Militärführung schränkte Trumps Zugriff auf Atomwaffen ein

Der frühere US-Präsident Donald J. Trump. Foto: epa/Cristobal Herrera-ulashkevich
Der frühere US-Präsident Donald J. Trump. Foto: epa/Cristobal Herrera-ulashkevich

WASHINGTON: Wollte der abgewählte Präsident Trump einen militärischen Konflikt nutzen, um sich an der Macht zu halten? Diese Befürchtung trieb offenbar den Generalstabschef um. Auch China war in Sorge. Der General handelte - ein Republikaner spricht von «Militärputsch».

Nach der Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar soll Generalstabschef Mark Milley Medienberichten zufolge geheime Vorkehrungen getroffen haben, um die rechtmäßige Befehlsgewalt des damaligen Präsidenten Donald Trump über Atomwaffen einzuschränken. Das berichteten unter anderem der Sender CNN und die Zeitung «Washington Post» unter Berufung auf ein noch unveröffentlichtes Buch, das sich mit dem Ende von Trumps Amtszeit befasst. Trump beschimpfte Milley in einer Erklärung sofort und sprach von «Verrat». Präsident Joe Biden hingegen sprach Milley sein volles Vertrauen aus.

Der renommierte Investigativjournalist Bob Woodward und ein langjähriger Korrespondent der «Washington Post», Robert Costa, schreiben demnach in «Peril» (Gefahr), Milley sei nach der Erstürmung des Kapitols durch Anhänger Trumps erschüttert gewesen. Er habe daher am 8. Januar ein vertrauliches Treffen mit den zuständigen Kommandeuren einberufen, um sicherzustellen, dass es keinen militärischen Offensivschlag ohne seine Zustimmung geben könne. «Was auch immer Ihnen befohlen wird, Sie folgen dem Ablauf. Sie machen den Vorgang. Und ich bin Teil des Ablaufs», soll Milley den Berichten vom Dienstag zufolge gesagt haben. Danach soll der General alle Beteiligten direkt gefragt haben, ob sie ihn verstanden hätten.

Den Berichten zufolge lag den Autoren des Buchs, das am 21. September veröffentlicht werden soll, auch eine Mitschrift eines Telefonats von Milley und der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, der Demokratin Nancy Pelosi, vor. Pelosi sagte demnach in dem Gespräch vom 8. Januar zu Milley über Trump: «Sie wissen, dass er verrückt ist. Er ist seit langer Zeit verrückt.» Darauf soll Milley, der 2019 von Trump ernannt worden war, erwidert haben: «Ich stimme Ihnen in allen Punkten zu.»

Milley soll dem Buch zufolge befürchtet haben, dass der abgewählte Trump einen militärischen Konflikt anzetteln könnte, um sich an der Macht zu halten. Pelosi, die das dritthöchste Staatsamt bekleidet, hatte nach dem Telefonat im Januar auch eine Pressemitteilung veröffentlicht. Damals erklärte sie, sie habe mit Milley gesprochen, um einen «instabilen Präsidenten» daran zu hindern, «Militärschläge zu beginnen» oder einen «atomaren Angriff» zu befehlen. Der abgewählte Republikaner Trump «könnte nicht gefährlicher sein und wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, die Menschen in Amerika» und die Demokratie zu schützen, so Pelosi damals.

Trotz seiner Niederlage bei der Wahl am 3. November 2020 blieb Trump noch wie von der Verfassung vorgesehen bis 20. Januar US-Präsident und damit auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Militär konnte sich seinen Befehlen also streng genommen nicht offen widersetzen.

Milley, der inzwischen dem demokratischen Präsidenten Joe Biden als oberster Militärberater dient, soll den Berichten über das Buch zufolge in der Zeit auch zwei Gespräche mit seinem chinesischen Gegenüber gehabt haben, um Ängsten der kommunistischen Führung vor einem möglichen US-Angriff vorzubeugen. Milley telefonierte demnach kurz vor der US-Wahl, am 30. Oktober, mit General Li Zuocheng und erneut am 8. Januar. Während des zweiten Anrufs soll Milley dem Chinesen gesagt haben: «Wir sind 100 Prozent beständig. Aber Demokratie kann manchmal schluderig sein.» Den Berichten zufolge soll Milley China auch zugesagt haben, sein Gegenüber Li im Fall eines Angriffs rechtzeitig vorher zu warnen.

Ein Sprecher des Generalstabs erklärte am Mittwoch, Milley habe regelmäßig Gespräche mit seinen internationalen Kollegen, darunter auch jene aus Russland und China. Diese seien wichtig, um Spannungen abzubauen, für Klarheit zu sorgen und «unbeabsichtigte Konsequenzen oder Konflikte» zu verhindern. Auch Treffen mit Kommandeuren der Streitkräfte seien Routine. Das Treffen zum Ablauf beim Einsatz von Atomwaffen habe dazu gedient, den Kommandeuren angesichts von Medienberichten zu dem Thema die «seit langem etablierten und robusten Vorgehensweisen» in Erinnerung zu rufen, hieß es.

Trump wiederum bezeichnete Milley in einer Stellungnahme als «Blödmann General», der «schwach und ineffektiv» sei. Falls die Berichte des Buchs zuträfen und Milley hinter seinem Rücken Absprachen mit China getroffen habe, dann müsse ihm wohl wegen «Verrats» der Prozess gemacht werden, erklärte Trump. Der Ex-Präsident fügte hinzu, er habe nie auch nur darüber nachgedacht, China anzugreifen. Wer anderes behaupte sei «krank und verrückt».

Der republikanische Senator Marc Rubio, ein Trump-Verbündeter, sagte im Sender Fox News, falls die Berichte zuträfen, entspräche das «einem Militärputsch». Die Militärführung dürfe sich nicht über den Willen des rechtmäßig gewählten Präsidenten stellen. «Stellen Sie sich mal vor, dass General Milley morgen entscheidet, dass Joe Biden senil ist», sagte Rubio. Dann könne Milley Bidens Befehle verweigern und mit Russland und China zusammenarbeiten, sagte er weiter.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, erklärte am Mittwoch, Biden arbeite seit Monaten mit Milley zusammen und habe «komplettes Vertrauen in seine Führungskraft, seinen Patriotismus und seine Treue zur Verfassung». In Bezug auf das berichtete Verhalten Milleys sagte Psaki, es sei wichtig, sich des Kontextes bewusst zu sein. Trump habe damals ein Aufbegehren gegen die verfassungsmäßige Anordnung angeführt, das zur Erstürmung des Kapitols geführt habe, «einer der dunkelsten Tage in der Geschichte unseres Landes».

Bei Milleys nächster Anhörung im Kongress - am 28. September im Senat - dürften ihm kritische Fragen von mehreren Republikanern sicher sein.

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Thomas Sylten 15.09.21 17:30
Auch wenn es sich ja streng genommen um den Beginn eines Militärputsches gehandelt hat, bin ich erleichtert zu hören, dass - zumindest in diesem Fall - genügend politische Vernunft bei den Generälen herrschte, einen offenkundig unzurechnungsfähigen Präsidenten zur Not am Schlimmsten zu hindern.
Thomas Sylten 15.09.21 17:30
Nachtrag:
Die Frage bleibt, was im gegensätzlichen Fall ein Präsident eigentlich einzubringen hätte, einen offenkundig unzurechnungsfähigen Generalstab von Putsch und militärischem Overkill abzuhalten..(?)
Vermutlich nur die Hoffnung, dass auch dann genügend Vernunft und Mut zumindest bei einigen Teilen des Generalstabs übrig bleiben, das Schlimmste zu verhindern..