Lula will «Friedensclub» gründen

​Verweigert Scholz Munition 

Brasilias Präsident Lula da Silva empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: epa/Andre Borges
Brasilias Präsident Lula da Silva empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: epa/Andre Borges

BRASÍLIA: «Ihr habt gefehlt.» Mit diesen Worten begrüßt Kanzler Scholz Brasilien nach den schwierigen Bolsonaro-Jahren zurück auf der Weltbühne. Beim ersten Treffen mit dem neuen Präsidenten Lula läuft aber längst nicht alles so rund wie erhofft.

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die Bitte von Bundeskanzler Olaf Scholz um Panzer-Munition für die Ukraine abgelehnt und sich stattdessen für eine Friedensinitiative stark gemacht. «Brasilien ist ein Land des Friedens. Und deswegen will Brasilien keinerlei Beteiligung an diesem Krieg - auch nicht indirekt», sagte Lula beim Besuch des Kanzlers in Brasília zum deutschen Wunsch nach Munition für die von der Ukraine eingesetzten Gepard-Flugabwehrpanzer. Stattdessen brachte er am Montagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Brasilien und China als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine ins Spiel. «Ich schlage vor, einen Club von Ländern zu gründen, die den Frieden auf diesem Planeten schaffen wollen.»

Scholz betonte, dass es keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben könne und das Land als Folge des Krieges kein Territorium verlieren dürfe. Zum Abschluss seiner viertägigen Südamerika-Reise verteidigte er am Dienstag noch einmal seine Strategie, die Ukraine auch mit Waffen zu unterstützen. «Dieser Angriffskrieg, dieser imperialistische Krieg darf keinen Erfolg haben», sagte er. Scholz hatte vor Brasilien auch Chile und Argentinien besucht. Alle drei Länder wollen keine eigenen Waffen in die Ukraine liefern.

Ukraine lehnt Verhandlungen in derzeitiger Lage ab

Die Ukraine lehnt Verhandlungen ab, solange die russischen Truppen sich nicht vollständig von ukrainischem Gebiet zurückgezogen haben - inklusive der Krim. Die russische Führung hatte nach der Ankündigung Deutschlands und anderer westlicher Staaten, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, zuletzt ebenfalls Abstand von der Idee von Friedensverhandlungen genommen.

Um die brasilianische Munition für die Gepard-Panzer bemüht die Bundesregierung sich bereits seit April 2022. Damals hoffte man auf bis zu 300.000 Schuss. Deutschland hat 30 Gepard-Flugabwehrpanzer in die Ukraine geliefert und sieben weitere zugesagt. Die Munition dafür ist allerdings knapp, eine neue Fabrik des Rüstungsunternehmens Rheinmetall für die Herstellung von Nachschub entsteht zwar derzeit in Niedersachsen. Die Fertigung soll aber erst im Juni beginnen. Aus einer Übergangsversorgung aus Brasilien wird nun nichts.

Lula macht die Ukraine mitverantwortlich für den Krieg

Lula machte klar, dass er anders als die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten auf Verhandlungen statt Waffenlieferungen setzt. Über seine Friedensinitiative habe er schon mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesprochen und wolle sie noch US-Präsident Joe Biden und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping vorstellen. Der Linkspolitiker machte erneut die Ukraine mitverantwortlich für den russischen Angriffskrieg. Zwar habe Russland «den klassischen Fehler begangen, in das Territorium eines anderen Landes einzudringen», sagte er. «Aber ich denke immer noch: «Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.»»

Bereits im Mai 2022 hatte Lula in einem Interview des «Time»-Magazins über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesagt: «Dieser Typ ist für den Krieg genauso verantwortlich wie Putin.» In einer schriftlichen Erklärung verurteilten Scholz und Lula immerhin den russischen Angriff auf die Ukraine und die illegale Annexion von Territorium im Osten und Süden des Landes. Der Kanzler sagte, er werde sich weiter darum bemühen, dass sich diese Sicht auf den Ukraine-Krieg in der Welt durchsetzt.

Scholz als erster Regierungschef beim neuen Präsidenten

Scholz war der erste Regierungschef, der Lula seit dessen Vereidigung am 1. Januar besuchte. Der 77-Jährige, der Brasilien schon von 2003 bis 2011 regierte, hatte sich in einer Stichwahl gegen den rechten Jair Bolsonaro durchgesetzt. Der «Donald Trump der Tropen» hatte sich mit seiner Abschottungspolitik international weitgehend isoliert. In Lula werden jetzt große Hoffnungen gesetzt, vor allem was den Kampf gegen den Klimawandel angeht, für den Brasilien mit seinen tropischen Regenwäldern eine zentrale Rolle einnimmt.

Scholz versprach Lula Unterstützung bei seinen Bemühungen, die Abholzung der Wälder für landwirtschaftliche Zwecke zu bremsen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), die Scholz in Brasília begleitete, sagte 200 Millionen Euro dafür zu. Der Kanzler stellte weitere Hilfen in Aussicht, ohne konkret zu werden.

Scholz spricht von «neuem Kapitel» in den Beziehungen

Für den Herbst kündigte Scholz eine Wiederaufnahme der deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen an, die nach der Premiere 2015 während der Regierungszeit Bolsonaros ausgesetzt wurden. Er sprach von einem «neuen Kapitel» in den Beziehungen der beiden Länder. «Wir freuen uns alle, dass Brasilien zurück auf der Weltbühne ist», sagte er. «Ihr habt gefehlt, lieber Lula.» Der brasilianische Staatschef umarmte ihn nach diesen Worten spontan.

Scholz ging auch auf die Angriffe auf Regierungsinstitutionen in Brasília am 8. Januar dieses Jahres ein und sagte Lula Unterstützung bei der Verteidigung der Demokratie zu. «Demokratinnen und Demokraten müssen eng zusammenstehen», sagte er.

Am 8. Januar hatten Tausende Bolsonaro-Anhänger das Regierungsviertel in Brasília gestürmt. Sie drangen in den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto ein, randalierten in Büros und Sitzungssälen. Die Spuren waren beim Scholz-Besuch noch sichtbar. Die Fensterfront in Lulas Präsidentenpalast ist mit vielen Holzplatten ausgebessert. Der Palast wurde allerdings so weit wieder hergerichtet, dass Besucher aus dem Ausland empfangen werden können.

Lula dringt auf schnellen Abschluss des Freihandelsabkommens

Die Meinungsverschiedenheiten in Sachen Ukraine-Krieg trübten den Neuanfang in den deutsch-brasilianischen Beziehungen, von dem man sich auch wirtschaftliche Impulse erhofft. Dazu soll der Abschluss des auf Eis liegenden Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur und der Europäischen Union beitragen. Lula forderte eine schnelle Finalisierung, machte aber auch deutlich, dass er ein Entgegenkommen der Europäer erwarte. «Wir werden versuchen, den Europäern zu zeigen, wie flexibel wir sind. Und wir wollen, dass die Europäer uns zeigen, wie flexibel sie sind.»

Die EU verhandelt mit dem Mercosur - zu dem Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gehören - schon seit 1999 über das Abkommen, mit dem eine der größten Freihandelszonen der Welt mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen würde.

Lula zieht rote Linie: Kein 1:7 mehr - höchstens 0:0

Für die weitere Entwicklung der deutsch-brasilianischen Beziehungen zog Lula schließlich noch eine ganz klare rote Linie, die mit Politik aber nichts zu tun hat: «Das Einzige, was nicht passieren darf, ist, dass Deutschland in Brasilien spielt und die brasilianische Nationalmannschaft mit 7:1 besiegt», sagte er mit Blick auf das verlorene Halbfinale bei der Fußball-WM im eigenen Land 2014. «Wenn sie [die Deutschen] nach Brasilien kommen, können sie höchstens ein 0:0-Unentschieden erreichen, das ist genug.»

Scholz beendete seinen Südamerika-Besuch am Dienstagnachmittag und wird am Mittwochmorgen in Berlin zurückerwartet.

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David Ender 03.02.23 21:20
Die Thomas Syltenschen Thesen ...
... wollen uns einreden, dass Demokratien die einer ueberfallenen Nation Nothilfe leisten damit zu "Autokratien" werden. Sehr spannend. Werden denn nach der Sylten-Logik auch umgekehrt Diktaturen wie Nordkorea oder Iran nun zu Demokratien wenn sie dem Aggressor Russland Raketen, Drohnen und Granaten liefern? Wurden denn Demokratien wie Grossbritannien, Kanada, Australien oder USA im 2ten Weltkrieg auch zu Diktaturen als sie sich der autokratischen Achse Deutschland-Italien-Japan entgegenstellten? Auf welcher Logik bauen derartige Thesen zum Thema "wehrhafte Demokratie" eigentlich auf? Auf welchem Planeten gilt solch eine kognitive Schwerkraft konkret? ... Und wenn wir schon bei Humorigem sind: Ein "Friedens-Club" auf Initiative eines korrupten Marxisten in Brasilien mit besten Kontakten nach Moskau, Caracas und Peking und auch noch (Zitat) "neutral" zwischen einem imperialem Aggressor und seinem Opfer im aktuellen Ukrainekrieg: Die Erfahrung aus der Geschichte beweist uns ja, dass Diktatoren stets die groessten Friedensstifter sind! Deswegen gibt es ja auch staendig so viele Kriege zwischen Demokratien, oder?
Thomas Sylten 03.02.23 00:00
Während Herr Ender den Demokratien empfiehlt sich einfach zu Autokratien zu entwickeln, um gegen diese zu bestehen, erklärt Herr Kerp den durchaus erfahrenen Brasilianischen Präsidenten kurzweg zum Kasperle.
Wie unterschiedlich man doch denselben Sachverhalt beurteilen kann: Ich bin froh dass ein großer Teil der Welt vernünftig bleibt und sich dem Frieden verpflichtet fühlt - auch wenn das Schwierigkeiten mit manchen "Freunden" verspricht. Als Vermittler eignen sich nun mal nur Länder, die nicht von vornherein parteiisch sind - weshalb Lula sich nicht zu einer Seite hin verführen und "verbrennenn" lässt. Ich hoffe sehr dass es ihm gelingt, viele Länder in seinem "Friedensclub" zu vereinen. Denn das ist bislang der einzige Plan, der mir verantwortlich und zukunftsweisend erscheint.
Ingo Kerp 01.02.23 12:30
Lula ist wieder am Ruder und zeigt der Welt sogleich, wie der, nein, sein Hase läuft. Klimaclub, von Scholz vorgeschlagen, lehnt er ab. Klar, das Holz bringt viel zu viel Geld ein und langfristige Verträge sind geschlossen. Stattdessen einen Friedensclub. Das hoert sich von ihm wie ein Kasperletheater an. So hat er den Scholz auch gehoerig vorgeführt und in allen Punkten widersprochen. Mit Lula ist nicht zu rechnen, was die westl. Allianz gegen RUS oder CHN anbelangt. Er ist schmerzfrei gegenüber despotischen Regimen.
David Ender 01.02.23 09:00
"Frieden" durch Diktatur
Tja, da ist der linkspopulistische Praesident mit raetselhaft finanziertem Luxus-Penthouse in Rio aber auf einer ganz heissen Spur: Ein Friedens-Club mit China und womoeglich anderen befreundeten Diktaturen? Zwar war an jedem Krieg der Geschichte mindestens eine Diktatur beteiligt und gab es umgekehrt keinen einzigen Krieg zwischen zwei Demokratien, doch "wahren Frieden" findet man als linker Theoretiker natuerlich bloss in der Kapitulation vor nackter Diktatur. Nordkorea lliefert an die russischen Invasoren, Iran liefert in die Ukraine. China wuerde gerne, traut sich aber nicht aus Angst vor ihren groessten Abnehmern USA und EU. Im autokratischen Block gibt es keine moralisierende Diskussion ueber Waffenlieferungen. Die freie Welt verschwendet ihre Zeit. Spaetestens seit 1939 sollten wir begriffen haben, dass Chamberlainismus nicht funktioniert. Was ein bekennender Marxist wie Lula "begreift" sollten wir getrost ignorieren. Und die Gepard Munition eben wieder in D produzieren. Gut so!