Märchenstunde

Hallo Rentner! Du hast vierzig Jahre Maloche auf dem Buckel, immer brav von acht bis zwölf und von eins bis fünf. Privat war‘s auch nullachtfünfzehn: Heirat, Kinder, Bierbauch, Scheidung. Vielleicht nochmals von vorne – mit demselben Ergebnis, nur der Bauch ist noch größer geworden. Und jetzt hast du das alles hinter dir und fragst dich: „Was mache ich bloß den ganzen Tag?“

Irgendwann muss man ja aufstehen, dann Kaffee, Eier mit viel Speck, Glotze an: Schneefall bis in die Niederungen, Minusgrade noch im April, Unfälle, die üblichen Nasen aus Politik, Business und Lifestyle. Bei den neuesten Corona-Zahlen verpasst du es abzuschalten und bist plötzlich mitten in einer Doku über Phuket. Ah, Phuket, da warst du doch vor zwanzig Jahren mit deiner Ex. Sonne, Meer und Strände bis zum Abwinken und spottbillig. Bloß die Alte: Machte ständig Stunk, weil du den Weibern nachgeglotzt hast.

„Da fahr ich mal allein hin,“ sagtest du dir. „Wieso habe ich das vergessen?“

Zur Sonne, zur Freiheit

Du rufst deinen Kumpel Oliver an, der mit einer Thai verheiratet ist. „Hallo Oli, wie gehts, wie stehts denn so…?“ Oli: „Na ja, geht so, mir ist gekündigt worden...“ Du schweigst und hörst dir seine Geschichte an. Das Übliche halt: Seine Firma hat die Produktion ausgelagert, es wurde Rückbau genannt, Belegschaft inbegriffen. Er jammert noch ein bisschen herum, bis du ihn unterbrichst: „Und wie geht‘s Nicha?“ „Gut, sie ist schon drüben, ich muss hier noch drei Jahre die Stellung halten wegen des Geldes, dann bin ich auch weg.“

Na, geht doch, denkst und schaust dir die Doku nochmals an. Immer wenn die Kamera auf die Bar-Szene von Phuket zoomt, juckt es dich zwischen den Beinen. Falls dein Arm noch über den Bauch reicht, kratzt du dich ausgiebig.

Dann also nichts wie hin. Das bisschen Quarantäne sitzt du stoisch ab, zuhause würdest du ja auch nichts anderes machen. Nur das Bier fehlt dir, vielleicht bestichst du die Putzfrau, damit sie einen Eimer voll davon vor die Tür stellt.

Dann ist es endlich soweit:

Du beginnst mal mit Pattaya. Geil. Wieso lachen dich alle an? Zuhause haben sie durch dich hindurchgeschaut. Hier nicht, du hast eben das gewisse Etwas, ein Flair, das bisher unentdeckt blieb. Kann man nicht lernen, man hat es oder eben nicht.

Dann lernst du sie kennen. An einem Nachmittag hast du dich am Strand hingefläzt und bist eingeschlafen. Dass da ein besonderes Event, eine Schönheitskonkurrenz stattfand, bei der eine „Beauty of the Beach“ erkoren wurde, hast du nicht mitbekommen.

Ein gestrandeter Wal

Nui hatte es nicht ganz aufs Podest geschafft und war untröstlich, sie wurde nur vierte. In ihrem Schmerz wollte sie sich auf einen gestrandeten weißen Wal setzen, der schon ziemlich lange dort liegen musste und rot angelaufen war. Das war aber gar kein Wal, das warst du. Gentleman, der du bist, hast du sie getröstet. Wale sollen ja besonders sensible Wesen sein.

Am anderen Tag seid ihr mit einem schweren Gefährt den Strand entlanggebraust, Nui schmiegte sich an dich, ihre langen, schwarzen Haare wehten im Wind, Engelsflügeln gleich. „Wusste ich‘s doch“, jubelt es in dir, man hat es oder hat es nicht.

Dann ein paar Selfies, du und Nui auf dem heißen Stuhl, lachend, strahlend – und ab die Post in die Heimat zu den Kumpels in Schnee und Eis. Von denen hörst du nie mehr etwas, nicht mal von Oliver. Zu viel ist zu viel. Sei‘s drum.

Geh wohin dein Herz dich trägt

Ein paar Wochen später hat Nui Heimweh. Sie möchte dich ihren Eltern im Isaan vorstellen. Das geht dir alles ein bisschen zu schnell, aber auch eine innere Stimme meldet sich: „Geh wohin dein Herz dich trägt!“ Damit ist alles klar, denn du weißt: So eine Chance kommt nie wieder und los geht‘s.

Vor einem stattlichen Haus wartet ein ebenso stattlicher Mann: Ihr Vater. Du kannst in seinen Augen lesen, was er denkt. Was will meine Tochter von dem alten Fettsack?

Man bleibt aber höflich, tauscht Geschenke aus und du bemerkst mit Entsetzen, dass man sich ähnelt. Groß und fett seid ihr beide und etwa im gleichen Alter. Und man teilt Interessen.

Der Vater betreibt eine kleine Brauerei, die er in den 70ern von einem Münchner erworben hat, der sie als Amateur zum Zeitvertreib betrieben hat. Er hat sie unverändert gelassen und versorgt den lokalen Markt mit Bier.

Ein kurzer Rundgang durch die Kellerei, die in einen Felsen hineingetrieben wurde, bestätigt dir: Da hat es Potenzial. Und du kennst dich aus. Beim Bier macht dir keiner was vor, sowohl bei der Herstellung wie auch beim Konsum.

Du steigst als Partner in den Familienbetrieb ein, ein weiterer Keller wird in den Felsen getrieben, das Unternehmen floriert und expandiert.

Auch privat geht es voran: Du heiratest Nui, eine Tochter wird geboren, sie heißt Rosamunde, das Bier Pilcher, Pilcherbräu. Jetzt wachst du auf und versuchst dich zu erinnern. Pilcherbräu? Nie gehört.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Hans Breitrainer 23.05.21 10:20
Lustige Geschichte
Khun Resjek, das ist eine super lustige Geschichte. Mir tut schon der Bauch weh vom Lachen.