Wer hat mit 50 Jahren ans Alter gedacht? Wer denkt mit 70 Jahren schon an den Tod? Wir wollen doch alle ewig leben, aber dabei nicht alt werden. Willkommen im Club!
Wenn man sich plötzlich in einem Umfeld befindet, in dem alle schon alt und relativ gleich alt sind, dann merkt man möglicherweise gar nicht mehr, dass man alt ist. War ich nicht gestern noch…? Nein, wir beziehen schon seit vielen Jahren Rente oder Pension. Wir leben mit einer Restlaufzeit. Und es ist gut, sich damit abzufinden. Besser ist es noch, sich darauf vorzubereiten. Dazu gehört es, ein Testament zu erstellen, dazu gehört auch, festzulegen, was nach dem Tod mit einem passieren soll: Seebestattung, Einäscherung, Beerdigung in der Heimat oder anonyme Beisetzung. Alter bedeutet immer gewisse Einschränkungen. Nichts ist mehr wie früher. Viele tun so, als ob alles noch wie immer ist. Ich gehöre auch dazu, aber es stimmt ja nicht. Wer es trotzdem schafft, positiv zu denken und so zu leben, ist gut dran. Und in der Tat, es gibt viele Dinge, die man sich erst im Alter erlauben kann: Die meisten Menschen müssen zu Arbeit gehen, während ich noch im warmen Bett vor mich hindöse. Sie müssen jeden Tag arbeiten, während ich gut von meiner Rente leben kann. Sie haben Verpflichtungen, ich kann darauf verzichten. Solange man im Alter nicht allein ist, krank oder arm, kann dieser Abschnitt zur schönsten Zeit des Lebens gehören. Im Kreis der vertrauten Freunde wird alles besprochen, was von Interesse ist. Ich erfahre etwas von ihnen, sie erfahren etwas von mir. Am Ende haben wir uns alle ausgetauscht und voneinander profitiert. Wir haben auch schon den einen oder anderen aus unserem Kreis verloren. Wir haben Anteil genommen, wenn der eine oder die andere sich verabschiedet hatte. In unserem Alter ist das normal. Manchmal gibt es irgendeinen Nachruf, manchmal passiert das alles im Stillen. Für mich ist das in Ordnung. Ich habe ein großartiges Leben geführt. Was danach kommt, hat mich nicht zu interessieren, obwohl ich einige Vorbereitungen getroffen habe. Und wenn ich das Weltgeschehen genau betrachte, wenn ich bemerke, wie diese Welt sich verändert, dann weiß ich genau, dass ich die beste Zeit auf dieser Erde erlebt habe. Was jetzt auf diese Welt zukommt, das möchte ich gar nicht mehr erleben.
Alt zu sein kann wie die Jugend oder das mittlere Alter eine wunderschöne Zeit sein, wenn man bereit ist, sie entsprechend zu gestalten. Ich bin so ein alter Knacker, aber ich freue mich jeden Morgen am neuen Leben. Ohne jegliche Verpflichtung kann ich jeden Tag nach meinen Wünschen gestalten. Mal gehe ich mit Freunden aus, esse mit ihnen oder trinke einen guten Wein, mal bleibe ich in meiner Wohnung und lese einen neuen Roman oder schalte den Fernseher ein. Wie lange noch? Ich weiß es nicht. Es interessiert mich auch nicht. Ich lebe heute, im Bewusstsein, dass meine Tage gezählt sind. Ich lebe ohne Angst vor dem Tod. Ich weiß, das unterscheidet mich von vielen anderen Zeitgenossen. Aber für mich gehört der Tod zum Leben wie die Geburt. Und die Zeit dazwischen ist dafür da, das Beste daraus zu machen. Das habe ich getan, und deshalb bin ich auch absolut damit einverstanden, wenn es morgen vorbei ist. Ich kenne viele Gleichaltrige, die nicht nur Angst vor dem Tod haben, die nicht einmal bereit sind, darüber zu reden. Traurig. Sie versäumen einen wesentlichen Teil ihres Lebens und begreifen offensichtlich nicht einmal wie alles zusammengehört. Ich bin alt genug. Ich habe alles erlebt, was in meinem Leben wichtig war. Und alles, was ich nicht erlebt habe, das war auch nicht wichtig. Meine Freunde sehen das anders: „Du warst noch nie in Singapur.“ Na, und? Aber ich war in Kenia, in Ungarn, in England, in Frankreich, in Kolumbien und in vielen anderen Ländern. Was soll es denn, wenn ich das eine oder andere Land nicht gesehen habe? Inzwischen gleichen die Städte sich doch so, als hätte ein einziger Architekt sie alle erbaut. Ob ich nach New York fahre oder nach Delhi, sie gleichen sich wie Zwillinge. Warum sollte ich deshalb noch nach Singapur fahren? Ich habe mich entschlossen, auf weite Reisen zu verzichten. Meine Freunde versuchen immer wieder, mich zu animieren, mit ihnen zu fahren. Sie sind heute hier und morgen dort. Ein Horror für mich, abends den Koffer auszupacken, und ihn morgens wieder einzupacken. Ne, Leute, da bleibe ich lieber zuhause, drehe mich nochmal im Bett um, und döse vor mich hin. Wer so alt ist wie ich, und wer sein Leben so gelebt hat wie ich, der muss sich darum keine Gedanken mehr machen. Okay, ich gebe zu, nicht jeder hatte die Chance wie ich, oder er hat sie nicht genutzt. Ich hatte das Glück, wunderbare Angebote zu haben, aber gleichzeitig eigene Projekte zu initiieren. Das schreibe ich nicht, um anzugeben, sondern um zu zeigen, dass jeder die Chance hat, etwas Außerordentliches zu tun. Mir geht es darum, jungen Leuten beizubringen, dass sie alle Chancen haben, und dass sie diese auch nutzen sollen, denn niemand ist seines Glückes Schmied, aber jeder schmiedet sich sein eigenes Leben.