betritt umgegangen werden soll. Auch hier gehört Deutschland zu den EU-Staaten, die auf der Bremse stehen.

Aus Sicht von Kremlchef Putin werden die westlichen Sanktionen Russland unabhängiger vom Rest der Welt machen. «Sanktionsdruck gab es schon immer, aber jetzt hat er einen komplexen Charakter, er schafft bestimmte Fragen, Probleme und Schwierigkeiten für uns», räumte Putin ein. «Aber so, wie wir diese Schwierigkeiten in den vergangenen Jahren überwunden haben, werden wir sie jetzt überwinden», sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Westlichen Firmen, die Russland wegen des Krieges verlassen, droht eine Verstaatlichung ihres Vermögens in Russland. Die Regierung arbeite an Schritten, um eine Insolvenz der Unternehmen und dann eine Nationalisierung in die Wege zu leiten, sagte der Ex-Präsident und Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew. Die Ölpreise legten erneut zu, die Spritpreise in Deutschland schießen weiter in die Höhe. Nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank dämpft der Krieg die Konjunkturaussichten und heizt die Inflation an.

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