Mikroben für die Welt

Wilhelm Dirks, Biologe in der Forschung an menschlichen und tierischen Zellen. Foto: Hauke-Christian Dittrich/Dpa
Wilhelm Dirks, Biologe in der Forschung an menschlichen und tierischen Zellen. Foto: Hauke-Christian Dittrich/Dpa

BRAUNSCHWEIG (dpa) - Auf der Suche nach Mikroorganismen wenden sich Forscher aus aller Welt an Braunschweig. Aus der wohl vielfältigsten Sammlung wird Material in zahlreiche Länder verschickt. Die Mitarbeiter haben drängende Zukunftsfragen im Blick.

Sie haben Unmengen an Bakterien, Pilzen und Viren im Haus - und sind auch noch stolz darauf. Die Braunschweiger Forscher kommen richtig ins Schwärmen, wenn sie über ihre Sammlung berichten. Auf den ersten Blick unscheinbare Kellerräume im Süden der Stadt bezeichnen sie als «Schatztruhen für die Wissenschaft». Denn hinter schweren gesicherten Eisentüren lagern Mikroben mit Millionenwert. In diesem Jahr feiert das Leibniz-Institut DMSZ (Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen) sein 50-jähriges Bestehen.

Wissenschaftler aus zahlreichen Ländern der Welt ordern hier Bakterien, Pflanzenviren und Pilze für Forschungszwecke. Mehr als 43.000 Bestellungen für Mikroben und Zellkulturen gingen nach Angaben der Forschungseinrichtung im vergangenen Jahr aus 81 Ländern ein. Ein wichtiger Auftrag des Leibniz-Instituts mit seinen rund 200 Mitarbeitern ist es, Mikroorganismen zu erhalten und Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen. Mehr als 350.000 Ampullen lagern dafür bei kühlen zehn Grad.

«Es gibt wohl eine Milliarde Bakterien, von denen bisher aber nur 0,01 Prozent entdeckt sind», sagt die Mikrobiologin Yvonne Mast. Die 38-jährige Professorin ist gerade von der Uni Tübingen nach Braunschweig gewechselt, auch weil etwa 80 Prozent der bekannten Bakterien hier für die Forschung zur Verfügung stehen. Für sie steckt darin ein Riesenpotenzial, um etwa neue Wirkstoffe zu finden. Zudem will sie mit dem negativen Image der Bakterien aufräumen. «Nur etwas mehr als 500 lösen Krankheiten aus. Das Gros ist unschädlich oder sogar gesundheitsförderlich», sagt Mast.

Von der «weltweit vielfältigsten Bioressourcensammlung» spricht der wissenschaftliche Direktor Jörg Overmann, der die Einrichtung seit fast zehn Jahren leitet. 2018 lag der Etat bei rund 18 Millionen Euro. Er setzt sich zusammen aus Zuschüssen vom Bund und dem Land Niedersachsen, aus sogenannten Drittmitteln sowie den Einnahmen aus dem Verkauf von Mikroben und Zellkulturen.

In eigenen Forschungsprojekten wollen die Wissenschaftler zur Lösung drängender Probleme wie der Vermüllung mit Plastik beitragen. Başak Öztürk versucht Bakterien zu züchten, die Schadstoffe in der Natur abbauen. «Im Idealfall sollen sie Plastik abbauen oder Öl unschädlich machen», erläutert die Leiterin einer Nachwuchsforschergruppe. Das könnte auch der Abwasserreinigung dienen.

Die Krebsforschung, vor allem die Leukämie-Forschung, hat Wilhelm Dirks im Blick. Dafür nutzt er menschliche Zelllinien, die bei minus 180 Grad in Tanks mit flüssigem Stickstoff lagern. «Die Zelllinien ermöglichen reproduzierbare Forschungsergebnisse und können sogar einen Teil der Tierversuche ersetzen», erläutert Dirks.

Auf die sogenannten Krankenhauskeime legt Christine Rohde ihr Augenmerk. Sie will dafür Bakteriophagen nutzen. «Diese sind in der Lage, Bakterien zu zerstören» erläutert die Mikrobiologin. Bei multiresistenten Keimen, gegen die Antibiotika versagen, könnten sie effektiv eingesetzt werden. Zugelassen ist die Phagentherapie in Deutschland noch nicht. Dafür seien erfolgreiche klinische Studien nötig. «Es wird noch Jahre dauern, aber wir werden zeigen, dass Phagen sicher und effizient sind», ist Rohde überzeugt.

Für den Wissenschaftsstandort Niedersachsen habe die Sammlung große Bedeutung, heißt es aus dem zuständigen Ministerium in Hannover. Viele Forschungsvorhaben seien ohne diese Einrichtung nicht möglich, sagt Sprecherin Anna Anding. Das 50-jährige Bestehen feiern die Braunschweiger das komplette Jahr 2019 mit verschiedenen Veranstaltungen - auch um den Bekanntheitsgrad zu steigern. Zum Festakt im November wird Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) erwartet.

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