Merkel, Trump und die G20 als Rahmenprogramm

Foto: epa/G20
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OSAKA (dpa) - Die Worte sind freundlich - mehr aber nicht. Donald Trump und Angela Merkel wurden auch beim G20-Gipfel in Osaka keine engen Freunde. Die nicht aufhörenden Diskussionen um ihre Zitteranfälle helfen der Kanzlerin in Osaka nicht - auch wenn sie den Start souverän meistert.

Donald Trump gibt sich im Ton außergewöhnlich freundschaftlich, als er Angela Merkel am Rande des G20-Gipfels in Japan begrüßt. Eine große Freundin sei die Kanzlerin. «Sie ist eine fantastische Person.» Ein großartiges Verhältnis habe man, schwärmt der US-Präsident, als er die Kanzlerin am Freitag im kargen Besprechungsraum L-6 am Rand des G20-Gipfels der mächtigsten Industrienationen trifft.

Doch kein Lächeln geht bei dem Treffen in Osaka am Freitag über sein Gesicht, als er Merkel lobt. Auch die Kanzlerin verzieht den Mund beim kurzen Händedruck kaum zu einer freundlichen Geste. Merkel agiert vorsichtig, ihre jüngsten, öffentlich sichtbaren Zitteranfälle spielen zu Beginn des G20-Gipfels eine große Rolle.

Äußern will sich die Kanzlerin dazu nicht. Einen Medientermin mit deutschen Journalisten verlässt sie am Nachmittag, ohne Fragen zuzulassen. Auch wenn die Zeit drängte, weil Chinas Präsident Xi Jinping wartete - für ein, zwei Sätze zur Zitter-Causa wäre wohl schon Zeit gewesen. Die Diskussionen über den Gesundheitszustand der Regierungschefin auch im Ausland bremste das nicht. Auch wenn Merkel den ersten Gipfeltag ohne jedes sichtbare Problem meisterte.

Jenseits aller persönlichen Dinge sind es Treffen wie diese, die den Gipfel von Osaka prägen, weniger die zähen Arbeitssitzungen des eigentlichen Hauptprogrammes. Zwei Länder nutzen die Gelegenheit, um ihre Probleme miteinander zu besprechen - der Gipfel bildet nur den Rahmen.

Trumps Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ist ein weiteres Beispiel für die zwar nicht ganz neue, aber immer konsequenter vorgetragene Gipfelstrategie. Der Showdown der Handelskrieger Trump und Xi Jinping aus China an diesem Samstag gilt Teilnehmern schon im Vorfeld als Höhepunkt des gesamten Gipfels - obwohl auch das mit dem Programm der Veranstaltung eigentlich nur bedingt zu tun hat.

Merkel ist wichtig, dass sie beim Treffen mit dem US-Präsidenten auch öffentlich die wesentlichen Themen umreißt: Handel, Kampf gegen den Terrorismus in Westafrika, Iran. «Wir haben nicht nur Handel, sondern auch sehr viele Investments» - eine kleine Spitze und vielleicht auch eine kleine Warnung an Trump dürfte das gewesen sein. Der hatte zuletzt immer wieder mit der Einführung von Sonderzöllen auf Autoimporte gedroht.

Einen ähnlichen Hinweis wie von Merkel bekommt Trump auch von Gastgeber Shinzo Abe: Der Japaner überreicht ihm eine Karte, die zeigt, in welchen für die nächste Wahl entscheidenden US-Bundesstaaten japanische Firmen als Investoren Bedeutung erlangt haben.

Trump, zunächst ohne auffällige Verbal-Aussetzer, nutzt den Gipfel, um die US-Interessen gegenüber einzelnen Teilnehmerländern zu stärken - auch gegen Deutschland. Nicht weniger als neun Staats- und Regierungschefs trifft er in den zwei Tagen von Osaka persönlich. Für die Teilnahme an allen Arbeitssitzungen des eigentlichen Gipfels ist bei soviel Diplomatie am Rande keine Zeit mehr.

Vor allem für die kleineren unter den G20-Ländern, aber auch beigeladene Organisationen wie die Weltbank, die Vereinten Nationen oder den Internationale Währungsfonds (IWF), ist das eine Entwicklung, die sehr genau beobachtet wird. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs von 19 wichtigen Industrieländern und der EU war einmal zur Lösung weltweiter Probleme gegründet worden - in der Finanzkrise wurde er 2008 von den Finanzministern auf die Chefebene hochgestuft.

Seit dem Amtsantritt von Donald Trump ist alles anders: Der US-Präsident setzt seine Weltsicht vom Primat des Nationalstaates über multilaterale Organisationen auch beim G20 durch. Statt ermüdender Sitzungen im großen Plenum trifft er sich mit den Vertretern einzelner Länder auf bilateraler Ebene - sehr medienwirksam, sehr unverfänglich.

Statt im Zweifel alleine gegen 19 zu stehen - wie noch 2017 beim Gipfel in Hamburg, als sich Trump beim Thema Klimawandel isolierte, spielt er mit den bilateralen Treffen die Macht seines Landes aus - politisch und wirtschaftlich. Im Zweier-Gespräch hat das machtvolle Amerika fast immer die besseren Trümpfe.

Und er hat Erfolg: Sein Beispiel macht Schule. Russlands Präsident Putin schwenkte schon kurz vor Beginn des Gipfels in einem Interview der «Financial Times» auf Trumps Linie ein. Den nationalen Bewegungen in Europa müsse Rechnung getragen werden.

Andere machen mit: Der Gipfel in Japan gleicht ein bisschen einem Speed-Dating-Lokal. Kanzlerin Merkel hat sich zehn Termine mit G20-Chefs im kleinen Kreis ausmachen lassen - noch mehr als Trump. Diese Meetings könnten am Ende die eigentliche Veranstaltung überflügeln. Bei den großen Gipfelthemen wie Klimaschutz wird eher Stillstand befürchtet - auch wegen Trump.

Die deutsche Kanzlerin galt bisher als ein Gegenpol für den großen Zampano aus Washington, der sich ungeachtet moralischer Bedenken neue Freunde sucht - der kraftvolle Handschlag mit Mohammed bin Salman, dem saudischen Kronprinzen, den ein Sonderbericht der Vereinten Nationen kürzlich für einen möglichen Mitwisser am Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi identifizierte, spricht Bände. Salman stand auf dem Familienfoto der Gipfelteilnehmer direkt neben Trump. Auf der anderen Seite wurde der US-Präsident vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eingerahmt.

Merkel hat es inzwischen schwer. Die Lage der großen Koalition in der Heimat, die ungelösten Fragen in Europa - und nicht zuletzt die öffentlich geführte Diskussion um ihre Gesundheit - die Kanzlerin gilt nicht nur bei Trump als geschwächt. Auf dem Familienfoto steht sie ganz am Rand - weit weg von Trump im Zentrum.

Auch Trump dürften die Fernsehbilder nicht entgangen sein: Nur Stunden vor ihrem Abflug nach Japan konnten Millionen Menschen sehen, wie die Kanzlerin ihren zitternden Körper nur schwer unter Kontrolle brachte. Schon am Dienstag vergangener Woche hatte Merkel in einer ähnlichen Situation an der Seite des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen krampfartigen Zitteranfall erlitten.

Was ist also los mit Merkel? Die «Stuttgarter Zeitung» und die «Stuttgarter Nachrichten» zitieren Regierungskreise, nach denen Merkels neuerliches Zittern psychisch bedingt gewesen sei. Es sei kein gesundheitliches Problem, sondern Kopfsache.

Doch Merkel weiß: Jeder Anflug von Schwäche wird von ihren Gegnern gnadenlos ausgenutzt. Einer wie Donald Trump hat gezeigt, dass er dazu in der Lage ist. Umso größer dürfte der Druck auf Merkel in Japan sein.

Mutet die Kanzlerin sich zuviel zu? Es ist ein kräftezehrendes Programm, das sie gerade absolviert. Zwei Gipfeltage mit vier Arbeitssitzungen stehen in Osaka auf ihrem Programm. Daneben bilaterale Gespräche nicht nur mit Trump, sondern auch mit anderen Mächtigen der Welt wie Wladimir Putin und Xi Jinping.

Samstagfrüh um 8.00 Uhr geht es für die Kanzlerin schon wieder zurück nach Berlin, am Sonntag dann gleich weiter zur nächsten Nachtsitzung: Mit den Staats- und Regierungschefs der EU stehen ihr in Brüssel schwierigste Verhandlungen über die wichtigsten Spitzenposten in Europa bevor. Bis Montagfrüh will die Kanzlerin die vertrackte Personaldebatte über die Besetzung des künftigen EU-Kommissionspräsidenten gelöst haben.

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