Merkel setzt in Streit um polnische Justiz auf Dialog

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tippt nach ihrer Regierungserklärung im Bundestag in ihr Smartphone. Foto: Michael Kappeler/dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tippt nach ihrer Regierungserklärung im Bundestag in ihr Smartphone. Foto: Michael Kappeler/dpa

WARSCHAU: Bei ihrem wohl letzten Polen-Besuch als Kanzlerin setzt Merkel auf versöhnliche Töne. Selbst beim Thema Nord Stream 2 gibt es Annäherung. Im Streit der Europäer ums polnische Justizsystem empfiehlt sie: miteinander reden.

Im Dauerstreit zwischen der EU und Polen um das dortige Justizsystem hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür plädiert, den Konflikt durch Gespräche zu lösen. «Politik ist doch mehr, als nur zu Gericht zu gehen», sagte Merkel am Samstag bei einem Treffen mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Warschau. Auch bei anderen strittigen Themen wie der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 gaben sich beide Seiten versöhnlich. Für Merkel war es vermutlich der letzte offizielle Polen-Besuch in fast 16 Jahren Kanzlerschaft.

Brüssel und Warschau streiten schon seit längerem über Änderungen im polnischen Justizsystem. Kritiker werfen der nationalkonservativen PiS-Regierung vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben. Derzeit prüft das polnische Verfassungsgericht, ob polnisches Recht Vorrang vor EU-Recht hat.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) finanzielle Sanktionen gegen das Mitgliedsland beantragt. Hintergrund ist die fortgesetzte Tätigkeit der polnischen Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern. Der EuGH hatte in einer einstweiligen Anordnung den Stopp der Tätigkeit dieser Kammer angeordnet, woran sich Warschau aber nicht hält.

Merkel sagte, es müsse natürlich immer eine Möglichkeit des Rechtsstaats sein, strittige Dinge durch Gerichtsverfahren zu lösen. Es gebe jedoch Möglichkeiten, durch Dialog voranzukommen. Möglicherweise gebe es bereits solche Gespräche zwischen Polen und der EU-Kommission, sagte die CDU-Politikerin. Andernfalls werde sich Deutschland dafür einsetzen.

Sowohl Merkel als auch Morawiecki verurteilten den Umgang des polnischen Nachbarlands Belarus mit Flüchtlingen aus Krisenregionen. Wehrlose Menschen aus anderen Ländern würden als Subjekte «hybrider Attacken» benutzt, sagte die Kanzlerin. «Ich halte das für vollkommen inakzeptabel.» Sie appellierte an Belarus, den an der polnisch-belarussischen Grenze festsitzenden Flüchtlingen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Dies ist zugleich eine Außengrenze der Europäischen Union.

Die Regierung in Warschau beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Flüchtlinge an die Grenze zu bringen. Polen hat nun mit einem Andrang von Migranten aus dem Nahen Osten über seine 418 Kilometer lange Grenze zu Belarus zu kämpfen. Das Land hat deshalb den Ausnahmezustand in der Grenzregion ausgerufen. Zugleich wurde mit dem Bau eines Zauns begonnen. Lukaschenko steht im Westen wegen seines autoritären Regierungsstils und der Unterdrückung von Opposition seit Jahren in der Kritik.

Morawiecki sagte zur aktuellen Entwicklung: «Wir haben hier sowohl die Unterstützung der EU-Kommission als auch die der deutschen Regierung, um Europa vor illegaler Migration zu schützen, vor Bewegungen, die nicht von uns abhängen.» Europa müsse mehr für seine Verteidigung tun und auch die Ausgaben dafür erhöhen. Merkel lobte Polen dafür, dass es schon jetzt zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiere. Deutschland erreicht diese Marke nicht.

Zum Thema Nord Stream 2 betonte die Kanzlerin, Deutschland habe mit den USA vereinbart, sich dafür einzusetzen, dass sich Russland möglichst frühzeitig verpflichte, die Gaslieferungen durch die Ukraine auch über 2024 hinaus fortzusetzen. Diese Verpflichtung sei wichtig, damit Energielieferungen «nicht zur hybriden Kriegsführung benutzt werden» könnten. Polens ist seit langem gegen Nord Stream 2. Befürchtet wird, dass Russland damit die Abhängigkeit Europas von seinen Gaslieferungen erhöhen und bisherige Transitländer unter Druck setzen könnte.

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