Literaturnobelpreis für dieses Jahr abgesagt

Archivbild: Foto: epa/Mike Nelson
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STOCKHOLM (dpa) - Die Konsequenz aus dem Belästigungsskandal der Schwedischen Akademie ist gravierend. Die Jury für den Literaturnobelpreis nimmt sich eine Denk- und Reformpause. Es geht um verlorenes Ansehen und den Ruf des ehrwürdigen Preises.

Erstmals seit fast 70 Jahren wird im Herbst kein Literaturnobelpreis verliehen. Die Schwedische Akademie verschob die Vergabe 2018 wegen ihrer schweren internen Krise auf 2019. Dann sollen gleich zwei Preisträger verkündet werden, wie das Jury-Gremium am Freitag mitteilte. «Wir halten es für nötig, Zeit zu investieren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie wieder herzustellen, bevor der nächste Preisträger verkündet werden kann», erklärte der Interims-Vorsitzende Anders Olsson.

Grund für die Absage ist ein Skandal um Missbrauchsvorwürfe, Korruption und die Rücktritte zahlreicher Akademie-Mitglieder. Die Entscheidung sei im Hinblick sowohl auf die derzeit geringe Zahl an Mitgliedern, als auch auf das verlorene Vertrauen der Öffentlichkeit gefallen, erklärte die Schwedische Akademie, die seit 1901 den Träger des Literaturnobelpreises auswählt. Bereits zuvor hatte das Gremium zugegeben: «Das Ansehen des Literaturnobelpreises hat großen Schaden genommen.»

18 Frauen hatten dem Mann von Akademiemitglied Katarina Frostenson sexuelle Belästigung vorgeworfen. Eine Untersuchung bestätigte «unakzeptables Verhalten in Form von unerwünschter Intimität». Nach Berichten schwedischer Medien soll der Franzose auch Kronprinzessin Victoria an den Po gefasst haben. Außerdem soll Frostenson über Fördergelder für den Kulturverein ihres Mannes mitentschieden haben.

Mehrere Jurymitglieder legten ihre Arbeit nieder, weil sie nicht damit einverstanden waren, wie glimpflich das Paar davonkommen sollte. Auch die ständige Sekretärin Sara Danius musste gehen. Aktuell sind nur noch zehn der einst 18 Mitglieder aktiv.

Die Arbeit an der Auswahl des Preisträgers 2018 sei zwar bereits weit fortgeschritten, teilte die Akademie nun mit. Man wolle aber mehr Mitglieder an der Entscheidung beteiligen und Vertrauen zurückgewinnen, bevor ein Nobelpreisträger genannt werden könne.

Die Nobelstiftung, die das Preisgeld für alle fünf Nobelpreise verwaltet, unterstützte die Entscheidung der Akademie. Die Verleihung der anderen Nobelpreise ist nicht betroffen, sie werden von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften und einem Friedensnobelpreis-Komitee in Norwegen vergeben.

Ehemalige und aktuelle Akademie-Mitglieder äußerten sich nach der Entscheidung am Freitag weitgehend positiv und erleichtert. An seinem Entschluss, die Arbeit in der Akademie niederzulegen, habe sich vorerst aber nichts geändert, sagte der frühere Ständige Sekretär Peter Englund dem schwedischen Radio. Auch König Carl XVI. Gustaf zeigte sich zufrieden. Regierungschef Stefan Löfven dagegen warnte, Skandal und Nobelpreis-Absage seien gar nicht gut für Schwedens Ansehen in der Welt.

Der deutsche Kritiker Denis Scheck sieht die Absage mit gemischten Gefühlen. «Das ist eine schlechte Nachricht für all die würdigen Nobelpreiskandidaten - angefangen bei Philip Roth, Don DeLillo und Thomas Pynchon», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Aber das Gaudi zu sehen, wie sich diese Akademie selbst zerlegt, wiegt die entgangene Auszeichnung fast auf.»

«Da muss einfach mal ausgemistet werden, einmal mit dem Besen durch, dann machen wir weiter», sagte Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Im Gegensatz zum Musikpreis Echo sei der Literaturnobelpreis ein Qualitätspreis, der erhalten werden müsse. Auch Schriftsteller Martin Walser gab sich optimistisch: «Die Akademie wird sich umorganisieren, und dann wird alles weitergehen wie bisher.»

Deutschlands Buchhändler bedauern den Beschluss der Akademie. Es sei aber «jetzt wichtig, dass sich die Akademie neu aufstellt und zur Ruhe kommt, um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederzugewinnen und die Preisvergabe für die Zukunft zu sichern», sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Samstag). Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) äußerte Verständnis für die Pause. «Der glänzende Ruf des Literaturnobelpreises ist eng verbunden mit dem des renommierten Komitees, das ihn verleiht. Man muss dessen Entscheidungen nicht in jedem Fall teilen, an seiner moralischen Integrität darf jedoch kein Zweifel bestehen», sagte Grütters dem RND.

Der Literaturpreis wird nicht zum ersten Mal abgesagt, zuletzt wurde er von 1940 bis 1943 wegen des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht vergeben. Mehrmals wurde er zudem um ein Jahr verschoben, zuletzt 1949. Die Akademie erklärte damals, es sei kein würdiger Preisträger gefunden worden.

Für einen solchen Fall sehen die Nobelstatuten ausdrücklich vor, dass das Preisgeld bis zum Folgejahr aufbewahrt und dann vergeben werden kann. Diese Ausnahme könne auch gemacht werden, «wenn eine der preisverleihenden Institutionen in einer so gravierenden Lage ist, dass eine Preisentscheidung nicht als glaubwürdig vernommen würde», teilte die Nobelstiftung mit.

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