«Lifeline»-Kapitän erhebt Vorwürfe

«Lebensrettung aktiv verhindert»

Claus-Peter Reisch. Foto: epa/Domenic Aquilina
Claus-Peter Reisch. Foto: epa/Domenic Aquilina

MÜNCHEN (dpa) - Mit dem Schiff «Lifeline» fischt Claus-Peter Reisch seit eineinhalb Jahren Migranten aus dem Mittelmeer. Jetzt hat er einen Prozess am Hals - und wettert gegen Horst Seehofer. Dabei beschreibt er sich selbst als «konservativen Bayern».

«Grüß Gott! Schön in der Heimat zu sein.» «Lifeline»-Kapitän Claus-Peter Reisch ist aus Malta zurück, begrüßt am Münchner Flughafen wartende Journalisten. «Ich freu mich heimzukommen, zu meiner Mutter, zu meiner Lebensgefährtin, den Freunden - und ich würde jetzt gern mal ein paar ordentliche Weißwürste essen.» Doch erst steht er geduldig neben seinem Gepäck, beantwortet Fragen. Mit seiner Crew rettete er zuletzt 234 Migranten aus dem Mittelmeer. Jetzt steht er in Malta vor Gericht. Bis zum nächsten Prozesstag Ende Juli durfte er ausreisen.

Angeblich war das Schiff der in Dresden ansässigen Hilfsorganisation Mission «Lifeline» nicht ordnungsgemäß registriert. Für Reisch sind dies vorgeschobene Argumente. Das Schiff laufe regulär unter holländischer Flagge. «Ich habe nichts verkehrt gemacht», sagt er. «Das Ganze ist ein Politikum. Ich bin jetzt sozusagen das Bauernopfer für alle anderen NGOs, mich hat es stellvertretend erwischt.» Nun steht er im Rampenlicht. Gewollt hat er das nicht. Aber: «Ich stelle mich.»

Bis zu 11 600 Euro Strafe oder ein Jahr Haft drohen ihm maximal. Doch den 57-Jährigen aus Landsberg am Lech bewegen andere Dinge. Vier Schiffe von NGOs würden derzeit in Malta und Italien am Auslaufen gehindert. Zwei private Suchflugzeuge dürften nicht starten. «Vor das Schmierentheater, in dem viele Leute sterben, soll jetzt ein Vorhang gezogen werden, damit niemand in der Welt das mehr sehen kann.»

Auf hundert pro Tag schätzt Reisch die Todesopfer im Mittelmeer momentan. «Man verhindert aktiv die Lebensrettung. Man muss sich das vorstellen: Der Notarztwagen steht bereit. Er darf aber nicht losfahren. Wenn sowas in Deutschland passieren würde und es würde nur eine einzige Person dadurch auf der Straße ums Leben kommen - ich möchte nicht wissen, was los wäre. Hier sterben Hunderte Menschen.»

Um private Helfer war zuletzt eine Debatte entbrannt. Sie seien es, die Menschen zu der riskanten Fahrt motivierten - im Vertrauen auf Rettung, lautet der Vorwurf. Italiens Innenminister von der rechten Lega, Matteo Salvini, machte Stimmung gegen die NGOs, die er für Helfer der Menschenschlepper hält. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will den Zustrom eindämmen. Als Bedingung für eine mögliche Aufnahme von Flüchtlingen der «Lifeline» in Deutschland hatte er genannt, dass das Schiff festgesetzt werde.

«Ja, ich habe auch mal Horst Seehofer gewählt. Aber das ist lange her», sagt Reisch. «Ich bin eher ein konservativer Bayer. Aber konservativ sein hat nichts damit zu tun, dass man Menschen sterben lässt. Ganz im Gegenteil.» Heute fordert Reisch Seehofers Rücktritt.

Reisch könnte ein ruhigeres Leben haben. Aus seiner Industrievertretung für Sanitär- und Heizungsprodukte hat er sich weitgehend zurückgezogen. Keine finanziellen Verpflichtungen, eigenes Segelboot. Das genau brachte ihn zu «Lifeline». Als er mit seiner Lebensgefährtin 2015 nach Griechenland segelte, tauchte die Frage auf: «Was machen wir, wenn wir auf ein Flüchtlingsschiff treffen?»

Er bewarb sich, seit April 2017 hatte er sechs Missionen. «Ich habe gesehen, was da passiert und habe gedacht: Das kann man so nicht stehen lassen.» Flüchtlinge würden in seeuntauglichen Booten losgeschickt. Wer vor der Abfahrt Zweifel bekomme, werde schon mal mit Waffengewalt auf das Boot gezwungen. Manche Schlepper montierten den maroden Booten, kaum auf See, den Motor ab. Manche derer, die die «Lifeline» aus dem Meer fischte, hätten sichtbare Spuren von Folter.

Der Prozess schreckt ihn nicht - er stehe weiter bereit. Und wirbt für Helfer: Gebraucht würden Schiffsmechaniker, Rettungssanitäter, Ärzte - möglichst ohne Neigung zu Seekrankheit. Er selbst muss nun den Prozess abwarten. Im August will er erst mal mit seiner Lebensgefährtin Urlaub machen. Am Mittelmeer? Warum nicht.

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Thomas Thoenes 19.07.18 10:32
@Oliver Harms
Vollkommen richtig. Das sehe ich genau so. Wenn die Lybische Küstenwache dem Ausreisestrom nicht gewachsen ist, sollten wir selbstverständlich helfen. Aber nicht so wie es momentan läuft sondern Flüchtlinge aufgreifen, Schlauchboot zerstören und zurück zur Küste bringen. Dort Absetzen, 2 Flaschen Wasser, ein Sandwich und 2 US$ für den Bus. Danke und auf Wiedersehen bis nächste Woche. So löst sich das Problem von ganz alleine.
Oliver Harms 18.07.18 04:29
diese lebensretter sind nichts weiter als piraten.
so bezeichnet man krimminelle zur see.bevor diese priatenschiffe auftauchten,mußten die schlepper noch große boote bzw schiffe mit nautiker an bord besorgen und die besatzung bezahlen.mit beihilfe dieser typen wie reisch,brauchen sie nur noch schlauchboote einen der insassen bestimmen der den aussenborder bedient und dann immer grade aus bis zum treffpunkt nach max 12 meilen(radar bewegungsnachweise der küstenwacheitaliens belegen,daß diese schiffe immer wieder illegal in die hoheitsgewässer lybiens eindringen und sich der küstenwache(es gibt vidios wie sie sogar versuchen küstenwachboote abzudrengen bzw zu rammen) wiedersetzen bei der übernahme ihrer kunden.alles das sind akte von piraterie.das internationale seerecht sagt auch,daß bei rettung aus seenot(ist hier nicht gegeben)des nächst mögliche hafen an gelaufen werden sollte z.b. tobruk und nicht auf der anderen seite des meeres la spezia oder malta.gedanken
Hermann Auer 17.07.18 20:20
@Friedrich Kostal
Man kann ja durchaus ambivalente Meinungen zu dem Thema vertreten. Aber den Lebensretter als Rattenfänger zu bezeichnen, ist doch wohl starker Tobak. Meines Wissens erzählt die Legende von Hameln die Geschichte von einem Mann, der wegen eines schnöden Lohnbetrugs so ziemlich das Gegenteil einer Lebensrettung veranstaltet haben soll.
Ingo Kerp 17.07.18 20:11
Wozu schippern diese Schlepperschiffe vor der libyschen Küste? Die lib. Küstenwache wird die Schlauchboote schon selbst zurückholen koennen. Sind keine Schlepperschiffe da, werden sich die "Flüchtlinge" eine lustige Seefahrt im Schlauchboot sicherlich ersparen. Wieso sitzen eigentlich hauptsächlich kräftige junge schwarze Männer in den Booten? Man fragt sich, wovor sind sie geflüchtet? Ihr Heimat kann doch garnicht so gefährlich sein, wenn Familien, Frauen und Kinder immer noch dort leben.
Jürgen Franke 17.07.18 20:11
Heute fragt keiner mehr, wo die
Milliarden an Gelder für die Entwicklungshilfe hingeflossen sind, weil sich früher kein Mensch darum gekümmert hat, obwohl wir sogar mal einen Minister für Entwicklungshilfe hatten. Die Schlepper versprechen den offensichtlich bildungsfernen und naiven Menschen in Afrika das blaue vom Himmel. Die Überfahrt wird später mit Hartz4 bezahlt.
Johann Riedlberger 17.07.18 13:46
Warum kommt jemand auf die Idee
mit einem seeuntüchtigen Boot das Mittelmeer überqueren zu wollen? Das passiert nur weil man gute Aussichten hat von Reisch oder seinen Komplizen "gerettet" zu werden. Würde ihnen etwas an der Lebensrettung liegen, müssten sie die Schiffbrüchigen nach Afrika zurückbringen, und Nachahmer damit abschrecken. Es werden nie alle gerettet, die Ertrunkenen hat Reisch mit auf dem Gewissen.
Michael Ritsche 17.07.18 10:30
Meine persönliche Meinung ...
zu diesem Thema ist,das es nicht einfach ist sich eine Meinung zu Bilden.
Als einfacher Konsument von Nachrichten,Berichten und Reportagen ist es Schwer sich aus diesem Sammelsurium von Ansichten,Meinungen und Interpretationen einen eigenen Eindruck zu Erstellen.
Am nächsten für mich liegt die Antwort im finanziellen Gewinn von einigen wenigen Menschen sowie in einer Politik die nicht mehr für die Bürger tätig ist sondern nur noch eigene Machtinteressen verfolgt.
Solange in den betreffenden Ausgangsländer keine Grundlagen geschaffen werden den Menschen ein manierliches Leben zu ermöglichen wird dieses Thema weiterhin kein Ende haben.
Jürgen Franke 17.07.18 10:28
Wenn Herr Reisch so viel Geld hat, dass er
nicht weiß wohin damit, sollte er dieses Geld im Lande investieren, damit die Menschen keinen Grund haben, zu flüchten. Es ist zu hoffen, dass der Prozess die Hintergründe sowie die Geldquellen der Schlepperbanden offenlegt.