Merkel und Macron suchen Bewegung im EU-Haushaltsstreit

Foto: epa/Kenzo Tribouillard
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BRÜSSEL (dpa) - Nach einer Nacht mit viel Reden und Rechnerei scheinen die Fronten der EU-Staaten im Milliardenpoker völlig verhärtet. Doch dann bricht offenbar doch noch etwas auf. Reicht die Dynamik?

Im Milliardenpoker um die Finanzierung der Europäischen Union haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen am Freitag stundenlang Kompromisschancen ausgelotet. Am zweiten Tag eines Sondergipfels in Brüssel deutete sich daraufhin nachmittags Bewegung an, nachdem Stunden vorher noch düsterer Pessimismus geherrscht hatte. Diplomaten wollten jedoch noch keine Erfolgsprognose abgeben.

Es geht um den Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 und um mehr als eine Billion Euro. Die EU-Gelder kommen unter anderem Millionen Landwirten, Kommunen, Unternehmen oder Studenten zugute, auch in Deutschland. Die EU-Staaten waren sich jedoch uneins sowohl bei den Einzahlungen als auch bei den Prioritäten für die Ausgaben. Eine Lösung ist diesmal besonders schwierig, weil nach dem Brexit die britischen Milliardenbeiträge fehlen.

EU-Ratschef Charles Michel war am Donnerstag mit einem Kompromissvorschlag in den Gipfel gegangen, der aber bei Merkel und anderen Teilnehmern auf Ablehnung stieß. Michel suchte dann die ganze Nacht über in Einzelgesprächen mit den 27 EU-Staaten Kompromisslinien, allerdings ohne erkennbare Bewegung.

Dynamik entstand dann nach Angaben von Diplomaten, nachdem Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron zusammen mit den übrigen Nettozahlern eine gemeinsame Position absteckten. Michel ließ daraufhin neue Berechnungen zu einem Kompromisspaket anstellen.

Deutschland, Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich wollen eigentlich nicht mehr als 1,0 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung einzahlen und pochen zudem auf Beitragsrabatte. Sie sind alle Nettozahler, also EU-Staaten, die mehr in die Gemeinschaftskasse einzahlen als sie herausbekommen. Michel hat indes 1,074 Prozent vorgeschlagen.

Dass die fünf Staaten Frankreich mit an Bord holten, galt als Fortschritt. Denn Macron war mit anderen Prioritäten nach Brüssel gekommen. Er stemmte sich gegen allzu strikte Beschränkungen des Budgets, weil er Einschnitte bei den Subventionen für seine Bauern abwenden will. Diesen Punkt hatte er am Donnerstag besonders betont.

EU-Länder im Osten und Süden wollen aus demselben Grund ebenfalls einen höheren Gesamtrahmen. Sie bekommen besonders viel aus den Strukturhilfen zur Förderung armer Regionen, den sogenannten Kohäsionsfonds. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki schrieb auf Twitter, für ihn seien Mittel für die Landwirtschaft sowie die Regionalförderung wichtig.

An diese Hilfen knüpft sich ein weiterer Streitpunkt: Sie sollen künftig gekoppelt werden an die Rechtsstaatlichkeit in den Empfängerländern. Ratschef Michel hatte den dafür vorgesehenen Mechanismus etwas entschärft und war damit den potenziell betroffenen Ländern Polen und Ungarn entgegengekommen. Auch das traf bei Merkel auf Kritik.

Wegen der überaus komplizierten Lage hatte sich die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Freitagmorgen sehr pessimistisch geäußert. Es werde wahrscheinlich ein weiteres Gipfeltreffen im März nötig sein, um zu einem Kompromiss der 27 Mitgliedstaaten zu kommen. Ähnlich äußerte sich der rumänische Präsident Klaus Iohannis: «Die meisten von uns sind nicht sehr optimistisch.» Auch die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin sagte: «Es sieht sehr schwierig aus.»

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis gab den Nettozahlern die Schuld. «Wenn diese Länder sich nicht bewegen, dann fliegen wir hoffentlich zurück heute.»

Besonders enttäuscht zeigte sich der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel, dessen Land ebenfalls zu den Nettozahlern zählt: «Ich habe keinen Bock jetzt, dass wir rechnen müssen, wieviel ich hier zahle, wieviel ich zurückzahlen soll», sagte er. «Ich bin bereit, mehr zu zahlen für dieses europäische Projekt.» Ob die Hürden wirklich überwunden werden könnten, wollten am Freitagnachmittag auch Diplomaten nicht einschätzen.

Selbst wenn sich die EU-Staaten einig werden, ist noch ein Kompromiss mit dem Europaparlament nötig. Das fordert viel mehr Geld - nämlich 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung und droht mit einem Veto.


Europas hochfliegende Pläne stoßen auf geschlossene Geldbörsen

Der Brexit setzt die EU unter Zugzwang. Man will Europa als positives Modell der Zukunft darstellen. Doch es fehlen Milliarden in der Kasse für die kommenden Jahre. Deshalb vermittelt der EU-Gipfel ein völlig anderes Bild.

Nach der langen Verhandlungsnacht brachte ein EU-Diplomat die Lage auf den Punkt: «Das ist so, als wenn man in ein Autohaus geht, sich umsieht und sagt: «Oh, dieser Range Rover gefällt mir, den möchte ich haben!» Und dann stellt man fest: «Ich habe nur Geld für einen Opel». Und dann geht man zu Mutti und sagt: «Gib mir das Geld für den Range Rover!» Aber Mutti sagt Nein.»

Der klamme Autokäufer in dieser kleinen Geschichte, das sind die EU-Staaten und ihre Bürger, die im Schaufenster der EU-Kommission und des Europaparlaments die glänzenden Pläne für ein besseres Europa bestaunen: Weltpolitisch aktiv sollte es sein, sozial und hilfreich, resolut umwelt- und klimafreundlich, mit zufriedenen Bauern und Wissenschaftlern, bürgernah und verteidigungsbereit, technologisch ein Gegengewicht zu China und den USA. Doch das kostet Geld, mehr als eine Billion Euro in den nächsten sieben Jahren. Und die Geldbörsen blieben beim EU-Gipfel zunächst geschlossen.

Fünf Regierungschefs waren es, die während der Nacht in Brüssel hart blieben: Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte eine überproportionale Erhöhung des deutschen EU-Beitrags ebenso ab wie dies der Österreicher Sebastian Kurz und die Ministerpräsidenten der Niederlande, Dänemarks und Schwedens für ihre Länder taten. Die Dänin Mette Frederiksen wagte deshalb am Freitagmorgen die Prognose, man werde wohl einen zweiten Anlauf im März brauchen.

Das wäre für sich genommen keine Katastrophe. Dass die Staats- und Regierungschefs zwei Gipfeltreffen für einen Haushaltsbeschluss brauchen, hat in der EU Tradition. Aber die Zeit ist diesmal fortgeschritten. Selbst wenn sich die 27 rasch einig würden, muss der Rat seinen Budgetplan für die Jahre 2021 bis 2027 noch mit dem Europaparlament abstimmen. Wenn nicht alles bis zum Jahresende geregelt ist, beginnt 2021 für die EU mit einem Nothaushalt.

Merkel hat noch ein zusätzliches Interesse an einer baldigen Einigung: Im zweiten Halbjahr übernimmt Deutschland den EU-Vorsitz, muss dann einen EU-China- und einen EU-Afrika-Gipfel organisieren und die voraussichtlich nervenaufreibenden Verhandlungen über das künftige Verhältnis der Briten zur EU zu einem guten Ende bringen. Weiterer Streit um die EU-Kasse käme da höchst ungelegen.

Wobei der Brexit bereits den Finanzstreit verschärft hat. 60 bis 75 Milliarden Euro fehlen in der Kasse für die kommenden sieben Jahre, weil die Briten keinen Beitrag mehr zahlen. Wenn die Lücke so geschlossen würde, wie EU-Ratspräsident Charles Michel das in seinem ersten Entwurf vorgeschlagen hatte, würde das vor allem die fünf größten Nettozahler treffen. 13 statt bisher 8 Milliarden Euro müssten dann beispielsweise die Niederländer bezahlen, von denen sie aber nur 2,5 zurückbekämen, rechnete ein Diplomat vor.

Wegen des Brexits versuchen viele EU-Politiker aber auch, der europäischen Idee neues Leben einzuhauchen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist mit enormem Elan in ihr Amt gestartet. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird nicht müde, für größere Gemeinsamkeit zu werden: «Unser Europa braucht mehr Ehrgeiz!» Und im Europaparlament sitzen seit dem Sommer 60 Prozent neue Abgeordnete, von denen viele den Wunsch nach Veränderung mitbringen.

Die meisten Parlamentarier wollen sich nicht mit weniger Europa zufriedengeben. Sie rechnen gerne vor, dass allein der gemeinsame Markt den reichen Mitgliedsstaaten viel mehr einbringt, als der EU-Beitrag diese Länder kostet. Frieden, Freiheit, Demokratie, soziale und innere Sicherheit seien sowieso unbezahlbar. Diese Abgeordneten müssen einem EU-Haushalt zustimmen, damit er in Kraft treten kann. Sie fordern mehr Geld als Michels viel kritisierter Vorschlag vorsah. Neben dem Range Rover und einem Opel müssten dann womöglich noch ein paar schicke E-Bikes ins Schaufenster.

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