Massenhaftes Fischsterben in der Oder

​Ein deutsch-polnisches Drama

Foto: epa/Jerzy Muszynski
Foto: epa/Jerzy Muszynski

BERLIN: Dieses Ausmaß hat es laut Experten so noch nicht gegeben: Hunderte Tonnen toter Fische im Grenzfluss Oder. Doch wer für den verheerenden Umweltschaden verantwortlich ist, bleibt auch nach der Vorstellung zweier Expertenberichte weiter unklar.

Es ist eine Mischung aus Krimi und Drama, was sich in den vergangenen Wochen an der Oder abgespielt hat. Und wenn die Folgen nicht so verheerend wären, ließe sich das Geschehen mit einer gewissen Distanz verfolgen - wie bei einer Aufführung eben. Doch die Realität sieht anders aus. Denn am Ende dieser Vorstellung stehen Hunderte Tonnen toter Fisch - und eine deutsch-polnische Zusammenarbeit, die krachend gescheitert ist. Auch wenn es keine der beiden Seiten so offen aussprechen will.

Statt einen gemeinsamen Abschlussbericht zum massenhaften Fischsterben im Grenzfluss vorzulegen, präsentieren zwei nationale Expertengruppen unabhängig voneinander ihre jeweiligen Analyseergebnisse. Die polnische Gruppe tut dies sogar am Tag vor der deutschen Veröffentlichung. Und wie sie das tut, ist bemerkenswert. Die Pressekonferenz zur Vorstellung des polnischen Berichts wird auf der Facebook-Seite des dortigen Umweltministeriums übertragen - die Kamera zeigt Reihen leerer Sitze, weil die meisten Journalisten das Ereignis offenbar gar nicht mitbekommen haben.

Die Wasserbiologin Agnieszka Kolada vom Institut für Umweltschutz hält einen Fachvortrag mit vielen komplizierten Diagrammen. Nach etwa einer halben Stunde kommt sie auf den Punkt: «Der Grund für das Fischsterben war höchstwahrscheinlich die toxische Wirkung einer Algenblüte.» Damit bestätigt sie bisherige Thesen, die auch jenen auf der deutschen Seite weitgehend entsprechen. Darunter auch das Fazit, dass «multikausale Zusammenhänge» zur Katastrophe geführt hätten.

Eine koordinierte deutsch-polnische Analyse gibt es aber nicht. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) betont die Rolle von «menschlichen Aktivitäten», die zu dieser «gravierenden Umweltkatastrophe» geführt hätten. In erster Linie seien Salzeinleitungen für das massive und ungewöhnliche Wachstum der giftigen Algen verantwortlich. Die polnischen Experten sprechen dagegen nicht explizit von «Salzeinleitungen» und heben stattdessen hervor, dass der Fluss schon seit langem belastet sei und der niedrige Wasserstand zu einer höheren Salzkonzentration geführt habe.

Die alles entscheidende Frage, wer genau für diese ungewöhnlich hohen Salzmengen in der Oder verantwortlich ist, bleibt auf beiden Seiten ungeklärt. Die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» titelt am Freitag: «Die Oder ist gestorben, Schuldige gibt es nicht.» Lemke hofft nach eigenen Worten nun auf die Ermittlungen der polnischen Staatsanwaltschaft.

Aber ob diese am Ende das Rätsel um die hohe Kochsalzkonzentration lösen wird, ist zumindest fraglich. Fakt ist: Schon bei der Entdeckung der Katastrophe im Sommer war einiges schief gelaufen. Auf der deutschen Seite war das Fischsterben erst am 9. August bekannt geworden. Die polnischen Behörden sollen schon Ende Juli tote Fische gesichtet - aber dies nicht gemeldet haben. Der Plot für das deutsch-polnische Drama war schon abzusehen.

In Polen hatte die Umweltkatastrophe schon sehr früh das Versagen der Behörden offenbart. Das gilt besonders für die zentrale Wasserbehörde Wody Polskie. Wenige Tage nach Bekanntwerden des Fischsterbens feuerte Regierungschef Mateusz Morawiecki den Behördenchef - weil er zu langsam auf die Umweltkatastrophe reagiert hatte. Ein medienwirksames Signal - das aber bis heute nicht dazu geführt hat, die genaue Quelle des Massensterbens auszumachen.

Was bleibt, ist ein enormer Schaden. Und die Absicht, die Katastrophe weiter aufzuklären. Umweltministerin Lemke weist darauf hin, dass die Oder kein Einzelfall sei. Der Klimawandel betreffe auch andere Flüsse. Extreme Trockenheit führe dazu, dass Stoffe nun in zu hoher Konzentration in den Flüssen vorkämen. Jetzt stehe erst einmal die Regenaration der Oder im Vordergrund, sagt Lemke. Und auch hier gibt es Dissens mit dem polnischen Nachbarn: Während Deutschland auf Fluss-Erholung pocht, will die andere Seite an Ausbauarbeiten festhalten. Das Drama dürfte also noch weitergehen.

Immerhin versprechen beide Seiten, in Zukunft genauer hinsehen zu wollen. Die polnischen Wissenschaftler raten, ein System der ständigen Kontrolle der Wasserqualität zu schaffen. Alle Betriebe, die Abwässer in die Oder leiten, sollten überprüft werden. Entsprechende Genehmigungen müssten überarbeitet werden, hieß es. Nach polnischen Angaben haben derzeit mehrere hundert Betriebe die Erlaubnis, Abwasser in die Oder einzuleiten.

Die deutschen Experten dringen auch auf mehr Kontrolle und die Verbesserung grenzüberschreitender Warn- und Alarmpläne. Gleich auf den ersten Seiten ihres Berichts halten sie fest, warum ein Umdenken dringend geboten ist: «Das tatsächliche Ausmaß der Umweltschäden und die langfristigen Auswirkungen auf das Ökosystem können derzeit noch nicht quantifiziert werden.»

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