Löw mit Spezialplan gegen Grande Nation

«Ich liebe solche Spiele»

«Jetzt erst recht.» Der verletzte Gomez gibt das Motto vor. Chef Löw klagt nicht über Ausfälle, sondern will mit einem Spezialplan wie 2014 einen euphorisierten Gastgeber aus dem Turnier kegeln. Foto: epa/Arne Dedert
«Jetzt erst recht.» Der verletzte Gomez gibt das Motto vor. Chef Löw klagt nicht über Ausfälle, sondern will mit einem Spezialplan wie 2014 einen euphorisierten Gastgeber aus dem Turnier kegeln. Foto: epa/Arne Dedert

ÉVIAN-LES-BAINS (dpa) - Joachim Löw lächelte die Sorgen einfach weg. Ungeachtet der eigenen Verletzungsprobleme und der bärenstarken Franzosen als Halbfinalgegner sieht der Bundestrainer für seine Fußball-Weltmeister beste Chancen, auch bei der Europameisterschaft den eingeschlagenen Weg bis zum Ende zu gehen.

«In Brasilien war es genauso im Halbfinale. Da hat ein ganzes Land mit 200 Millionen Menschen hinter dem Team gestanden. Da sind wir gut klargekommen. Jetzt werden wir auch klarkommen», erklärte Löw am Montag mit Hinweis auf das Jahrhundertwerk beim 7:1 gegen den WM-Gastgeber von 2014. Am Donnerstag (21.00 Uhr/ZDF) will die deutsche Nationalmannschaft in Marseille wieder einen euphorisierten Turnierausrichter ausschalten.

Nach dem schmerzlichen Aus für Mario Gomez und der Gelbsperre von Mats Hummels muss Löw gegen einen Mitfavoriten auf den EURO-Titel im heißen Stade Vélodrome von Marseille definitiv auch auf Abräumer Sami Khedira (Adduktorenverletzung) verzichten. Dazu würde ein Einsatz von Bastian Schweinsteiger derzeit wie ein Wunder wirken. Der Kapitän hatte sich beim Viertelfinal-Krimi gegen Italien wieder an seinem zuletzt mehrfach lädierten rechten Knie verletzt. Am Montag radelte der 31 Jahre alte Routinier nur im Fitnesszelt. «Klar, wir müssen Veränderungen vornehmen», sagte Löw in Évian-les-Bains und wirkte dabei keineswegs besonders besorgt.

Der Chef des deutschen EM-Unternehmens hat einen Spezialplan gegen die Grande Nation schon im Kopf. Mit den Ausfällen wollen sich weder Trainer noch Team weiter beschäftigen. «Verletzungen registrieren wir, aber das nehmen wir an», betonte Löw: «Wir wissen, was wir tun müssen.» So lief schon 35 Stunden nach dem XXL-Elfmeterschießen gegen die Squadra Azzurra im Stade Camille Fournier des Kurortes Évian die Vorbereitung auf das Semifinale gegen weiter verbesserte Franzosen an. «Diejenigen, die nicht gespielt haben, brauchen Belastung. Weil zwei, drei vielleicht am Donnerstag spielen», kündigte Löw eher nebenbei den möglichen Einsatz einiger noch nicht gebrachter Spezialkräfte an.

Vor allem für die Mittelfeldzentrale braucht der Bundestrainer gegen den zweimaligen Europameister Frankreich (1984 und 2000) eine Lösung neben dem norddeutsch-coolen Toni Kroos. Zwar sprach Löw noch von einer geringen Hoffnung für Veteran Schweinsteiger: «Ich wünsche mir, dass es Bastian schafft. Er kann uns viel geben.» Gleichzeitig aber unterstrich der Freiburger: «Spieler, die angeschlagen sind, die nicht hundert Prozent belastbar sind, lasse ich definitiv nicht spielen.»

In einem K.o.-Spiel gegen Weltklasse-Franzosen könne er sich keinen frühzeitigen Wechsel eines Spielers erlauben, der schon angeschlagen ins Spiel geht. Diesen Fehler habe er als Bundestrainer vor Jahren schon einmal gemacht. «Den Fehler mache ich nicht mehr», betonte Löw. Einmal war auch Schweinsteiger beteiligt, der vor vier Jahren vor dem dann verlorenen EM-Halbfinale wegen einer Blessur am Sprunggelenk seinen freiwilligen Verzicht angeboten hatte. Löw stellte seinen «emotionalen Leader» damals trotzdem auf - Italien siegte 2:1.

Vermutlich wird Löw einen Turnierneuling auf die Khedira-Position beordern. Als Kandidaten nannte der 56-Jährige den robusten Emre Can (22) vom FC Liverpool und den ballsicheren Dortmunder Julian Weigl (20). Joshua Kimmich (21) dagegen sei für diese Position keine Option, der Bayern-Profi soll weiter die rechte Außenbahn beackern.

Vielleicht hat Löw aber mit dem jungen Leroy Sané etwas Besonderes vor. Bei dem durch die Terroranschläge überschatteten Testspiel gegen die Franzosen im November des Vorjahres in Paris (0:2) hatte der Schalker als Probe sein Länderspieldebüt erlebt. Dachte Löw da schon weiter?

«Ähnlich wie gegen Italien begegnen sich zwei Mannschaften auf Augenhöhe. Beide haben eine klare Ausrichtung. Die Franzosen spielen nicht ganz so defensiv, haben starke Spieler nach vorn. Ich liebe solche Spiele gegen so starke Mannschaften», sagte Löw - und lächelte wieder. «Sie strotzen vor Selbstbewusstsein. Sie haben in Marseille ein fantastisches Publikum hinter sich. Die Mannschaft hat Dynamik, unheimlich viel Kraft und Wucht», lobte er die Franzosen.

Natürlich werde sich sein Matchplan auch danach richten, sagte Löw und konterte damit zugleich Kritik an seiner Spielausrichtung gegen Italien: «Man kann ja nicht ins Spiel gehen und sagen, wir spielen wie immer, es geht nur um unsere eigenen Stärken. Der Gegner ist uns eigentlich völlig egal. Das wäre ja fahrlässig, das wäre völlig naiv und unprofessionell», erklärte Löw. «Das bereiten unsere Leute sehr gut vor - wie der Urs und sein Stab.» ARD-Experte Mehmet Scholl war speziell DFB-Scout Urs Siegenthaler hart angegangen. «Das finde ich nicht in Ordnung», konterte Löw.

Die Konkurrenz weiß: Deutschland hat schon sieben EM-Halbfinals gespielt und sechs (!) davon gewonnen. Der traurige Gomez, der weiter beim Team bleibt, gab nach den personellen Negativ-Nachrichten das Motto für den achten Versuch vor: «Jetzt erst recht», verbreitete der verletzte Torjäger vor dem hochemotionalen Duell gegen den EM-Gastgeber: «Nur noch ein Schritt bis zum Finale.»

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