Leipzig erinnert an 9. Oktober 1989

Schweigeminute für Halle

Bürgerinnen und Bürger bringen mit Kerzen den Schriftzug
Bürgerinnen und Bürger bringen mit Kerzen den Schriftzug "Leipzig 89" auf dem Augustusplatz zum Leuchten. Foto: Hendrik Schmidt/Dpa-zentralbild/dpa

LEIPZIG (dpa) - Die große Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 gilt als Durchbruch der friedlichen Revolution in der DDR. Bundespräsident Steinmeier spricht von einem großen Tag in der deutschen Geschichte. Über den Feierlichkeiten lag jedoch ein Schatten.

Die Stadt Leipzig hat am Mittwoch an die friedliche Revolution in der DDR vor 30 Jahren erinnert. Am 9. Oktober 1989 hatten mindestens 70.000 Menschen in der Messestadt gegen das SED-Regime demonstriert. Der Tag gilt als Schlüsselmoment. Die schwer bewaffnete Staatsmacht schlug die Montagsdemonstration - entgegen aller Befürchtungen - nicht gewaltsam nieder. «Die Angst hatte die Seiten gewechselt», sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt im Leipziger Gewandhaus. «Der 9. Oktober war ein großer Tag in der deutschen Geschichte.»

Überlagert wurden die Feierlichkeiten von den Ereignissen im benachbarten Halle. In der rund 50 Kilometer entfernten Stadt hatte ein schwerbewaffneter Täter versucht, in einer Synagoge ein Blutbad anzurichten. Er scheiterte jedoch. Danach soll er zwei Menschen erschossen und zwei weitere verletzt haben. In Leipzig wurde daraufhin die Zahl der Sicherheitskräfte erhöht. Steinmeier rief am Abend zur Solidarität mit jüdischen Mitbürgern auf. Das Lichtfest, emotionaler Höhepunkt der Feierlichkeiten in Leipzig, begann mit einer Schweigeminute.

Leipzig erinnert jedes Jahr mit dem Lichtfest an den entscheidenden Tag im Herbst 1989. Nur einen Monat später fiel die Mauer in Berlin. Nach dem offiziellen Festakt im Gewandhaus, an dem viele damalige Bürgerrechtler teilnahmen, stand am Mittwochabend noch das Fest in der Innenstadt an. Der Ring, über den 1989 die Demonstranten gelaufen waren, wurde dabei für Fußgänger geöffnet. Zudem hat eine Wiener Künstlerin «Lichträume» gestaltet, Licht- und Toninstallationen an markanten Punkten. Steinmeier nahm an dem Lichtfest ebenso teil wie am Friedensgebet in der Nikolaikirche, dem Ausgangspunkt der Montagsdemonstrationen.

Der Bundespräsident würdigte den Mut der Demonstranten. «Den friedlichen Revolutionären schulden wir nicht nur Respekt. Wir schulden ihnen Dank - aus Ost und aus West.» Die Menschen damals hätten bewiesen, dass Veränderung möglich sei. «Ich bin mir sicher, es würde unserem Land gut tun, wenn wir das vielfältige Erbe der friedlichen Revolution fürs Heute nutzen.»

Steinmeier schlug in seiner «Rede zur Demokratie» allerdings auch viele nachdenkliche Töne an. Er sehe heute, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, ein Land, «das um seinen Zusammenhalt ringt». Der Umbruch habe die Menschen im Osten ungleich härter getroffen als im Westen. «Oft höre ich Geschichten von Entwurzelung, von zerbrochenen Gewissheiten.» Es sei Aufgabe der Politik, für gute Lebensverhältnisse zu sorgen. «Lasst diese Leute mit ihren Sorgen und Nöten nicht allein», mahnte der Bundespräsident.

Auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sieht die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als die «ganz zentrale Aufgabe, die wir haben, um unser Land nicht demokratisch auseinanderfallen zu lassen». Aus den Ereignissen von 1989 könne man Kraft schöpfen, sagte Jung, der derzeit auch Präsident des Deutschen Städtetages ist: «Alles ist veränderbar, nichts muss bleiben, wie es ist. Das ist die Lehre von 1989.»

Tausende Menschen kamen zum traditionellen Friedensgebet in der Nikolaikirche zusammen. Die Bänke der feierlich beleuchteten Kirche waren restlos besetzt. Wegen des großen Andrangs wurde der Gottesdienst auf Leinwände im Nikolaikirchhof und auf dem Augustusplatz übertragen. Superintendent Martin Henker sagte in seiner Predigt, dass der 30. Jahrestag der friedlichen Revolution ein Tag der Freude sei. Neuen Glocken der Nikolaikirche, die beim Friedensgebet das erste Mal zu hören waren, symbolisierten laut Henker den Klang der Hoffnung.

Angesichts der Vorkommnisse in Halle sagten sowohl Nikolaikirchen-Pfarrer Bernhard Stief als auch eine Vertreterin der jüdisch-christlichen Arbeitsgemeinschaft Leipzig, dass ihre Gedanken und Gebete bei den Angehörigen der Opfer seien. «Die Taten waren eine Bestärkung darin, heute zur Kirche zu kommen», sagte die 19-jährige Anselma Patzelt aus Leipzig. Jetzt erst recht, habe sie sich gedacht. Nach dem Friedensgebet wurden Kerzen an die Besucher verteilt. Viele von ihnen machten sich auf den Weg, um damit die historische Demonstrationsstrecke auf dem Leipziger Ring zu erleuchten.

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