Lockerungen bringen keine Normalität

Foto: epa/Abedin Taherkenareh
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TEHERAN: Corona hin, Virus her: Ruhani will die Islamische Republik zurück zur Normalität führen. Doch viele Bürger trauen dem Braten nicht: Der Beginn der zweiten Phase am Samstag brachte zwar offene Geschäfte, aber die Kunden blieben weg. Zu groß ist die Angst vor Ansteckung.

Trotz verbreiteter Skepsis der Bevölkerung hat der Iran die Beschränkungen des öffentlichen Lebens wegen der Corona-Krise am Samstag in Teheran gelockert. Mit Beginn der zweiten Phase der angeordneten Normalisierung nahmen viele Wirtschaftszweige die Arbeit wieder auf und Geschäfte öffneten wieder. Doch eine Rückkehr zur Normalität gab es in der iranischen Hauptstadt nicht. Viele Geschäfte blieben leer, denn viele Teheraner blieben lieber zu Hause, um sich nicht mit dem Corona-Virus anzustecken.

Präsident Hassan Ruhani will das schon vor der Corona-Seuche von einer schweren Wirtschaftskrise gebeutelte Land in drei Phasen wieder zur Normalität zurückführen und die Wirtschaft allmählich wieder hochfahren. In der ersten Phase wurden letzte Woche in den Provinzen Geschäfte mit geringem Gefährdungsrisiko wieder geöffnet. In der zweiten Phase war am Samstag Teheran dran. Es bleibt ein Experiment. Auf der Basis der Ergebnisse soll dann in einer dritten Phase über die weiter verbotenen Gewerbe, die Schulen und Universitäten und die Sportwettbewerbe entschieden werden.

Ruhanis Entscheidung der Lockerung stieß auf sehr viel Kritik. Die Regierung solle nicht wegen der Wirtschaft die Gesundheit der Menschen riskieren, sagen Kritiker. «Keiner kann uns vorwerfen, dass wir nicht auf die Gesundheit der Menschen achten, aber verhungern sollten sie auch nicht», konterte Ruhani. Jetzt gehe es darum, unter besonders strengen hygienischen Auflagen «sowohl Corona als auch die Arbeitslosigkeit» zu bekämpfen.

So richtig springt der Funke noch nicht über. «Wenn niemand mehr ausgehen darf, kauft er sich auch keine neuen Klamotten und Schuhe mehr», sagt Navid S., Besitzer einer Boutique im Tadschrisch Basar. «Da nützt mir jetzt die Eröffnung meines Geschäfts auch nicht viel.» Wegen der Kontaktbeschränkungen finden im Iran keine Feiern statt; Restaurants und Cafés sind geschlossen. «Und zu Hause laufen sie alle mit ihren ausgeleierten T-Shirts und Trainingshosen rum», meint der frustrierte 38-Jährige.

Die Teheraner Straßen waren am Samstag zwar wieder voller als in den vergangenen Wochen, aber der früher übliche Verkehrsstau blieb aus. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel zählten weitaus weniger Passagiere als sonst. Das von der Regierung dringend geforderte Abstand halten wurde von den meisten Hauptstädtern eingehalten. Die meisten trugen Schutzmasken und Plastikhandschuhe. Nur in einigen Ämtern wurde die Distanz nicht gewahrt, was zu wütenden Protesten von Beamten und Antragstellern führte.

In den Bussen durfte auf einem Zweiersitz nur einer Platz nehmen, auch in den Gängen sollte zumindest ein Meter Abstand gehalten werden. In vielen Bussen wurde dies auch befolgt, aber in der Stadtmitte, wo es mehr Fahrgäste gibt, wurde das «Social-Distancing» total ignoriert. Genauso war es in den U-Bahnen.

«Ich hatte das mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schon befürchtet und fuhr dann doch lieber mit meinem eigenen Auto», sagte die Supermarkt-Managerin Manidscheh H. Mit dem Taxi wollte sie auch nicht fahren, denn einerseits sind die teurer, andererseits hatte sie auch da Angst vor einer Ansteckung. So dachten wohl viele, denn trotz der Wiedereröffnung der Geschäfte warteten die meisten Taxis und Minibusse in Teheran vergeblich auf Kundschaft.

Das Corona-Virus hat den Iran besonders stark getroffen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Samstag sind mehr als 5000 Menschen an den Folgen der Corona-Infektion gestorben, die Zahl der registrierten Infizierten stieg auf rund 80.000. Die regimefeindlichen Volksmudschaheddin gaben die Zahl der Corona-Toten am Sonntag mit 31.500 in 294 Städten an. Alleine in Teheran seien 5190 Menschen gestorben, in Isfahan 2210, hieß es.

Die Pandemie hat etwa 70 Prozent der iranischen Wirtschaft lahmgelegt. Doch das Gesundheitsministerium ist von den Lockerungsplänen des Präsidenten weniger begeistert. Dass die Zahl der Opfer von über 150 auf unter 80 am Tag sank und die der Infizierten von fast 3000 auf weniger als 1400 gut halbiert wurde, seien positive Ergebnisse der Beschränkungen. Eine Lockerung könnte zu einer zweiten Ansteckungswelle führen, so die Befürchtungen.

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