Maltas spektakulärster Mordfall, viele Verdächtige und wenig Klarheit

Foto: epa/Domenic Aquilina
Foto: epa/Domenic Aquilina

VALLETTA: Die Journalistin Daphne Caruana Galizia wurde 2017 im Auto in die Luft gesprengt. Seit einem halben Jahr ist ein mutmaßlicher Hintermann angeklagt - doch statt Klarheit gibt es immer wildere Spekulationen.

Der Autobomben-Anschlag auf die Journalistin Daphne Caruana Galizia in Malta liegt über 30 Monate zurück. Vor einem halben Jahr, im Dezember 2019, wurde klar, dass die Ermittlungen zum Auftragsmord an der regierungskritischen Bloggerin die Führung des flächenmäßig kleinsten EU-Landes zum Abgang zwingen würden. Jetzt hat das Gericht in Valletta nach einer Corona-Pause seine regelmäßigen Anhörungen im Vorfeld der geplanten Prozesse wieder aufgenommen.

Dabei brachte Kronzeuge Melvin Theuma plötzlich einen Ex-Minister als Hintermann der Tat neu ins Spiel. Dieser war schon mal in den Blick geraten - doch andere mächtige Männer schienen eher verdächtig. Gewaltkriminalität, Korruption, Politik und eine Tote mit vielen Feinden - die Justiz in Malta tut sich schwer mit dem spektakulären Mix des Falls.

«Es gibt viele offene Fragen in dieser Sache. Und ihre Zahl steigt», sagt der maltesische Blogger Manuel Delia. «Es wurden bisher schon zahlreiche Namen von möglichen Hintermännern der Tat genannt. Und viele davon wurden nie festgesetzt.» Auch Beobachter wie Reporter ohne Grenzen und der Autorenverband PEN International äußern sich beunruhigt. Sie appellierten Anfang Mai, wieder verstärkt Ermittler von Europol einzuschalten, um «erfolgreiche Resultate» zu erreichen.

Daphne Caruana Galizia war im Oktober 2017 in der Nähe ihres Hauses im Auto in die Luft gesprengt worden. Die 53-Jährige galt als eine der bekanntesten investigativen Reporterinnen des Landes. Mit ihren Recherchen war sie ein Dorn im Auge der regierenden Labour Partei und von Ministern, über die sie kritisch berichtete. Ihre Gegner sagen, sie habe unbewiesene Behauptungen verbreitet. Sie schrieb über Bestechungsvorwürfe, Ungereimtheiten beim Bau eines Kraftwerks, Wirtschaftskriminalität und angebliche Bordellbesuche. Und sie wurde anonym bedroht.

Kurz nach dem Anschlag schnappte die Polizei drei Männer. Diese werden beschuldigt, die Bombe am Auto angebracht und gezündet zu haben. Sie bestreiten die Vorwürfe. Bis Ende 2019 waren sie die einzigen, gegen die Angeklagte erhoben worden war.

Das änderte sich im November 2019, als die Polizei Melvin Theuma als weiteren Verdächtigen schnappte. Der Taxifahrer gibt selbst an, als Mittelsmann zwischen Mordbeteiligten agiert zu haben. Er erklärte sich bereit, Informationen zu liefern. Als Gegenleistung wurde ihm Immunität zugesichert.

Melvin Theuma sagte bei Vernehmungen aus, dass der Geschäftsmann Yorgen Fenech (38) den drei mutmaßlichen Tätern 150 000 Euro gezahlt habe, um die Bloggerin töten zu lassen. Theuma, der in einem Hotel von Fenech arbeitete, übergab der Justiz aufgezeichnete Gespräche mit seinem Ex-Chef.

Fenech, der mit der Politik gut vernetzt war, wurde auf einer Jacht festgenommen, beim Versuch, Malta im Morgengrauen zu verlassen. Die Justiz erhob am 30. November Anklage wegen Verabredung zum Mord. Fenech, der die Vorwürfe bestreitet, beschuldigt Berichten zufolge einen anderen einflussreichen Mann, Keith Schembri, als Auftraggeber. Schembri zog bis Ende 2019 als Stabschef des damaligen Premierministers Joseph Muscat (46) die Fäden in Valletta. Die Enthüllungsjournalistin hatte sowohl über Schembri als auch über Fenech geschrieben.

Die Ermittlungen sorgten für Aufruhr in dem katholisch geprägten Mittelmeerland mit seinen rund 500 000 Einwohnern. Menschen zogen protestierend durch die Hauptstadt Valletta. Kritiker warfen der Regierung Verzögerung der Aufklärung und Vertuschung vor. Im Januar 2020 machte der angeschlagene Premier Muskat einem neuen Regierungschef, Robert Abela (42), Platz. Auch der Polizeichef ging.

Die Anhörungen zu den Anklagen gegen Fenech und die mutmaßlichen Killer stießen weiter auf viel Interesse. Die Wahrheitssuche wurde aber wegen der Corona-Pandemie unterbrochen. Die Aufnahme der Befragungen zum Fall Fenech brachte dann Anfang Juni einen Knaller: Kronzeuge Theuma bezichtigte im fast leeren Gerichtssaal den Ex-Wirtschaftsminister Chris Cardona, ebenfalls 350.000 Euro an einen der mutmaßlichen Killer gezahlt zu haben.

Cardona war bis Januar in der Regierung und hat bis heute in der Labour Partei eine wichtige Rolle. Er wies die Vorwürfe in Interviews als Lügen zurück. Theuma erzähle Dinge aus bloßem «Hörensagen», sagte der Politiker der «Times of Malta». Und: «Ein ganz klares Nein», er sei nicht in den Mord verwickelt.

Verfahrensbeobachter Manuel Delia vermutet, dass die Vielzahl möglicher Drahtzieher für das Gericht später zum Problem werden könnte. Für das Attentat selbst gebe es Sachbeweise, sagt er. Bei der Suche nach dem «Mastermind» sei die Justiz bisher auf Beschuldigungen und Indizien angewiesen: «Wenn viele Leute als mögliche Auftraggeber involviert sind, kann es schwer werden, einen davon festzunageln.» Wirklich losgehen dürften die Prozesse wohl erst 2021.

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