Mehr Macht und gute Geschäfte für das Militär

Schwer bewaffnete Soldaten der mexikanischen Marine patrouillieren auf einem Strand. Foto: Natalia Pescador/dpa
Schwer bewaffnete Soldaten der mexikanischen Marine patrouillieren auf einem Strand. Foto: Natalia Pescador/dpa

MEXIKO-STADT: Die Zeit der blutigen Militärregime in der Region ist vorbei. Doch jetzt dehnen die Streitkräfte ihren Einfluss wieder aus, insbesondere in Mexiko. Menschenrechtsaktivisten sind besorgt.

Feldwebel Bravo sieht imposant aus. Die fünf Meter hohe Werbefigur der Streitkräfte im grünen Flecktarn überragt die Schaulustigen beim Tag der offenen Tür im neuen internationalen Flughafen von Mexiko-Stadt. Doch nicht nur bei der Feier auf dem zivilen Airport nördlich der Millionenmetropole drängt sich das Militär in den Vordergrund.

Unter Präsident Andrés Manuel López Obrador, der sich selbst als Linker darstellt, hat das Militär so viel Macht erlangt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch andere Staatschefs Lateinamerikas umgeben sich zunehmend mit Generälen - das lässt gerade in einer Region, die in den 1970er und 1980er Jahren unter blutigen Militärdiktaturen mit Zehntausenden Todesopfern litt, die Alarmglocken schrillen.

Experten kritisieren den Machtzuwachs des Militärs als Gefahr für die Menschenrechte. Die Soldaten sind für Polizeiaufgaben nicht ausgebildet. Unterlagen, die eine Hackergruppe kürzlich erbeutete, belegten nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zudem, dass das Militär in Mexiko und Peru Nichtregierungsorganisationen überwacht.

In Mexiko fordern gewalttätige Drogenkartelle den Staat heraus. Die Polizei ist gegen die schwerbewaffneten und finanzstarken Kriminellen oft machtlos. Gerade auf lokaler Ebene gilt die Polizei zudem als äußert korrupt. Deshalb stützt sich die Regierung bei der Verbrechensbekämpfung immer stärker auf das Militär. Vor Kurzem verlängerte der Kongress das Mandat der Streitkräfte für die öffentliche Sicherheit bis 2028. Auch die Nationalgarde wurde dem Verteidigungsministerium unterstellt. Damit verfügt das Land mit 128 Millionen Einwohnern auf Bundesebene über keine zivile Polizeibehörde mehr.

Auch in der Wirtschaft sind die Uniformierten in Mexiko auf dem Vormarsch. Sie verantworten wichtige Infrastrukturprojekte wie eine Bahnstrecke auf der touristischen Halbinsel Yucatán, leiten den Zoll, verwalten Flughäfen und wollen nun auch noch eine eigene kommerzielle Fluglinie gründen. Damit nicht genug: Sie machen auch Jagd auf illegal eingereiste Migranten und impfen die Menschen gegen das Coronavirus.

«Die Gefahren sind groß. Die mexikanische Regierung behauptet zwar, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Sie macht allerdings letztlich immer, was das Militär will», sagt Ana Esther Ceceña vom Lateinamerikanischen Rat für Sozialwissenschaften (Clacso) der Deutschen Presse-Agentur. «Die Streitkräfte haben in Mexiko ein so großes Budget und so viele Funktionen wie nie zuvor. Und mit dem Militär gibt es auch das Problem der mangelnden Rechenschaftspflicht». Das Projekt des Maya-Zugs in Yucatán, das Umweltschützer kritisieren, sei zudem zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit erklärt worden. Also: unantastbar.

Mexiko steht in der jüngsten Entwicklung nicht allein da: Auch in Ländern wie Brasilien, El Salvador, Kuba, Venezuela oder Kolumbien vertrauen die Regierungen dem Militär Aufgaben an, die nicht in seinen eigentlichen Kompetenzbereich fallen. Eine Ausnahme stellt Costa Rica dar: In dem kleinen mittelamerikanischen Land gibt es seit 1948 gar keine Streitkräfte mehr.

In Brasilien gilt der rechte Präsident Jair Bolsonaro - selbst Hauptmann der Reserve - als Verehrer der Militärdiktatur (1964-1985). Viele Posten seiner Regierung sind mit Militärs besetzt. Im größten Land Lateinamerikas, das am 30. Oktober in der Stichwahl über Bolsonaros Zukunft im Präsidentenpalast entscheidet, fordern dessen Anhänger unverhohlen einen Militärputsch gegen die unabhängige Justiz.

Ein fatales Zeichen setze 2020 der populäre konservative Präsident Nayib Bukele in El Salvador. Er ließ bewaffnete Soldaten in der Nationalversammlung aufmarschieren, um die Abgeordneten zur Billigung eines Kredits für seinen Sicherheitsplan zu zwingen. In Kolumbien setzte die vorherige rechte Regierung die Militärs gegen Demonstranten bei Sozialprotesten ein. Nun sollen sie nach dem Wunsch des linken Präsidenten Gustavo Petro zu einer Friedensarmee werden.

Auch in Kuba sind Uniformen allgegenwärtig. Als Oberbefehlshaber der Revolutionären Streitkräfte trug der 2016 gestorbene Revolutionsführer Fidel Castro in der Öffentlichkeit stets olivgrün. Das Militär spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei der Sicherung der Herrschaft der Kommunistischen Partei über den Karibikstaat und ist im mächtigen Politbüro vertreten. Über die Holding Gaesa kontrolliert es außerdem weite Teile der Wirtschaft.

Die autoritären Regierungen von Nicolás Maduro in Venezuela und Daniel Ortega in Nicaragua halten sich seit Jahren unter anderem mit der Unterstützung des Militärs im Amt. Im Gegenzug für ihre Loyalität erhalten die Streitkräfte weitreichende Befugnisse und Zugang zu lukrativen Geschäftsfeldern.

Nach Ansicht Ceceñas wächst der Einfluss des Militärs allerdings nicht nur in Lateinamerika. «Der Prozess der Militarisierung nimmt in der Welt zu. Die Regierungen suchen für alles, was geschieht, eine militärische Antwort», sagt die mexikanische Geopolitik-Expertin. «Ich sehe nirgendwo einen Prozess der Entmilitarisierung und der Einschränkung der Macht des Militärs.»

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