WHO-Kommission fordert Reformen

​Licht in Pandemie-Dunkelheit finden

WHO European director Hans Kluge. Foto: epa/Ida Guldbaek Arentsen
WHO European director Hans Kluge. Foto: epa/Ida Guldbaek Arentsen

KOPENHAGEN: Die Corona-Pandemie hat verheerende Folgen, Fehler dürfen sich nicht wiederholen: Zu diesem Schluss kommt eine von der WHO Europa eingesetzte Kommission. Sie ruft zu umfassenden Reformen im Gesundheitswesen auf - und spart nicht mit Kritik.

Die Länder Europas und darüber hinaus müssen nach Ansicht einer Sonderkommission der Weltgesundheitsorganisation WHO dringend ihre Gesundheitssysteme reformieren. Die Welt sei mit der Coronavirus-Pandemie einem monumentalen und ungewollten Stresstest begegnet, sagte der Kommissionsvorsitzende und italienische Ex-Ministerpräsident Mario Monti am Freitag bei der Vorstellung eines Abschlussberichts des Gremiums. Daraus müssten umfassende Lehren gezogen werden.

«Und wie sich die Ereignisse in den Monaten seitdem entwickelt haben, können wir keinen Zweifel daran haben, dass unsere politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme katastrophal dabei gescheitert sind, die bestimmende Krise unserer Zeit zu bewältigen», sagte Monti. Es habe an Voraussicht und dem Willen gefehlt, Einigkeit zu drängenden Fragen zu erzielen. Länder hätten auf sich selbst geschaut und versucht, transnationale Probleme mit veralteten nationalen Lösungen zu finden. Der Italiener machte klar, dass man aus den Fehlern und verheerenden Pandemiefolgen lernen müsse. «Aus dieser Dunkelheit müssen wir versuchen, Licht zu schöpfen.»

Die Monti-Kommission, die offiziell Paneuropäische Kommission für Gesundheit und nachhaltige Entwicklung heißt, ist im August 2020 vom WHO-Regionalbüro Europa eingesetzt worden, um ebendiese Lehren zu ziehen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. In ihrem nun vorgelegten Abschlussbericht empfieht sie mehrere umfassende Reformen der Gesundheits- und Sozialsysteme: Gemäß eines «One Health»-Konzepts müsse unter anderem die Verflechtung der Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen und ihrer gemeinsamen Umwelt anerkannt werden, schrieben Monti und seine Mitstreiter.

Den in der Pandemie deutlich gewordenen tiefsitzenden Ungleichheiten bei der Gesundheitsversorgung sowie in sozialer, wirtschaftlicher und geschlechtsbezogener Hinsicht müsse begegnet werden, hieß es. Zudem müsse stärker in die nationalen Gesundheitssysteme sowie in Innovationen und das Sammeln und Teilen von Daten investiert werden. Alleingänge seien künftig zu vermeiden.

Trotz wiederholter Warnungen von Wissenschaftlern vor einer globalen Pandemie sei die Welt nicht auf das Ende 2019 aufgetretene Coronavirus vorbereitet gewesen, monierte die WHO Europa. Voneinander abweichende und fehlerhafte politische Schritte hätten dazu geführt, dass die Folgen von Covid-19 katastrophal gewesen seien und es weiter blieben. Mehr als 1,2 Millionen Menschen seien in Verbindung mit einer Corona-Erkrankung in der europäischen Region gestorben, die Wirtschaft habe zudem einen beispiellosen Abschwung erlebt, der selbst die globale Finanzkrise 2008 in den Schatten stelle.

WHO-Regionaldirektor Hans Kluge bezeichnete die Empfehlungen der Kommission als eine ambitionierte, aber realistische Agenda für eine gesündere und sicherere Zukunft. «Das sind umsetzbare Empfehlungen, die Regierungen und Entscheidungsträgern Werkzeuge an die Hand geben, um künftige Gesundheitsbedrohungen zu verhindern und besser zu handhaben», sagte er.

Es liege nun an den Ländern und internationalen Organisationen, Gesundheit als ein Topthema beizubehalten und die Empfehlungen umzusetzen. «Wir haben bereits einen kolossalen Preis bezahlt, aber es ist ein noch höherer Preis zu zahlen, wenn wir die Augen verschließen und nicht aus unseren Fehlern lernen», so Kluge. Monti sagte: «Künftige Generationen werden uns nicht für unsere Kurzsichtigkeit danken. Wir brauchen eine neue Vision.»

Der Monti-Kommission gehören Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft an, darunter die deutsche Ökonomin Luise Hölscher. Die WHO-Region Europa besteht aus 53 Ländern, darunter nicht nur die Mitgliedstaaten der EU, sondern etwa auch Russland, weitere osteuropäische Nationen und die Türkei.

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