EU-Staaten erkennen Wahlergebnis in Belarus nicht an

Der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel während einer Pressekonferenz zum Abschluss des Europäischen Gipfels in Form einer Videokonferenz in Brüssel, Belgien, am 19. August 2020. Foto : epa/POOL / OLIVIER HOSLET
Der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel während einer Pressekonferenz zum Abschluss des Europäischen Gipfels in Form einer Videokonferenz in Brüssel, Belgien, am 19. August 2020. Foto : epa/POOL / OLIVIER HOSLET

Opposition in Minsk begrüßt EU-Entscheidung zu Belarus

MINSK: Die Demokratiebewegung in Belarus (Weißrussland) hat die EU-Entscheidung begrüßt, Alexander Lukaschenko nicht als Staatsoberhaupt der Ex-Sowjetrepublik anzuerkennen. Wichtig sei außerdem, dass die EU und Russland einen Dialog in dem Land zwischen der Zivilgesellschaft und dem Machtapparat unterstützen, sagte die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa am Mittwochabend der Deutschen Presse-Agentur in Minsk. «Wir brauchen auch eine Hilfe, weil wir so etwas in Belarus noch nie gehabt haben.»

Die 38-jährige ist neben der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch eines von sieben Mitgliedern des Präsidiums des neuen Koordinierungsrates für einen Machttransfer in dem Land. Kolesnikowa sagte, dass der Machtapparat bisher nicht eingegangen sei auf Angebote der Zivilgesellschaft für einen Dialog.

«Unsere Anrufe werden nicht beantwortet», sagte der frühere Kulturminister Pawel Latuschko, der ebenfalls dem Präsidium des neuen demokratischen Gremiums angehört. Der Koordinierungsrat verabschiedete am Mittwoch bei seiner ersten Sitzung eine Resolution für den Wandel in dem Land zwischen EU-Mitglied Polen und Russland. In der Resolution fordert die Opposition ein Ende der Gewalt gegen friedliche Demonstranten, die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen.

Latuschko lobte, dass auch aus Russland Aufforderungen für einen Dialog in der Gesellschaft kamen. Der frühere Diplomat hob zudem hervor, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow als erstes Mitglied der russischen Führung die Präsidentenwahl am 9. August öffentlich kritisiert habe. Lawrow hatte die Abstimmung, bei der sich Lukaschenko mit 80 Prozent zum Sieger ausrufen ließ, als «nicht ideal» bezeichnet.

Latuschko betonte, dass kein Umsturz der Verfassungsordnung geplant sei. Auch außenpolitisch bleibe das Land auf dem bisherigen Kurs einer engen Anbindung an Russland. Lukaschenko hatte den Koordinierungsrat für illegal erklärt und damit gedroht, ihn aufzulösen. Latuschko meinte, dass der Machthaber damit wenigstens anerkannt habe, dass das Gremium existiere.


EU-Staaten erkennen Wahlergebnis in Belarus nicht an

BRÜSSEL: Die 27 EU-Staaten zeigen sich solidarisch mit den friedlich demonstrierenden Menschen in Belarus. Staatschef Alexander Lukaschenko gerät weiter unter Druck. Die EU findet nach ihrem Sondergipfel deutliche Worte.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten werden das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus nicht anerkennen. Die Abstimmung sei weder fair noch frei gewesen, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch nach einem Sondergipfel zur politischen Krise in Belarus. «Und deshalb kann man die Ergebnisse dieser Wahlen auch nicht anerkennen.» EU-Ratschef Charles Michel bestätigte diese Entscheidung.

Es gebe keinen Zweifel daran, dass es massive Regelverstöße gegeben habe, sagte die CDU-Politikerin nach rund dreistündiger Beratung mit ihren Kollegen. «Wir verurteilen die brutale Gewalt gegen Menschen», betonte sie. Meinungsfreiheit und das Recht auf Demonstrationen müssten garantiert werden. Außerdem müssten alle Gefangenen bedingungslos freigelassen werden. Zudem setze man sich - wie von der Opposition gefordert - für einen nationalen Dialog ein.

Für die per Videokonferenz geführten Gespräche der Staats- und Regierungschefs war in Brüssel extra die politische Sommerpause unterbrochen werden. Die EU wollte damit auch ein deutliches Zeichen setzen, dass sie an der Seite der friedlich demonstrierenden Menschen in Belarus steht.

Seit der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl am 9. August gibt es in der ehemaligen Sowjetrepublik Massenproteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Vor allem zu Beginn reagierte die Polizei mit Gewalt gegen die weitgehend friedlichen Demonstranten.

Noch kurz vor dem Sondergipfel hatte die Opposition die EU dazu aufgefordert, die Wahl Lukaschenkos nicht anzuerkennen. Aus dem Exil in Litauen sagte die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja: «Verehrte Anführer Europas, ich rufe Sie dazu auf, das Aufwachen von Belarus zu unterstützen.»

Lukaschenko selbst forderte die EU-Staaten hingegen dazu auf, sich mit ihren eigenen Problemen zu befassen. «Bevor sie mit dem Finger auf uns zeigen, sollten sie die Themen wie die «Gelbwesten» in Frankreich oder die schrecklichen Unruhen in den USA auf die Tagesordnung ihrer Treffen setzen.»

Merkel bemühte sich nach eigenen Angaben persönlich um ein Gespräch mit Lukaschenko. Dies sei jedoch abgelehnt worden, berichtete sie. Deutschland könne daher keine echte Vermittlerrolle in dem Konflikt einnehmen. Man wolle aber helfen, dass die friedlich demonstrierende Zivilgesellschaft eine faire Chance bekomme. Letztlich müsse Belarus «seinen Weg für sich alleine finden», das funktioniere nur über einen Dialog im Land und nicht über Einmischung von außen.

Auch Michel stellte sich hinter die friedlich Demonstrierenden. «Wir stehen an eurer Seite in eurem Wunsch, eure demokratischen Grundrechte auszuüben, und in eurem Wunsch nach einer friedvollen, demokratischen und erfolgreichen Zukunft», betonte er. Bei der politischen Krise in Belarus gehe es nicht um Geopolitik, sondern um das Recht der Menschen, ihre Führung frei zu wählen. Er rief die belarussischen Behörden dazu auf, einen friedlichen Weg aus der Krise zu finden, indem die Gewalt beendet und ein nationaler Dialog begonnen würden.

In Antwort auf die Polizeigewalt bei Demonstrationen hatten die Außenminister der EU-Staaten bereits vergangene Woche Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos auf den Weg gebracht. Zudem soll es Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.

Die Menschen in Belarus demonstrierten am Mittwoch unterdessen den elften Tag infolge gegen Lukaschenko. In Staatsbetrieben legten Beschäftigte erneut die Arbeit nieder, allerdings weniger als zu Wochenbeginn, wie das unabhängige Portal tut.by berichtete. Protestaktionen gab es auch in anderen Städten des Landes. Doch auch Unterstützer Lukaschenkos versammelten sich zu Straßenprotesten.


Litauens Präsident zufrieden mit EU-Sondergipfel zu Belarus

VILNIUS: Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda hat sich zufrieden mit dem EU-Sondergipfel zur politischen Krise im benachbarten Belarus (Weißrussland) gezeigt. «Ich muss anerkennen und mit großer Befriedigung feststellen, dass wir mit einer Stimme gesprochen und eine grundsätzliche Haltung zu den Entwicklungen in Belarus eingenommen haben», sagte Nauseda am Mittwoch in Vilnius nach den per Videokonferenz geführten Gesprächen der EU-Staats- und Regierungschefs.

Bei ihren Beratungen hatten sich die EU-Staaten darauf verständigt, das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus nicht anerkennen. «Alle meine Kollegen waren sich ausnahmslos einig, dass die Wahlen manipuliert und nicht frei waren und ihr Ergebnis nicht als legitim anerkannt werden kann», sagte Nauseda der Agentur BNS zufolge auf einer Pressekonferenz.

Nach Angaben des litauischen Staatschefs habe die EU «praktisch» entschieden, gezielte Sanktionen gegen die belarussische Führung anzuwenden. Die Strafmaßnahmen sollen «in naher Zukunft» gegen Personen verhängt werden, die für eine Fälschung der Wahl und die Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlich gemacht werden.

Nauseda sagte zudem, dass Litauens Name mehrfach während des Gipfels erwähnt und dem Land für seine Führungsrolle gedankt worden seien. Das baltische EU-Land steht im Rampenlicht, seit Lukaschenkos Gegnerin Swetlana Tichanowskaja sich nach der Präsidentenwahl dort ins Exil in Sicherheit gebracht hat.


EU will Demokratiebewegung in Belarus finanziell unterstützen

BRÜSSEL: Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat trotz Warnungen aus Moskau eine finanzielle Unterstützung von Anhängern der neuen Demokratiebewegung in Belarus angekündigt. Die EU-Kommission werde zwei Millionen Euro für die Opfer von Repression und nicht hinnehmbarer Staatsgewalt bereitstellen, sagte von der Leyen am Mittwoch nach dem EU-Sondergipfel in Brüssel. Zudem solle es eine Million Euro zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien geben.

Es sei nun wichtiger denn je, die Menschen in Belarus zu unterstützen und für die Behörden eingeplante EU-Gelder in Richtung der Zivilgesellschaft und schutzbedürftiger Gruppen umzuleiten, erklärte von der Leyen. «Wir stehen an der Seite derjenigen Menschen in Belarus, die Grundfreiheiten und Demokratie wollen.»

Unabhängig von den den Ereignissen nach der umstrittenen Präsidentenwahl sind nach ihren Worten weitere 50 Millionen Euro als Nothilfe für den durch die Corona-Krise belasteten Gesundheitssektor vorgesehen.

Seit der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl am 9. August gibt es in der ehemaligen Sowjetrepublik große Demonstrationen gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Zu Beginn der Proteste reagierte die Polizei mit Gewalt auf weitgehend friedliche Demonstranten.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatten vor dem EU-Gipfel in mehreren Telefonate mit EU-Politikern vor Versuchen gewarnt, sich «von außen in innere Angelegenheiten der Republik (Belarus) einzumischen». Dann könnte die Lage weiter eskalieren, hieß es.


Opposition kann sich Vermittlerrolle Merkels vorstellen

MINSK: Die Gegner von Präsident Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) können sich auch eine Vermittlerrolle der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Machtkampf in der Ex-Sowjetrepublik vorstellen. «Natürlich begrüßen wir jeden Versuch, einen Dialog in der Zivilgesellschaft zu organisieren», sagte die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa vom Koordinierungsrat der Deutschen Presse-Agentur in Minsk.

«Mir ist bisher nicht klar, worauf Merkel und Putin bestehen», sagte Kolesnikowa mit Blick auf ein Telefonat Merkels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Lage in Belarus vor einigen Tagen. «Aber beliebige positive Schritte, die dabei helfen, uns zu vereinen, sind sehr willkommen.» Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vermitteln auch im Ukrainekonflikt zwischen Moskau und Kiew.

Lukaschenko sehe zurzeit keine Notwendigkeit, mit Merkel persönlich sprechen, sagte dessen Sprecherin Natalia Ejsmont. Er habe aber Putin ausgerichtet, dass dieser mit Merkel über angebliche Einmischung aus dem Ausland sprechen sollte. «Er soll Frau Merkel ausrichten, dass sich weder Deutschland, noch ganz Westeuropa in die inneren Angelegenheiten von Belarus einmischen soll», sagte die Sprecherin im russischen Staatsfernsehen.

Die früher viele Jahre in Stuttgart tätige Kulturmanagerin Kolesnikowa äußerte sich zurückhaltend zu Sanktionen der EU gegen Belarus oder einzelne Vertreter des Machtapparats. «Wir müssen erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen. Deshalb ist meine Haltung, was Sanktionen angeht, etwas abgekühlt», erklärte sie. Die EU-Außenminister hatten die Sanktionen vergangene Woche auf den Weg gebracht. «Ich kann nicht einerseits Dialog und einen friedlichen Machttransfer fordern und auf der anderen Seite für Strafmaßnahmen eintreten gegen die Menschen, mit denen ich reden will.»

Zum EU-Gipfel am Mittwoch betonte sie aber, dass eine klare und entschlossene Reaktion der EU nötig sei. «Für uns ist Swetlana Tichanowskaja die Siegerin der Präsidentenwahl. Das ist glasklar», betonte sie. Die 37-jährige Tichanowskaja hat aus ihrem unfreiwilligen Exil in Litauen die EU-Spitzen dazu aufgerufen, die «betrügerische Wahl nicht anzuerkennen».


Lawrow: Präsidentenwahl war nicht ideal

MINSK: Russland hat erstmals auf Mängel bei der umstrittenen Präsidentenwahl im Nachbarland Belarus (Weißrussland) hingewiesen. «Die Wahl war nicht ideal. Natürlich nicht», sagte Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch im russischen Staatsfernsehen. Dafür gebe es nicht wenige Beweise, sagte er. Auch die Führung in Minsk sehe das und versuche, mit den Bürgern einen Dialog aufzubauen. Alle sollten versuchen, die Lage in Ordnung zu bringen.

In der Ex-Sowjetrepublik waren nach der Abstimmung Proteste und Streiks ausgebrochen. Der autoritäre Staatschef Alexander Lukaschenko hatte sich trotz massiver Manipulationsvorwürfe zum haushohen Sieger erklären lassen. Die Opposition erkennt das Ergebnis nicht an. Russland hat sich zum Wahlverlauf im strategisch wichtigen Nachbarland bislang kaum geäußert. Präsident Wladimir Putin hatte als einer der Staatschefs Lukaschenko zum Wahlsieg gratuliert.

Moskau sehe jedoch, dass der Westen die politische Krise nach der Abstimmung zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen wolle. «Es geht nicht um Lukaschenko, Menschenrechte und Demokratie. Es geht um Geopolitik. Es geht um die Regeln, die unsere westlichen Partner im täglichen Leben auf unserem Kontinent und in anderen Teilen durchsetzen wollen», sagte Außenminister Lawrow. Der Westen wolle Belarus eine Ordnung aufzwingen. «Wir haben diesen Kampf schon gesehen, nach dem Ende der Sowjetunion. Zuletzt natürlich in der Ukraine.»

Minsk ist wirtschaftlich massiv von Moskau abhängig. Belarus ist ein wichtiges Transitland für Gas und Öl aus Russland nach Westeuropa. Am Mittwoch kamen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu einer Videokonferenz zusammen, um über den Umgang mit der politischen Krise in Belarus zu beraten.

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