Erdogan feiert mit Baku «Sieg» um Karabach - Proteste

Der Präsident von Aserbaidschan trifft sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Foto: epa/Azerbaijan Presidental Press Of
Der Präsident von Aserbaidschan trifft sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Foto: epa/Azerbaijan Presidental Press Of

BAKU/ERIWAN: Seit einem Monat schweigen die Waffen in Berg-Karabach. Nun feiert Aserbaidschans Präsident Aliyev eine Militärparade mit einem hohen Gast aus dem Ausland. Armenien schlittert unterdessen immer tiefer in die Krise.

Mit einer riesigen Militärparade hat Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev seine Erfolge im Krieg um die Südkaukasusregion Berg-Karabach gefeiert. An seiner Seite: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der extra für die Feierlichkeiten in die Hauptstadt Baku gereist war. Mit Corona-Schutzmasken liefen die Staatschefs am Donnerstag über einen roten Teppich, posierten vor den Flaggen ihrer beiden Länder und winkten ins Publikum. Was auf den Jubelbildern nicht zu sehen war: Der jüngste Krieg hat auch Tausende von Aliyevs Landsleuten das Leben gekostet. Insgesamt starben auf beiden Seiten mehr als 4600 Menschen, die meisten von ihnen Soldaten.

An Pathos und drastischen Worten wurde an diesem Donnerstag in der Metropole am Kaspischen Meer nicht gespart. Erdogan sprach von einem «epischen Kampf» und einem «glorreichen Sieg» - die Türkei gilt als «Bruderstaat» des ebenfalls muslimischen Aserbaidschans. Armenien müsse für die Zerstörung von Städten und historischen Wahrzeichen zur Rechenschaft gezogen werden, sagte er. Sollten armenische Aggressionen anhalten, werde die «eiserne Faust Aserbaidschans» ihnen erneut den Rücken brechen, drohte Aliyev.

Tausende Soldaten marschierten, es rollten Panzer durch die Straßen, von Häuserwänden hingen riesige Flaggen beider Länder. Zur Schau gestellt wurden außerdem türkische Drohnen des Typs Bayraktar: Sie sollen maßgeblich zur militärischen Überlegenheit Aserbaidschans gegen Armenien beigetragen haben.

Der jüngste Krieg zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken um Berg-Karabach hatte am 27. September begonnen und dauerte bis zum 9. November. Aserbaidschan holte sich weite Teile des Anfang der 1990er verlorenen Gebiets zurück. Aliyev spricht deshalb immer wieder von einem aserbaidschanischen «Sieg».

Doch gelöst ist der Karabach-Konflikt noch lange nicht. Die Region steht vor allem vor der gewaltigen Aufgabe, wie christliche Karabach-Armenier und die nach Jahrzehnten in ihre alte Heimat zurückkehrenden muslimischen Aserbaidschaner nun friedlich zusammenleben sollen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte bei einem Besuch in der Region unlängst erklärt, dass es nach Jahrzehnten der Feindschaft vor allem auch auf die ethnische und konfessionelle Aussöhnung ankomme.

Außerdem will Armenien den politischen Status von Berg-Karabach festlegen lassen. Ein solcher künftiger Status könnte etwa ein Autonomie-Gebiet mit weitreichenden Rechten einer Selbstbestimmung sein - eine Forderung, von der Aliyev nichts wissen will. Karabach gehöre zu Aserbaidschan, betont er immer wieder.

Während das politische Baku sich am Donnerstag erst einmal seinem Siegesrausch hingab, spitzte sich die Lage in Armenien weiter zu. Viele Armenier empfinden das vor vier Wochen geschlossene Waffenruhe-Abkommen als Kapitulation, weil es unter anderem eine Rückgabe größerer Gebieten an Aserbaidschan vorsieht. Die Opposition fordert deshalb den Rücktritt von Premierminister Nikol Paschinjan. Bei erneuten Protesten mit Tausenden Teilnehmern in der armenischen Hauptstadt Eriwan wurden Dutzende Menschen festgenommen.

Das christlich geprägte Armenien beruft sich auf Russland als Schutzmacht, das im jüngsten Konflikt vor allem eine vermittelnde Rolle zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken einnahm. Der Politologe Alexander Zipko von der Russischen Akademie der Wissenschaften lobte in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» Russlands Zurückhaltung in dem militärischen Konflikt und die Entsendung von Friedenssoldaten. Er reagierte damit auf Kritiker, die meinten, russische Soldaten hätten an der Seite der Armenier kämpfen sollen. Russlands wichtigste Aufgabe sei es hingegen derzeit, «die Einheit der Völker in der Föderation zu bewahren», schrieb Zipko.

Die rund 2000 russischen Friedenssoldaten in Karabach sollen die Waffenruhe überwachen und die sichere Rückkehr von Geflüchteten sicherstellen. Seit dem Ende der Kämpfe seien mehr als 36.000 Flüchtlinge an ihren ursprünglichen Wohnort zurückgekehrt, teilte das russische Verteidigungsministerium am Donnerstag mit. Am südlichen Stadtrand von Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert räumten russische Kräfte demnach außerdem Minen weg. In den vergangenen Wochen waren in der Region immer wieder Menschen durch Explosionen von Sprengstoff ums Leben gekommen.

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